
Soldaten solidarisieren sich mit den Demonstranten
"Den Befehl für beide Operationen gegen die Demonstranten gab der Oberbefehlshaber der Sicherheitskräfte, der Premierminister", sagt der Juristenchef. Adel Abdul Mahdi habe die Toten und Verletzten zu verantworten. Bereits Mitte Oktober gab es in Bagdad und in den südlichen Provinzen, wo ebenfalls Proteste toben, ein blutiges Eingreifen der Sicherheitskräfte mit über 100 Toten. Die Demonstrationen ebbten ein paar Wochen ab, um dann umso heftiger wieder anzuschwellen. In Bagdad zeigt sich das an der Ausdehnung des Protestcamps: Während sich die Zelte Anfang Oktober lediglich auf den Tahrir Platz beschränkten, gehen sie jetzt in die Breite. Saadi ist sich sicher, dass auch diese zweite Operation nicht die letzte sein wird. Doch wer schießt auf die Leute?
Im Protestlager sind viele Soldaten der Armee, auch Polizisten solidarisieren sich mit den Demonstranten. Man sieht sie mit irakischer Fahne durch die Stadt fahren - eine eindeutige Sympathiebekundung. Das sei auch der Anwaltskammer zu verdanken, meint ihr Vorsitzender. "Die Juristen unserer Vereinigung haben sich ebenfalls auf die Seite der Protestbewegung gestellt", sagt Saadi, "wir haben zwei Stände am Tahrir, kommen mit den Leuten ins Gespräch. Eine Gruppe von Anwälten kümmert sich um verhaftete Demonstranten". Stolz erzählt er, dass sie bereits mehr als 100 Menschen wieder freibekommen haben. Mit Überzeugungsarbeit wollen sie Polizisten und Soldaten dazu bringen, nicht gegen Demonstranten vorzugehen, sich nicht zum Instrument der Regierung machen zu lassen.
Schüsse gegen Schläfen und Brust: "Absicht, zu töten"
Artikel neun der 2005 in Kraft getretenen irakischen Verfassung verbietet Einsätze der Sicherheitskräfte gegen die Bevölkerung, für deren Schutz sie verantwortlich sind. Wörtlich heißt es: "Irakische Armee und Polizei dürfen nicht als Instrument gegen das irakische Volk eingesetzt werden." Doch genau das geschieht. "Die irakische Regierung verletzt die Verfassung", sagt Dhia al-Saadi.
"Destour", das arabische Wort für Verfassung, fällt dieser Tage oft am Tahrir Platz. Die Demonstranten fordern ihr Verfassungsrecht ein. Überhaupt geht es bei diesen Protesten auch um Bürger- und Menschenrechte. "Wir wollen, dass sich die Politiker an unsere Verfassung halten", fordert eine Gruppe Lehrerinnen, die sich am Tahrir versammelt hat und ein Pamphlet hochhält. Es geht auch um das Verfassungsrecht auf Bildung, das die Frauen nicht ausreichend verwirklicht sehen. Es gibt T-Shirts zu kaufen, auf denen steht: "Ich will meine Rechte!"