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Tage der verbrannten Erde in Bolivien

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Nach seinem Rücktritt wegen Wahlbetrugs macht Boliviens Ex-Präsident Evo Morales der Opposition schwere Vorwürfe und spricht von Rassismus und Putsch. Dem Land droht ein Chaos.


Diese Tage werden Bolivien und wohl auch Lateinamerika nachhaltig verändern. Boliviens Ex-Präsident Evo Morales kündigte nach den Vorwürfen des Wahlbetruges seinen Rücktritt an. Zuvor hatten ihn auch Vertreter der großen Gewerkschaften von indigenen Gruppierungen zur Demission gedrängt, um damit das Land zu befrieden. Das Militär schickte eine unmissverständliche Botschaft an Morales und empfahl diesem ebenfalls einen Rücktritt.

Doch seinen Abschied von der Macht verband Morales mit schweren Vorwürfen an die konservative Opposition. Sein Herausforderer bei der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 20. Oktober, Carlos Mesa, und der Anführer des oppositionellen Bürgerkomitees, Luis Fernando Camacho, würden als Putschisten und Rassisten in die Geschichte eingehen, twitterte er am Montag und legte damit die Strategie für die nächsten Tage fest. Seine beiden Rivalen müssten "die Verantwortung für die Pazifizierung des Landes übernehmen und die politische Stabilität und das friedliche Zusammenleben unseres Volkes garantieren", befand Morales.

Allerdings waren es seine Anhänger, die in der Nacht zuvor Häuser von Oppositionellen anzündeten und schwere Verwüstungen anrichteten. Einen Appell an seine eigenen Leute, die Gewalt einzustellen, richtete Morales nicht. Genauso war es zuvor, als umgekehrt Kräfte aus dem Lager der Opposition unmittelbar vor dem Rücktritt Gewalt gegen Vertreter der Morales-Regierung ausübten und deren Häuser attackierten. Aber auch die Oppositionsvertreter schwiegen zu diesen Angriffen aus den eigenen Reihen. Mesa hatte Morales zuvor vorgeworfen, die Macht mit Hilfe massiven Wahlbetrugs behalten zu wollen. Der inzwischen zurückgetretene Präsident sei ein Betrüger. Am Montag bekräftige Mesa: "In Bolivien gab es keinen Staatsstreich, Morales ist verantwortlich für den Wahlbetrug."

Gegenseitige Vorwürfe

Nach dem Rücktritt von Morales gab es zunächst Jubel im ganzen Land. Zehntausende Menschen strömten auf die Straßen und Plätze, um zu feiern. Allerdings schlug die Stimmung in der Nacht um, als Morales Anhänger gezielte Attacken gegen Oppositionelle fuhren. Jene, die offen gefeiert hatten, hatten nun Angst um ihre persönliche Sicherheit.

Das Land steht damit vor einer tiefen Spaltung, in der auch ethnische Konflikte wieder aufzubrechen drohen. Ein großer Teil von Morales‘ Wahlbasis ist die indigene Bevölkerung, die ihn zum ersten frei gewählten indigenen Präsidenten des Landes machte und nun fürchtet, dass ihre Rechte unter einer neuen Regierung unterdrückt werden könnten. Allerdings waren es auch indigene Gruppierungen und Proteste, die Morales in den letzten Wochen massiv schwächten. Vor allem dessen Rolle bei den verheerenden Waldbränden, für die der Präsident mit einem Brandrodungsdekret mitverantwortlich war, zerstörten viel Vertrauen in der Landbevölkerung. Morales setzte in den vergangenen Jahren zudem zahlreiche Entscheidungen gegen den ausdrücklichen Willen von indigenen Gemeinden durch. Das alles führte zu einem massiven Einbruch der Zustimmung für ihn. Umgekehrt ist es die nicht-indigene Bevölkerung Boliviens, die sich in den letzten Jahren von Morales unterdrückt fühlte und ihm seinerseits Rassismus vorwarf.

Auslöser des Rücktritts waren schließlich schwere Vorwürfe gegen den Linkspopulisten. Die Opposition hatte seit dem 20. Oktober wegen des Verdachts des Wahlbetruges überwiegend friedlich demonstriert. Am Sonntag bestätigte eine Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) nach einer tagelangen Überprüfung des Wahlergebnisses gravierende Unregelmäßigkeiten und empfahl, den Urnengang neu auszurichten. Morales hatte nach offiziellen Angaben das Votum im ersten Durchgang gewonnen und damit eine Stichwahl vermieden, die er gegen Carlos Mesa wohl verloren hätte.

Genau dieses Ergebnis zweifelt nun die OAS-Kommission an. Die Frage bleibt, wer diese Manipulationen angeordnet hat. Die Präsidentin des Wahlgerichts wurde jedenfalls verhaftet, als sie laut lokalen Medienberichten versuchte, in Männerkleidung die Stadt zu verlassen.

Wer regiert?

Bolivien droht damit ein Chaos. Zahlreiche Funktionäre der sozialistischen Regierungspartei MAS traten zurück, Morales selbst will den Weg für einen politischen Neuanfang im eigenen Lager nicht frei machen, sondern kündigte an, den politischen Kampf fortsetzen zu wollen. Dabei wäre nach diesen Vorfällen und auch nach Kritik aus dem eigenen Lager ein Neustart in der MAS dringend notwendig.

Morales will in Bolivien bleiben, denn es gäbe nichts, weswegen er das Land verlassen müsste. Mexiko hat ihm inzwischen trotzdem politisches Asyl angeboten.

Nun muss Bolivien ohne eine funktionierende Staatsspitze erst einmal Neuwahlen organisieren. Unklar ist, wer nach der Rücktrittswelle überhaupt das Land regiert und wie angesichts der aufgeheizten Stimmung zweier Lager, die sich vom jeweils anderen betrogen fühlen, eine ordnungsgemäße Durchführung des Urnengangs garantiert werden kann. Übrig geblieben ist nach den zahlreichen Rücktritten die zweite Vorsitzende des Senats, Jeanine Anez. Die Oppositionspolitikerin erklärte, sie stehe bereit, die Präsidentschaft zu übernehmen - mit dem einzigen Ziel, Neuwahlen zu organisieren.