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Mehr als ein Faustkampf!

Von Michael Schmölzer

Politik

Politiker boxen und Boxer gehen in die Politik. Diktaturen spannten erfolgreiche Faustkämpfer vor den jeweiligen ideologischen Karren. Wer nicht mitspielte, wurde auch in Demokratien sanktioniert - wie "the greatest", Muhammad Ali.


Herbert Kickl ist eine Kämpfernatur und hat viel Dampf hinter seinen Schlägen: Man werde die "Roten und Schwarzen rupfen und panieren", teilte er beim FPÖ-Parteitag im September dieses Jahres mit. Um sofort nachzusetzen: "Die, die du nicht niederclinchst, in deiner Art (gemeint war FPÖ-Parteichef Norbert Hofer, Anm.), die kriegen von mir eine Gerade oder einen rechten Haken."

Die Ansage war großsprecherisch, das Wahlergebnis niederschmetternd. Immerhin bekamen die Österreicher die einmalige Gelegenheit, sich den blauen Ex-Innenminister in Shorts und Boxhandschuhen vorzustellen. Nun ist die FPÖ angeschlagen. Dass Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos je wieder auf die Beine kommt, ist nicht sehr wahrscheinlich.

Der amtierende kanadische Premier Justin Trudeau ging da anders zur Sache. 2012 kündigte er Prügel für einen politischen Gegner an - und ließ prompt Taten folgen. Der liberale Politiker, damals noch Abgeordneter, stieg in den Ring und brach seinem Kontrahenten, dem konservativen Senator Patrick Brazeau, das Nasenbein.

Der Kampfverlauf war dramatisch: Brazeau galt als haushoher Favorit, er deckte Trudeau in Runde eins mit Schlägen ein, der drehte in Runde zwei aber den Spieß um. In der dritten Runde hing Trudeaus Gegner wehrlos in den Seilen und der Ringrichter - dieser war kein Politiker - beendete den Kampf. Finanziell war die Sache ein Erfolg, die Börse der beiden Kämpfer wurde für wohltätige Zwecke gespendet.

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Politik, so scheint es, hat mit Boxen mehr zu tun, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Schließlich müssen die Volksvertreter nicht nur austeilen, sondern auch einiges einstecken. Wer da ein "Glaskinn" hat, ist für den Job nicht geeignet. Vor entscheidenden Wahlen steigen die Spitzenkandidaten zum TV-Duell in den Ring, es gibt dabei Punktesiege, wie ihn etwa Hillary Clinton bei einer Begegnung 2016 über Donald Trump erringen konnte. Ganz selten geht einer k.o., meistens enden die Begegnungen mit einem Unentschieden. Jeder sieht seinen Favoriten als Sieger vom Platz gehen.

Untrainiert geht kein Politiker ins Gefecht. Ein Stab an Trainern kümmert sich um den Kandidaten, er wird auf den Stil des Gegners vorbereitet, wird beschworen, angriffiger zu agieren oder doch lieber öfters die Deckung hochzunehmen, um nicht in den Schlaghagel des Gegners zu rennen. Man wartet auf den Fehler, den es auszunutzen gilt.

Nicht nur, dass Politiker häufig nach Regeln des Boxens handeln. Es hat in der Vergangenheit immer wieder passionierte Boxer in die Politik gezogen. So war US-Präsident Theodore Roosevelt in seinen Studententagen ein begeisterter Faustkämpfer, bis er bei einem Sparring so schwer am Auge verletzt wurde, dass er teilweise erblindete. Box-Weltmeister Vitali Klitschko wechselte in die ukrainische Innenpolitik und schlägt sich nun als Bürgermeister von Kiew mit kommunalpolitischen Streitfragen herum. Auch der umstrittenste slowakische Politiker der jüngeren Geschichte, Wladimir Meciar war einst Amateurboxer.

Max Schmeling, von den Nazis hofiert

Im Normalfall ist es freilich so, dass sich Boxer um Politik nicht kümmern. Dann kann es passieren, dass sich die Politik um die Boxer kümmert. Bestes Beispiel ist die deutsche Box-Legende, der Weltmeister der 30er-Jahre, Max Schmeling. Der damals als sympathisch und unkompliziert bekannte Sportler wurde vor den NS-Propagandakarren gespannt wie kein anderer.

