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"Mit nackter Brust gegen türkische Messer"

Von Michael Schmölzer

Politik

Kurden schließen zähneknirschend Pakt mit Damaskus. US-Abzug aus Nordsyrien gefährdet Anti-IS-Koalition.


Während sich türkische Soldaten und kurdische Kämpfer in Nordsyrien heftige Kämpfe liefern, werden die Weichen für die Zukunft des Bürgerkriegslandes gestellt. Denn der türkische Einmarsch ruft jetzt die syrische Armee auf den Plan, die den Kurden zu Hilfe kommt. Der alte syrisch-türkische Konflikt flammt damit wieder auf, die Lage in dem ausgebluteten Land wird noch unübersichtlicher. Die USA ziehen ihre Soldaten komplett aus der Region ab, um nicht zwischen die Fronten zu kommen, wie es heißt. Die Appelle Deutschlands, die USA sollten ihr militärisches Engagement nicht aufgeben, wirkten einigermaßen hilflos. US-Präsident Donald Trump hat durch seine Entscheidung, die rund 1000 GIs bis auf den letzten Mann abzuziehen, den türkischen Einmarsch ermöglicht.

Die Koalition im Kampf gegen den IS ist durch den US-Abzug jedenfalls massiv geschwächt. Die französischen Truppen in der Region etwa sind auf die logistische Unterstützung der USA angewiesen. Nun ist bereits die Rede davon, dass auch Frankreich seine Soldaten abziehen muss. Die deutsche Bundeswehr will den Einsatz ihrer Tornado-Aufklärer unverändert weiterführen. Ein deutscher Offizier soll sicherstellen, dass das türkische Militär keine Luftaufnahmen des Kurdengebiets erhält.

Assad schickt Soldaten

Der syrische Machthaber Bashar al-Assad, der den Rest des Landes bis auf die Provinz Idlib bereits kontrolliert, schickt nun seine Truppen Richtung Norden. Assad und die Kurden wollen nun Schulter an Schulter gegen die Türkei vorgehen. Man werde sich der "türkischen Aggression entgegenstellen", heißt es dazu in der syrischen Hauptstadt.

Für die Kurden ist der Pakt mit dem Despoten ein schmerzhafter Kompromiss. Assad bekommt nun Zugriff auf kurdisches Territorium, die Minderheit wird die Pläne einer umfassenden Autonomie unter Umständen begraben müssen. "Wir stehen den türkischen Messern mit nackter Brust entgegen", formulierte es ein kurdischer Kommandant in einem Beitrag für das US-Magazin "Foreign Policy". Die Zusammenarbeit mit Assad und Russland erfolge erzwungener Maßen.

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Durch diesen Pakt der Kurden mit Damaskus und Moskau entsteht eine brandgefährliche Situation. Nachdem bereits US-Soldaten unter türkischen Beschuss gekommen sind, steigt nun die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes zwischen der Türkei und Syrien. Syrische Soldaten sind in Tel Tamer, Tabka und Ain Issa eingerückt. An der Seite der syrischen Einheiten befindet sich auch russisches Militär. Im Kreml hieß es deshalb am Montag, man wolle gar nicht in Betracht ziehen was geschähe, wenn russische und türkische Soldaten aneinandergerieten.

Nachdem in Syrien viele unterschiedliche Mächte mit völlig unterschiedlichen Interessen militärisch auf engstem Raum aktiv sind, ist es in der Vergangenheit immer wieder zu gefährlichen Zwischenfällen gekommen. So wurde ein russischer Söldnertrupp von US-Kampfjets unter Beschuss genommen, es gab Tote. Schlimmeres wurde bisher nur dadurch verhindert, dass die in den Syrien-Konflikt involvierten Mittel- und Großmächte über zahlreiche Kanäle permanent in Kontakt stehen.

"Einseitige Militäraktion"

Für Assad, der seit Jahren auf einer Erfolgswelle reitet, sind die jüngsten Entwicklungen ein weiterer Erfolg. Er erhebt nach wie vor auf das gesamte syrische Staatsgebiet Anspruch und kommt diesem Ziel Schritt für Schritt näher. Russland und der Iran, die Assad militärisch unterstützen, können ebenfalls zufrieden sein.

In der Europäischen Union hingegen ist man besorgt, dass sich der Krieg ausweitet, wenn es zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen der Türkei und Syrien kommt. Mit Sorge nimmt man die Drohung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zur Kenntnis, der syrische Flüchtlinge in großer Zahl nach Europa schicken will, sollte man hier den Vorhaben Ankaras nicht positiv gegenüber stehen.

So hat die EU die türkische Offensive am Montag verurteilt und zur Beendigung der "einseitigen Militäraktion" sowie zum Rückzug der türkischen Streitkräfte aufgerufen. Ein EU-Waffenembargo gegen die Türkei enthält die Erklärung nicht, eröffnet laut EU-Ratskreisen jedoch den Weg dort hin.

Europäische IS-Kämpfer

In der Türkei betrachtet man die syrischen Kurden, vor allem aber die Kampfeinheiten der syrischen YPG als Terroristen und verlängerten Arm der PKK, die mit allen Mitteln bekämpft wird. Die türkische Regierung will deshalb an der türkisch-syrischen Grenze einen rund 30 Kilometer breiten Sicherheitsstreifen einrichten und dort rund zwei Millionen arabisch-syrische Flüchtlinge ansiedeln. Dazu kommt, dass sich in kurdischen Gefängnissen in Nordsyrien rund 12.000 IS-Kämpfer befinden, darunter rund 3000 Ausländer - viele davon aus der EU. Ein Teil dieser Gefängnisse liegt unmittelbar in der Kampfzone. Bis jetzt sind nach kurdischen Angaben vor allem Frauen und Kinder von IS-Kämpfern aus den Lagern entkommen.

Die Kurden sagen, dass man die Wachmannschaften der Lager zu einem großen Teil habe abziehen und an die Front schicken müssen. Das Chaos würde dadurch komplettiert, dass die Türken die Gefängniseinrichtungen bombardierten. US-Präsident Trump hat am Montag den Verdacht geäußert, die Kurden ließen die IS-Gefangenen absichtlich frei, um die US-Armee zu zwingen, ihren Abzug einzustellen. Für den türkischen Präsidenten Erdogan handelt es sich bei den Berichten schlicht um "Lügen".