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Totale Blockade in Bolivien

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Eine Woche nach dem Rücktritt von Präsident Morales stehen sich die beiden Lager unversöhnlicher denn je gegenüber.


Hier, in Yapacani, geht nichts mehr weiter. Eigentlich ist das Dorf ein äußerst wichtiger Verkehrsknotenpunkt in Bolivien, Aber in Yapacani hat die Mehrheit der Bewohner auch indigene Wurzeln - und tendiert damit zum Lager von Evo Morales, der bis vor kurzem der erst indigene Präsident des Landes gewesen war.

Seit Tagen haben Morales-Unterstützer in Yapacani die Brücke blockiert, die den andinen Regierungssitz La Paz, mit der westlichen Provinz Santa Cruz in der tropischen Ebene verbindet.

Für Autos und Lkw gibt es auf dieser wichtigen Verkehrsachse kein Durchkommen mehr. Lokale Unternehmen klagen über Einnahmeverluste, die Provinzhauptstadt Sierra Cruz de la Sierra, mit einer mehrheitlich weißen Bevölkerung, spürt die Versorgungsengpässe genauso wie auch die Stadt La Paz.

So wie hier in Yapacani, nordwestlich von Sierra Cruz de la Sierra, sieht es an vielen Stellen in Bolivien aus. Gegner und Befürworter des inzwischen nach den umstrittenen Wahlen vom 20. Oktober zurückgetretenen und nach Mexiko ins Exil gegangenen Präsidenten Evo Morales blockieren sich gegenseitig.

Das Misstrauen sitzt tief und es ist keine gesellschaftliche Kraft, keine Persönlichkeit in Sicht, die genug Anerkennung und Integrität hat, um beide Lager wieder versöhnen zu können.

In Yapacani fordern die Aktivisten den Rücktritt der konservativen weißen Übergangspräsidentin Jeanine Añez, die sie für die Gewalt bei Ausschreitungen in Cochabamba vom vergangenen Freitag verantwortlich machen, bei der neun Menschen ums Leben kamen.

Vor allem aber werfen die Demonstranten Añez vor, Symbole der indigenen Kultur, etwa die Wiphala-Flagge, zu diskriminieren. Añez ist in der Vergangenheit mit despektierlichen Kommentaren über Indigene aufgefallen. Sie holen die Politikerin nun ein. In ihrem Übergangskabinett befindet sich kein einziger indigener Politiker. Dabei verfügt Bolivien über den größten indigenen Bevölkerungsanteil in Lateinamerika - mehr als die Hälfte bezeichnet sich als indigen, dazu kommen noch rund 30 Prozent, die sich als Mestizen sehen.

Und im indigenen Teil Boliviens hat Añez schon wenige Tage nach ihrem vom Verfassungsgericht (aber nicht von der Mehrheit des Parlaments) abgesegneten Amtsübernahme ihren Kredit verspielt.

Trotzdem soll sie nun die Neuwahlen organisieren. Mit Unterstützung der EU und der Organisation Amerikanischer Staaten.

Zerstörte Wahlkampfzentrale

Zwei Autostunden entfernt von Yapacani, in der Provinzhauptstadt Santa Cruz, liegt die ehemalige Wahlkampfzentrale der sozialistischen Regierungspartei MAS in Trümmern. "Evo, Tyrann" haben die Gegner des Ex-Präsidenten auf die blaue Mauer des Hauses geschrieben, Vandalen zerstörten das Gebäude auf dem Höhepunkt der Proteste gegen Morales. Inzwischen ist es leer geräumt, kaputte Lampen hängen von der Decke, vor dem Gebäude liegen verkohlte Balken. Die tropische Hitze tut ihr Übriges: Kakerlaken laufen über den verlassenen Fußboden, Fliegen kümmern sich um Erbrochenes.

Die Zerstörer der Wahlzentrale kamen, als die Vorwürfe des Wahlbetruges gegen den damaligen Präsidenten Evo Morales immer lauter wurden.

Weder den Wahltag noch den Tag danach wird man in Santa Cruz, Hochburg der Opposition, je vergessen. Zuerst war Jubel ausgebrochen, als die Wahlbehörde eine Stichwahl in Aussicht stellte, die Morales angesichts der sich gegen ihn abzeichnenden Koalition wohl verloren hätte. Doch dann stoppte die Auszählung, plötzlich gab es kein Internet, keinen Strom mehr.

Am nächsten Tag lag Morales in der Auszählung plötzlich wieder vorne, der sich schon am Abend zuvor trotz gegenteiliger Trends zum Sieger im ersten Durchgang erklärt hatte. Das Bürgerkomitee "Pro Santa Cruz", eine Einrichtung, die es schon seit Jahrzehnten gibt, rief zum Generalstreik auf. Zu den Versammlungen an der Christus-Statue im Herzen von Santa Cruz strömten mehr als hunderttausend Menschen.

Komitee-Präsident ist Luis Fernando Camacho, ein erzkatholischer Anwalt, der in der Krise zum Gegenspieler von Morales wurde. Er musste seine Anhänger jüngst in einem Video aufrufen, auf die Verunglimpfung der indigenen Flagge zu verzichten.

Häuser in Flammen

In Bolivien ist nichts mehr, wie es war. Die extremen Kräfte beider Lager zünden sich gegenseitig die Häuser an. Ein Universitätsrektor, der von Morales-Anhängern unmittelbar nach der Wahl blutig geprügelt wurde, musste später mit ansehen, wie sein Haus in Flammen aufging. Auch einem indigenen Gewerkschaftsführer, der Morales öffentlich Wahlbetrug vorgeworfen hatte, fackelten sie das Haus ab. Genauso brutal reagiert die Gegenseite. Morales-Gegner attackierten die Wohnungen und Häuser von MAS-Funktionären und Politikern.

Übergangspräsidentin Añez wirkt mit Amt und Aufgabe überfordert, ihr gelingt es bisher nicht, Sicherheit und Ordnung im Land wiederherzustellen. Dafür trifft sie politische Entscheidungen, die eigentlich nur ein vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt treffen kann: Die 52-Jährige führt ihr Land aus Staatenbündnissen heraus und erkennt den venezolanische Oppositionsführer Juan Guaidó als Interimspräsidenten an.

Wohin die Reise Boliviens geht, ist noch völlig unklar. In Yapacani haben die Demonstranten auf der Brücke einen interessanten Vorschlag. Sie fordern, dass Morales zurückkehrt und seine Präsidentschaft zu Ende bringt. Eine erneute Kandidatur von Morales bei bereits ausgerufenen Neuwahlen wollen aber auch sie nicht. Die Demonstranten spüren, dass die Zeit des Präsidenten Morales endgültig vorbei ist.