So hat Adolf Hitler nach seiner Machtübernahme 1933 keine Zeit verloren und den aufstrebenden deutschen Profiboxer, der meist in den USA kämpfte, in die Reichskanzlei zum Essen eingeladen. Dort, so Schmeling in seinen schriftlichen Erinnerungen, seien auch Hermann Göring, Josef Goebbels und die NS-Größe Franz von Papen gewesen. Hitler habe ein Anliegen gehabt und ihn "beiläufig" gebeten, den "Schwarzsehern" in den USA zu sagen, dass in Deutschland "alles zum Besten" stehe und alles friedlich sei. Tatsächlich fanden damals die ersten großen antisemitischen Ausschreitungen statt. Politische Gegner kamen ins KZ. Der Schmeling-Biograf Volker Kluge rechnet den Boxer zu den "Verblendeten". Tatsache ist, dass Schmeling und dessen Frau Anny Ondra zu Goebbels’ Freundeskreis zählten.

Für viele in den USA war Schmeling wiederum ein "Mann Hitlers", den es nach Strich und Faden zu verprügeln galt. Als Schmeling im Yankee-Stadion gegen den Amerikaner Max Baer kämpfen sollte, der von der NS-Presse als "Halbjude" beschimpft worden war, meinte Baer, jede Rechte, die er gegen Schmeling ins Ziel bringen werde, werde ein Schlag auf Hitler sein. Er wollte den Deutschen stellvertretend für Hitler grün und blau schlagen.

Bei dem Kampf am 8. Juni 1933 trug Baer einen großen Davidstern auf seiner Hose. Schmeling sah sich in den USA mit Boykottaufrufen konfrontiert und wurde von Demonstranten als "Parade-Arier" verhöhnt. In der zehnten Runde des Kampfes gegen Baer ging Schmeling zu Boden und der Ringrichter brach den Kampf ab.

Vor dem Kampf gegen den US-Boxer Joe Louis, genannt "Brauner Bomber", der damals als unbezwingbar galt, wurde Schmeling von den Nazis zur arischen Hoffnung im direkten Duell mit dem "Untermenschen" schlechthin hochstilisiert. Wobei in den 30er-Jahren Rassismus auch in den USA völlig normal war. Schwarze wurden auch dort als minderwertig betrachtet, überall diskriminiert und nur akzeptiert, wenn die "bescheiden und demütig" auftraten.

Vor dem Kampf hieß es in Deutschland, Schmeling wäre das "letzte Bollwerk" gegen eine "große, schwarze Welle im Boxsport". Die Quote vor dem Kampf war allerdings 1:5 gegen Schmeling, von 500 US-Experten tippte nur einer auf den Deutschen. Der Außenseiter siegte durch k.o. in der 12. Runde und wurde triumphal im Zeppelin nach Hause gebracht. Hitler war euphorisch, Schmeling war wieder beim Führer zum Tee eingeladen und musste vom Kampf erzählen.

Jetzt war die Stunde der großen Demagogen gekommen. Das Kampfblatt der SS, "Das Schwarze Korps" schrieb: "In den Seilen wurde mehr als nur ein Boxkampf ausgetragen, hier standen einander Schwarz und Weiß gegenüber und alle Feinde des neuen Deutschlands, gleich welcher Hautfarbe, sie rechneten mit dem brutalen Niederschlag des Deutschen." Die Gegner des Nationalsozialismus seien getroffen, es wäre um das "Ansehen Deutschlands" gegangen.

Zur Belohnung für seinen Sieg durfte Schmeling mit Hermann Göring auf die Jagd gehen. Auch wurde ein Propagandafilm gedreht. Wobei die Nazis schwer damit zu ringen hatten, dass Schmeling mit Mike Jacobs einen jüdischen Manager hatte und sich von diesem nicht trennen wollte. Trotzdem wurde der Boxer von den Nazis propagandistisch nach Strich und Faden benutzt.

Und wieder fallengelassen. Denn die Sache erwies sich als zweischneidiges Schwert: Als Schmeling beim Retourkampf gegen Louis schon in der der ersten Runde schwer k.o. ging, war es auch mit der Begeisterung und dem deutschnationalen Nazi-Pathos vorbei. Goebbels war jetzt in einer peinlichen Lage und gab die Order heraus, dass es sich hier ganz eindeutig um die Niederlage des Boxers Schmeling und nicht um eine Niederlage Deutschlands handle.

