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Impeachment gegen Trump: Das Geschäft geht vor

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Ein Jahr vor den US-Präsidentschaftswahlen treten Recht und Gesetz zugunsten politischer Erwägungen in den Hintergrund. Und nicht nur bei der Debatte um ein mögliches Impeachment heißt der große Nutznießer Donald Trump.


Ein Dutzend für ein Hallelujah: Am Dienstagabend fand in Westerville, Ohio, die vierte Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei statt, derer genau zwölf an der Zahl. Die erste Frage der Moderatoren galt aus aktuellem Anlass jenem Thema, das die amerikanischen Medien derzeit mit Abstand am meisten beschäftigt: Wie hältst du’s mit einer Amtsenthebung von Donald Trump? Die Antworten fielen durchwegs gleichlautend aus. Elizabeth Warren, die sich laut Umfragen im Kampf um die Pole Position derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Joe Biden liefert: "Eine Amtsenthebung ist der einzige Weg, um zu zeigen, dass es diesem Mann nicht erlaubt wird, ohne Konsequenzen wieder und wieder das Gesetz zu brechen." Biden: "Der Kongress hat keine andere Wahl mehr als zu handeln." Bernie Sanders, trotz seines jüngst erlittenen Herzinfarkts gewohnt kampfeslustig: "Trump ist der korrupteste Präsident in der Geschichte unseres Landes." Kamala Harris, Senatorin von Kalifornien und ehemalige Staatsanwältin: "Er hat seine Verbrechen ganz offen begangen."

Auch wenn man sich da und dort in den Nuancen unterschied und in der Strategie, wie man das Ziel erreichen soll: Bei der Frage wie mit dem Thema Amtsenthebung umzugehen sei, herrschte im Feld derer, die im Frühjahr 2021 in Trumps Fußstapfen treten wollen, seltene Einigkeit. Nur: Was nutzt’s?

Diese Frage stellt sich die Führerschaft der Demokraten im Abgeordnetenhaus seit Monaten und ihre Antwort lautet gestern wie heute: Schau’n wir mal. Am selben Tag, als sich die Präsidentschaftskandidaten in Ohio trafen, ließ Mehrheitssprecherin Nancy Pelosi verlauten, dass eine Abstimmung über die offizielle Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens bis auf Weiteres nicht auf der Tagesordnung stehe. Genau das hatten das Weiße Haus und Trumps Gefolgschaft inner- und außerhalb von Washington vergangene Woche lautstark gefordert. Ihre Kalkulation ging auf, zumindest kurzfristig. Innerhalb der demokratischen Fraktion im Unterhaus gibt es eine namhafte Anzahl von Abgeordneten, die es aus politischen Gründen für zu gefährlich halten, fast genau ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen - Wahltermin ist der 3. November 2020 - Trump seines Amtes zu entheben; weshalb sie Pelosi baten, vorerst weiterhin auf Zeit zu spielen.

Die Strategie des Wartens

Der prominenteste Fürsprecher einer Verzögerung ist indes keiner, der wie viele dieser Abgeordneten um seinen Sitz fürchten muss. Adam Schiff, als Vorsitzender des House Intelligence Committee an vorderster Front im Kampf gegen den 72-jährigen Ex-Reality-TV-Star und einer seiner ausgesprochenen Lieblingsfeinde, repräsentiert einen Wahlbezirk, der inmitten der liberalen Hochburg Los Angeles liegt. Was vordergründig überrascht, erweist sich bei näherem Hinsehen als Teil jener Strategie, den der zentristisch orientierte Parteiflügel, der die Fraktion dominiert, von jeher verfolgt: die Dinge, sprich alle einschlägigen Untersuchungen bezüglich eines Amtsenthebungsverfahrens, in die Länge zu ziehen, bis man sich irgendwann sicher sein kann, dass die Mehrheit der Öffentlichkeit dahintersteht. Wie weit sich das angesichts der Myriaden an neuen Skandalen, die fast täglich ans Licht kommen, noch durchhalten lässt, bleibt derweil fraglich.

Was Trumps, nun ja, eigenwillige Amtsführung angeht, kann man diesbezüglich leicht den Überblick verlieren. Deshalb hier nur eine Zusammenfassung der letzten Entwicklungen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Gewähr: Wie die Anhörungen langgedienter Außenamtsmitarbeiter im Kongress bestätigten, führte Trump, assistiert von willigen Helfern wie Außenminister Mike Pompeo, EU-Botschafter Gordon Sondland und seinem persönlichen Anwalt Rudy Giuliani, in puncto Ukraine-Politik eine Art Schatten-Diplomatie. Nämliche war einzig und allein darauf ausgerichtet, die ukrainische Regierung dazu zu bewegen, Druck auf die Justiz auszuüben, damit diese Ermittlungen gegen Hunter Biden aufnimmt, den Sohn des ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden. Biden junior, wiewohl kein ausgewiesener Experte in Sachen Energieindustrie, war 2014 in den Vorstand des ukrainischen Erdgaskonzerns Burisma eingezogen. Salär: rund 50.000 Dollar im Monat. Angesichts der sonst eher bescheidenen beruflichen Vita von Hunter Biden eine schiefe Optik. Nachdem keinerlei wie immer gearteten Beweise für ein etwaiges Fehlverhalten bekannt sind, aber auch nicht mehr.

