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Feuer in Kalifornien: Brennende Ignoranz

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder aus Los Angeles

Politik

Der permanente Ausnahme- als Normalzustand: Wie jedes Jahr um diese Zeit steht Kalifornien in Flammen - und das Ende ist nicht absehbar.


Der Alarm läutet um drei Uhr morgens und reißt das halbe Haus aus dem Schlaf. Als nur eine Dreiviertelstunde später der zweite erklingt, ist es endgültig vorbei mit der Nachtruhe. Das am Smartphone installierte öffentliche Warnsystem Kaliforniens lügt nicht, aber ist es denn wirklich so schlimm? Ein Blick durchs Fenster in die Nacht hinaus: Nein, das sind tatsächlich keine Schneeflocken. Das ist Asche. Auch wenn für die unmittelbare Nachbarschaft in diesem Teil von Los Angeles keine Gefahr besteht und der Ausnahmezustand mittlerweile fixer Bestandteil der Saison ist: Gefühlt waren die Feuer noch nie so nahe an der Stadt wie heuer.

Kalifornien brennt; und wie mittlerweile jedes Jahr im Herbst, an beiden Enden. Nördlich von San Francisco bahnen sich die Flammen seit eineinhalb Wochen den Weg durch Weinstöcke und die Vororte von Kleinstädten. Rund 320 Quadratkilometer hat das dort wütende Kincaid Fire bisher verbrannt. 180.000 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, mehr als 370 Gebäude sind abgebrannt. Im Süden des Bundesstaats hat man laut Behörden das dort seit einer Woche wütende, auf den Namen "Maria" getaufte Feuer, das vergleichsweise mäßige 38 Quadratkilometer verschlungen hat und wegen dem "nur" 11.000 Leute in Sicherheit gebracht werden mussten, erst Anfang der Woche in den Griff bekommen.

Trockenheit und schlechte elektrische Leitungen

Als Durchschnittsbürger des mit 40 Millionen Einwohnern größten Bundesstaats der USA schenkt man derartigen Schlagzeilen kaum noch Beachtung. Zu alltäglich ist die Bedrohung geworden - wenn nicht gerade das eigene Haus, der Arbeitsplatz oder die Schule der Kinder brennt, lässt sich das Problem noch immer halbwegs ignorieren. Nur wird das mit jedem Jahr schwerer. Selbst in Downtown und auf der East Side von Los Angeles, die bisher relativ verschont geblieben waren, sind die durch die Luft fliegenden Aschepartikel an manchen Tagen mittlerweile eine ernste Gesundheitsbedrohung für manche Menschen.

In den vergangenen Wochen ließ sich von den Dächern der Hochhäuser von Vororten wie Glendale, Burbank oder dem San Fernando Valley tief ins Feuerchaos blicken. Von der West Side ganz zu schweigen. Für die Studenten der öffentlichen Eliteuniversität UCLA, deren Campus im Stadtteil Westwood beheimatet ist - unweit der Strandgemeinden Venice und Santa Monica -, gehört es mittlerweile zum Nacht-Sport, aus den obersten Stockwerken ihrer Wohnheime Fotos von den nahen Feuern über Social Media zu verbreiten. Weil die Universitätsverwaltung letzte Woche fürchtete, dass das sogenannte Getty Fire den Betrieb gefährdet, fielen tausende Vorlesungen aus.

Die Ursachen für die endlosen Feuer und die von ihnen verursachten Schäden sind allseits bekannt. Da ist zum einen die durch den Klimawandel bedingte Trockenheit, die - obwohl die Dürre, die Kalifornien bis vor kurzem plagte, offiziell eigentlich vorbei ist - die von Bergen und Hügeln durchzogene Landschaft zwischen San Diego und der Grenze zu Oregon anfällig für jede Art von Funkenflug macht. Dann sind da die teilweise veralteten elektrischen Leitungen, die regelmäßig als Verursacher von Bränden identifiziert werden.

Vor allen anderen ins Visier genommen hat Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien, in diesem Zusammenhang den Konzern Pacific Gas and Electric (PG&E). Der an der New Yorker Börse notierte Energieversorger - mit mehr als 20.000 Angestellten und rund 4,5 Milliarden Dollar Jahresumsatz Kaliforniens größter - hat im Jänner seinen Bankrott erklärt. Der Grund: Milliardenklagen wegen der von seinen schadhaften Leitungen verursachten Brände im Jahr 2018 sowie die Ankündigung seines Präsidenten Bill Johnson, dass feuerbedingte Stromausfälle in Teilen Kaliforniens in den kommenden Jahren nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel bilden werden. Newsom will sich das nicht bieten lassen: "PG&E, so wie wir es kennen, kann und darf so nicht weiter existieren." Sollten die Verhandlungen zwischen Klägern, Konzern-Investoren und -Bossen erfolglos verlaufen, droht der 52-Jährige mit einer Art Teilverstaatlichung: "Wenn sich die Parteien nicht auf einen Transformationsprozess einigen können, werden wir nicht zögern, einzuschreiten und die Firma restrukturieren."

Trump gibt Demokratendie Schuld

Manche Brände haben freilich banalere Ursachen als unzureichend isolierte oder kaputte Stromleitungen. In den vergangenen Jahren war es das eine Mal eine achtlos weggeworfene Zigarette, die einen Mega-Brand verursachte. Ein anderes Mal, in den zwischen LA und den Stränden Malibus gelegenen Santa Monica Mountains, ein von unter freiem Himmel kochenden Obdachlosen verursachtes Feuer. (Was aufgeweckte Kommentatoren als Ironie des Schicksals interpretierten, weil eines der Häuser, die damals den Flammen zum Opfer fielen, dem erzkonservativen Medienmogul Rupert Murdoch gehörte.)

Wen das alles nicht kümmert - die mittlerweile in die Hunderte gehenden verlorenen Menschenleben, die Milliardenverluste in Geschäft und Eigentum, die verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt, deren langfristige Folgen kaum absehbar sind -, ist wie immer der Präsident der Vereinigten Staaten. Donald Trump, der den Klimawandel bekanntermaßen für eine chinesische Erfindung hält und sein Land aus dem Pariser Klimaabkommen geführt hat, macht auf Twitter in regelmäßigen Abständen die Regierung des Bundesstaats für die Katastrophe verantwortlich. Der 72-jährige Ex-Reality-TV-Star folgt damit der ihm eigenen Logik, dass die Demokraten, die Kalifornien mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit regieren, für alles Böse auf der Welt verantwortlich sind. Die Republikaner im Kongress weiß er damit hinter sich; das, obwohl eigentlich der Bund für die überwältigende Mehrheit der kalifornischen Wälder verantwortlich ist.

Insofern könnte das Bild, das sich jetzt im Simi Valley vor LA zeigte, das amerikanische Dilemma kaum besser illustrieren. Dort war die Ronald Reagan Presidential Library von den Flammen bedroht worden. Das Gebäude, das einen Gutteil aller historischen Dokumente aus der achtjährigen Präsidentschaft Reagans (1981-1989) beherbergt, wurde erst in letzter Sekunde gerettet.