Wer glaubt, dass die Vereinnahmung von Boxern durch die Politik der Vergangenheit angehört, der irrt. So sitzt etwa der prominente russische Boxer Nikolai Walujew, ein 2,13-Meter-Hüne mit Schuhgröße 52, für die Putin-Partei "Einiges Russland" im russischen Parlament. Walujew war Weltmeister der WBA im Schwergewicht und hat von 53 Kämpfen 50 gewonnen. Seit Dezember 2011 ist er Abgeordneter und voll des Lobes für seinen Präsidenten. In einem Interview mit der "Welt" meinte Walujew, er halte Putin für den besten Anführer des Landes. Dieser verstehe es, das Land zusammenzuhalten. Russland sei seine Heimat, so der Boxer, er sei bestrebt, dass Russland an Stärke gewinne. Er bewundere Putin und habe Respekt vor ihm.

In seiner neuen Funktion ist Walujew, der als Boxer seine Gegner einfach erdrückte, für Sport und Soziales, für Kinder und Jugendliche zuständig. Er hat Boxschulen eröffnet und organisiert Turniere für Amateure. Wesentlich für seinen politischen Erfolg ist, dass er nach der Pfeife des russischen Präsidenten tanzt.

"Kein Vietcong hat mich je ,Nigger‘ genannt"

Aus ganz anderem Holz war Cassius Clay alias Muhammad Ali geschnitzt. Der Afro-Amerikaner, der bis heute als bedeutendster Boxer aller Zeiten gilt, stellte sich gegen sein Land, das ihn in den Vietnam-Krieg schicken wollte. Und er nahm dafür die Konsequenzen, die erheblich waren, in Kauf.

Er habe keine Rechnung mit dem Vietcong offen, so Ali: "Kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt", begründete er seine Wehrdienstverweigerung gegenüber Journalisten. Damit wurde er mit einem Schlag zur definierenden Figur der Gegenkultur der 60er-Jahre. Und zu einer eminent politischen Persönlichkeit, zum "Gesicht einer Kulturrevolution", die eliminiert werden sollte. Wobei sich Ali selbst nie als "Anführer" sah. Später meinte er: "Ich wollte nur frei sein."

Für die US-Behörden wurde Ali schrittweise gefährlicher. Immer mehr junge Leute wollten nicht nach Indochina und desertierten. Die Fälle von Sabotage häuften sich. Fallweise kam es zu Exzessen wie "Fragging", wobei US-Soldaten ihre Vorgesetzten mit Handgranaten in die Luft sprengten - und den Angriff dann dem Vietcong in die Schuhe schoben. Viel wichtiger war aber die friedliche Antikriegsbewegung, die in den Vereinigten Staaten von Amerika Fuß fasste.

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Immer mehr schwarze US-Amerikaner stellten sich die Frage, warum sie für ein Land in den Krieg ziehen sollten, das sie nicht als vollwertige Bürger respektierte.

Damit gingen auch die Kämpfe, die Ali bestritt - etwa der "Thrilla in Manila", oder "Rumble in the Jungle" - weit über das Sportliche hinaus. Für den "Zeitzeugen" und Publizisten Robert Misik etwa gehören die Ali-Kämpfe zu den "ersten und schönsten Kindheits-Erinnerungen". Er sei ein "Monument seiner Zeit", gewesen, "Rebell, charismatische Figur und Großmaul".

In der Tat sind die Sprüche Alis, mit denen er sich selbst Mut machte und den Gegner verhöhnte, legendär. Genauso wie die tänzelnden Bewegungen in Ring, der "Ali-Shuffle" und die demonstrativ hängende Deckung, mit der er seine Gegner zur Weißglut reizte. Der wusste oft nicht, ob Ali nun wirklich angeschlagen war oder nur so tat, um einen Fehler des Kontrahenten zu provozieren.

Für Misik brachte Ali "Eleganz in die Rohheit", der Kampf wurde zu einem Theaterstück. Nachdem Ali als Wehrdienstverweigerer vor Gericht gestellt wurde, ihm der Titel aberkannt worden war und er drei Jahre keine wichtigen Kämpfe mehr bestreiten durfte, holte er sich am 30. Oktober 1974 die Box-Krone in Kinshasa zurück. Der Kampf "Rumble in the Jungle" gegen den jungen George Foreman, der damals als unschlagbar galt, ging in die Geschichtsbücher ein. Ali kämpfte von Beginn an extrem riskant, setzte Cross-Schläge, die dem Gegner die Möglichkeit zum Konter geben, und ließ sich von Foreman an die Seile drängen und mit einem Schlaghagel eindecken, der die Ali-Fans um ihr Idol bangen ließ.