Der Senat steht zu Trump

Das alles hält Trump und seinen neuen Leibanwalt Giuliani (sein alter, Michael Cohen, sitzt wegen diverser Vergehen im Gefängnis) nicht davon ab, die Bidens nicht nur der Korruption zu bezichtigen. Der Präsident schreckt auch nicht davor zurück, die politische Macht der USA zum eigenen politischen Vorteil in die Waagschale zu werfen. Motto: militärische Hilfe ja, aber nur gegen politische Hilfe im Wahlkampf. Ein Faktum, das Trump nach zuerst halbherzigen Dementi mittlerweile selbst offen einräumt. Und gegen Giuliani, den der ehemalige Nationale Sicherheitsberater John Bolton im Zusammenhang mit der Ukraine-Affäre als "Handgranate, die uns alle in die Luft sprengt", bezeichnet hat, ermittelt mittlerweile die Bundesstaatsanwaltschaft wegen des Verdachtes auf Beihilfe zu illegaler Wahlkampffinanzierung. Zwei von Giulianis russischen Klienten, die auch Trump trafen, wurden letzte Woche verhaftet, als sie sich gerade auf dem Weg nach Wien befanden.

Die Untersuchung im Kongress, die die Trump’sche Erpressung der Ukraine angeht, bildet dabei längst nur mehr die Spitze des Eisbergs. Gefühlt ist es schon wieder tausend Jahre her, dass das Abgeordnetenhaus erstmals ernsthaft die Anstrengung eines Amtsenthebungsverfahrens erwog, aus anderen Gründen und in einem anderen Zusammenhang; aber die andauernden Eskapaden des Präsidenten lassen die Ergebnisse des Mueller-Reports schon fast wieder vergessen. Darin wird dezidiert festgestellt, dass Trump einer Anklage nur deshalb entkam, weil ein amtierender Präsident laut den Richtlinien des Justizministeriums nicht angeklagt werden kann.

Manchen Republikanern ist ihr Unwohlsein mit der Situation mittlerweile deutlich anzumerken. Trump persönlich zu kritisieren oder sich gar der Forderung nach einer Amtsenthebung anzuschließen wagt trotzdem bis heute keiner. Im Gegenteil: Lindsay Graham, Senator von South Carolina und während der parteiinternen Vorwahlen 2016 noch einer seiner schärfsten Kritiker, zählt mittlerweile nicht nur zu Trumps regelmäßigen Golf-Partnern, sondern zu den lautstärksten und aggressivsten Verteidigern des Präsidenten.

Insofern stehen die Chancen, dass Trump im Senat seines Amtes enthoben wird, selbst wenn sich im Abgeordnetenhaus dafür eine Mehrheit findet, gleich null. Der Einzige, der im Senat seinem Frust zumindest ab und zu ein bisschen Luft macht, ist Mitt Romney, Senator von Utah und erfolgloser Ex-Präsidentschaftskandidat (er verlor 2012 gegen Barack Obama). Die persönlichen Angriffe, die Trump regelmäßig gegen Romneys so sanften wie realpolitisch konsequenzenlosen Sticheleien reitet, zeugen ob ihrer Unverhältnismäßigkeit freilich weniger von der Qualität der Kritik als von der geradezu legendären Dünnhäutigkeit des Mannes im Oval Office.

Das Hemd ist näher als der Rock

Im Repräsentantenhaus, wo die Konservativen seit den Midterms 2018 die Minderheitsfraktion bilden, zeigt sich das Bild noch deutlicher. Dort treten die Republikaner mittlerweile als de facto geschlossener Pro-Trump-Block auf. Seit das ehemalige Tea-Party-Aushängeschild Justin Amash aus Michigan die Partei im Sommer verlassen hat und sein Mandat jetzt als Unabhängiger ausübt, gibt es praktisch keinen einzigen Abgeordneten mehr, der dem Präsidenten auch nur ansatzweise Kontra geben würde. Im Gegenteil. Was Medienauftritte wie jene zum Kurs der Fraktion angeht, überlässt Sprecher Kevin McCarthy diese längst nur mehr den fanatischsten aller fanatischen Trump-Fans. Als da sind: Jim Jordan, ein ehemaliger Ringer-Champion aus Ohio (Sexskandal inklusive) und zeit seines politischen Lebens Verfechter krudester Verschwörungstheorien (unter anderem behauptete er, dass die Regierung unter Obama ein geheimes Programm laufen habe, um alle Munition aufzukaufen). Nummer zwei: Matt Gaetz, Spross einer Berufspolitikerfamilie aus Florida, der Dinge tweetet wie diese: "George Soros dürfte Cash an Frauen und Kinder verteilen, damit sie sich der Karawane anschließen und die US-Grenze zu stürmen." Und nicht zu vergessen, weil sie wie wenige andere als Sinnbild für die Transformation der Republikanischen Partei zur Trump-Sekte steht: Liz Cheney, Tochter von Ex-Vizepräsident Dick Cheney, Ex-Mitarbeiterin von Fox News und Abgeordnete für Wyoming, die bis heute Leute öffentlich verteidigt, die darauf bestehen, dass Obama in Afrika geboren sei.