Foreman geriet in Rage, verlor Energie, bis er von Ali die entscheidende Kombination einstecken musste. Wobei der Champ auf den dritten Schlag verzichtete, um, so Misik, die Schönheit des kämpferischen Gesamtkunstwerkes nicht zu zerstören.

Der Kampf machte Ali unsterblich, nachdem das weiße US-Establishment den Afroamerikaner vernichten wollte, weil er sich auf die Seite der Antikriegsbewegung gestellt hatte und damit politisch gefährlich geworden war. Noch am 28. April 1967, dem Tag, an dem er seine Einberufung verweigerte, wurde ihm die Box-Lizenz und damit die Lebensgrundlage entzogen. Ende Juni wurde er in einer patriotisch aufgeladenen Stimmung zu fünf Jahren Haft und einer Geldbuße von 10.000 Dollar verurteilt, blieb aber auf Kaution frei.

Kommunisten wollten ihre Überlegenheit demonstrieren

Abseits davon ist die Bedeutung des Boxens als Breitensport je nach den politischen Gegebenheiten eine andere. So wollen Diktaturen die Überlegenheit ihres Systems für gewöhnlich auch dadurch unter Beweis stellen, dass sie in der Lage sind, überlegene Sportler hervorzubringen. Das galt für die Nazis und in gewissem Sinn auch für die kommunistischen Regimes bis 1989.

Wobei die Nationalsozialisten nicht nur die arische Überlegenheit demonstrieren, sondern die männliche Jugend vor allem zu künftigen Soldaten erziehen wollte. Man wünschte keine "geistreichen Schwächlinge", sondern körperlich gestählte Schüler. Ziel der körperlichen Ertüchtigung im Turnunterricht waren die Vermittlung von "Kraftgefühl und Kampfeshaltung". Und gerade das Boxen, das in der Weimarer Republik in den Schulen verboten war, schien den Nationalsozialisten für die Erreichung ihrer Ziele geeignet. Laut Hitler wurde durch Boxen die "blitzschnelle Entschlusskraft" ebenso gefördert, wie die Fähigkeit, "auch Schläge ertragen zu lernen". So wurde an den Schulen geboxt und Boxsportler als Lehrer verpflichtet.

Später, in Erich Honeckers DDR, spielte das Boxen ebenfalls eine weit bedeutendere Rolle als im Westen. Boxen eignete sich für die Kommunisten perfekt, um im direkten Aufeinandertreffen die Dominanz ihres Systems zu demonstrieren. Der ehemalige deutsche Boxchampion Axel Schulz ist in Ostdeutschland aufgewachsen und dort im zarten Alter von elf Jahren mit dem Boxsport in Berührung gekommen - zufällig. Ursprünglich wollte er Fußballer werden, dann versuchte er es mit Schwimmen und Leichtathletik.

In Österreich fristete der Boxsport in den vergangenen Jahrzehnten ein Schattendasein. Wobei es Momente gibt, in denen sich Politiker tatsächlich auch hierzulande dem Faustkampf zuwenden. Etwa, als im Juni 2018 zu Ehren des österreichischen Boxers, Welt- und Europameisters Edip Sekowitsch im 22. Wiener Gemeindebezirk ein Weg eröffnet wurde. Der damalige Vizekanzler und Sportminister Heinz-Christian Strache hielt eine Rede zu Ehren des verdienten Sportlers, der 2008 vor seinem Lokal am Wiedner Gürtel von einem betrunkenen Tschetschenen erstochen worden war.

Anwesend waren neben dem ehemaligen FPÖ-Politiker Peter Westenthaler das Who-is-Who des österreichischen Boxsports. Präsentiert wurde die Initiative "Stoppt Gewalt an Schulen", die seinerzeit von Sekowitsch gegründet worden war.

Wobei der Kampfstil des gebürtigen Serben von den Anwesenden als durchaus "blutig" beschrieben wurde. So bestätigte Sekowitschs Ex-Manger, dass an die Zuschauer der ersten Reihen Plastikschürzen ausgeteilt wurden, um Flecken zu vermeiden.