Die Kalkulation dieser Leute und der wenigen verbliebenen Republikaner, die tatsächlich aufrichtig besorgt sind, aber stillhalten beziehungsweise ihren Unmut verklausuliert vorbringen, damit sie nur ja nicht ihren Bannerträger verärgern (siehe zuletzt die Reaktionen auf das außenpolitische Fiasko in Nordsyrien), ist simpel. Ihnen ist schlicht ihr Hemd näher als der Rock, sprich: Auch wenn sie selbst vielleicht nicht mit Trump einverstanden sind, lassen ihre Wähler keinerlei Zweifel daran, dass sie sich von ihren Abgeordneten, wenn sie wiedergewählt werden wollen,
die bedingungslose Unterstützung Trumps erwarten.

Eine Tatsache, auf deren Gefahrenpotenzial dieser Tage einer hinwies, der zeit seiner aktiven politischen Karriere für seinen scharfen Instinkt bekannt war, dank dem er es für zwölf Jahre zum Führer der Demokraten im Senat brachte (2005-2017) und ohne dessen Hilfe ein Präsident Obama kein einziges wichtiges Vorhaben seiner Agenda durch den Kongress gebracht hätte. Harry Reid, nunmehr offiziell in Pension, erklärte in einem Interview, dass seine Partei "unterschätze, wie populär Trump immer noch" sei.

2020 wird kein Kinderspiel

Auch wenn die Umfragen Reids These nicht untermauern - in der Popularitätsskala krebst der Präsident beständig um die 40-Prozent-Marke herum und in Sachen Amtsenthebung scheint sich die öffentliche Meinung langsam aber sicher gegen ihn zu drehen -, deutet tatsächlich wenig darauf hin, dass 2020 für seinen Gegenkandidaten zum Kinderspiel wird. Denn da sind einerseits die immer noch guten Wirtschaftsdaten der USA, die Trump nie vergisst, sich selber zugute zu schreiben. Andererseits spielt es für viele Wähler schlicht keine Rolle, dass der Präsident am laufenden Band Normen und Gesetze bricht und dazu ein zunehmend besorgniserregendes Verhalten an den Tag legt, das zahlreiche prominente Stimmen an seinem psychischen Zustand zweifeln lässt.

Und dennoch: Allein die Reaktion der Mainstream-Medien auf die jüngsten Skandale geben einen Vorgeschmack darauf, was in den kommenden zwölf Monaten zu erwarten ist. Ganz nebenbei bestätigen sie auch, dass die professionellen Berichterstatter aus dem Wahlkampf 2016 nichts, aber auch gar nichts gelernt haben. Weil Trump, Giuliani und ihre Jubelperser im Kongress auf allen Fernsehkanälen ihr wie üblich von keinerlei Fakten getrübtes Dauerfeuerwerk abziehen durften, musste bei jedem, der die Berichterstattung nur peripher verfolgte, der Eindruck entstehen, dass an der Geschichte von der Korruption der Bidens wohl etwas dran sein musste. Was diese Woche unter anderem dazu führte, dass Hunter Biden, der sich formal nichts zuschulden hatte kommen lassen, von seinem derzeitigen Job im Dienste einer chinesischen Private Equity-Firma zurücktrat, um seinen Vater aus der Schusslinie zu nehmen. Ein mittlerweile sattsam bekanntes Muster, an dem sich auch nichts ändern wird, weil die breite Mehrheit der US-Medien bis heute davon überzeugt ist, dass Objektivität in der Politikberichterstattung auch 2019 darin bestehe, Verschwörungstheoretiker, Lügner, Betrüger und Kriminelle weitgehend widerspruchslos zu Wort kommen zu lassen.

Der Faktor Michael Bloomberg

Aber vielleicht benötigt Donald Trump im kommenden Jahr die Schützenhilfe der Medien gar nicht, sondern der Sieg wird ihm quasi frei Haus geliefert. Was den Demokraten derzeit die Grausbirnen aufsteigen lässt, ist ein Szenario, das vor kurzem noch nicht möglich schien und mit dem Aufstieg Elizabeth Warrens und dem Schwächeln Bidens in den Umfragen zu tun hat.

Michael Bloomberg, Ex-Bürgermeister von New York City, einer der reichsten Männer des Planeten und guter Biden-Freund, ließ dieser Tage durchblicken, dass er, wenn Warren oder gar Bernie Sanders die Nominierung bekämen, er wahrscheinlich selber den Hut in den Ring werfen würde. Weil praktisch kein Zweifel daran besteht, wem der 77-Jährige mehr Stimmen wegnehmen würde, wäre das eine schöne amerikanische Logik: Ein alter New Yorker Milliardär hilft einem anderen alten New Yorker Milliardär, den er nicht ausstehen kann, Präsident zu bleiben. Am Ende des Tages steht das Geschäft halt doch über dem Gesetz.