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Geld gewinnt auch in den USA keine Wahlen

Von Walter Hämmerle

Politik

Der US-Experte Michael Werz im Gespräch über die US-Demokratie im Umbruch und die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen.


Donald Trump ist nur das hervorstechendste Symptom. Die Ursachen für die Umbrüche im politischen System der USA gehen weit tiefer. Davon jedenfalls ist der Philosoph und Politikwissenschafter Michael Werz überzeugt. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" analysiert er die Entwicklungen bei Republikanern und Demokraten. Und er erklärt, warum eine Kandidatin der Demokraten die besten Chancen hat, Trump im November 2020 zu schlagen.

"Wiener Zeitung": Die Berichterstattung in Europa über die USA konzentriert sich auf die Fehler und Defizite Donald Trumps. Ist das gerechtfertigt?Michael Werz: Ich kann das nur aus der Binnenperspektive der USA betrachten, und für die gilt zweifellos: Diese Präsidentschaft ist eine Zäsur im politischen System und im Institutionengefüge der USA, die vor allem negative und zum Teil irreversible Folgen nach sich gezogen hat. Donald Trump hat den politischen Grundkonsens aufgekündigt, der die USA seit ihrer Gründung geprägt hat.

Worin bestand dieser Grundkonsens?

In der Überzeugung, dass Herkunft nicht entscheidend ist, individuelle Freiheiten geschützt werden muss und der Staat zwar keine überbordende, aber doch eine wichtige Rolle spielt. All das ist nun in Frage gestellt. Und noch etwas spielt eine entscheidende Rolle: Der Präsident hat sich die Republikanische Partei in einer Form angeeignet, dass diese nicht mehr wiederzuerkennen ist.

Aber die Republikaner waren schon 2016 längst nicht mehr die Partei Ronald Reagans oder der Familie Bush. Die "Tea Party"-Bewegung entstand 2009 und drängte die Republikaner in eine ganz neue Richtung.

Ja, und dieser Veränderungsprozess der Konservativen reicht sogar noch weiter zurück, nämlich bis in die frühen 1960er. Als der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson (1963 bis 1969) die Bürgerrechtsgesetze unterzeichnete, erlebten die Republikaner ohne eigenes Zutun einen erheblichen Zulauf von sehr konservativen und die neuen Bürgerrechte ablehnenden Südstaaten-Demokraten. Johnson war sich dessen bewusst; er wusste, dass die Demokraten nun für eine Generation den Süden verlieren würden. Tatsächlich waren es dann sogar zwei Generationen. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass zahlreiche sehr konservative, ländliche und wenig gebildete Südstaatler zur Republikanischen Partei gekommen sind. Nur deshalb konnte ab den 1980ern diese besondere Form des fundamentalistischen US-Protestantismus innerhalb der Partei so stark werden. Und das war dann auch der Boden, auf dem ab den 1990ern die Vorläufer der "Tea Party" zu sprießen begannen.

Aber wie konnte es dieser fundamentalistischen Bewegung gelingen, die Republikaner schließlich zu dominieren?

Die Republikaner hätten die Chance gehabt, zur Variante einer recht normalen konservativen, christdemokratischen Partei zu werden. Doch die Wahl des Demokraten Barack Obamas 2008 hat hier zu einer Radikalisierung geführt, und seine Wiederwahl 2012, die er eigentlich hätte verlieren müssen, wenn es allein nach der wirtschaftlichen Situation gegangen wäre, hat das dann noch einmal verstärkt. Von diesem Moment an wuchs an der fundamentalistischen Basis der Republikaner die Überzeugung, das politische System des Landes sei verrottet, es geschehe nichts, man brauche einen Ruck, einen Bruch, der die Menschen aufrütteln solle. Und so kam es, dass sich diese Gruppen bei den Vorwahlen 2016 hinter dem Kandidaten Trump versammelten.

Was bedeutet diese Gegenwart für die Zukunft des US-Parteiensystems?

Nun, bei den Republikanern ist dieser Neustrukturierungsprozess auf geradezu erschreckende Weise fast abgeschlossen. Unter den eingeschriebenen Mitgliedern hat Trump rund 80 Prozent Unterstützer. Und diese Dominanz führt wiederum dazu, dass die verbliebenen moderaten Republikaner in der Tradition Abraham Lincolns so viel Angst vor ihren Wählern haben, dass sie sich nicht mehr trauen, den Präsidenten zu kritisieren. Hinzu kommt die generell geradezu wahnwitzige Situation, dass sich alle Mitglieder des Repräsentantenhauses alle 24 Monate den Wählern stellen müssen.

Auch die Demokraten unterliegen einem starken Veränderungsprozess. Wohin entwickelt sich die andere große Partei der USA?

Ja, auch hier erfolgt ein grundlegender Wandel, allerdings in einer weniger polarisierenden Form. Die ungeheure Anzahl demokratischer Bewerber für die Präsidentschaftswahlen 2020 - zu Anfang waren es rund zwei Dutzend - zeigt, dass es auch hier ein Bedürfnis nach politischer Neuorientierung gibt. Die Richtung geht hin zu einer nach europäischen Maßstäben sozialliberalen Partei. Dieser Prozess ist allerdings noch längst nicht abgeschlossen, und einer ihrer wesentlichen Motoren ist Bernie Sanders, der viele junge Menschen zum Engagement bei den Demokraten geführt hat.

Allerdings ist der 78-jährige Senator Sanders gar nicht Mitglied der Demokraten, sondern ein formal unabhängiger Politiker.

Es stimmt, dass Sanders nie Mitglied war oder Spenden für die Demokraten gesammelt hat. Zudem hat er in den Vorwahlen 2016 diese harte Auseinandersetzung mit Hillary Clinton geführt und sich bisher stets geweigert, demokratische Kandidaten der politischen Mitte zu unterstützen. Trotzdem ist Sanders eine enorm wichtige Stimme des erweiterten sozialliberalen Lagers in den USA; er ist Mitglied der demokratischen Führungsgruppe im Senat und hat die Debatten innerhalb der Partei wie kein anderer in den vergangenen Jahren beeinflusst.

Halten Sie es für möglich, dass sich das strikte Zwei-Parteien-System der USA aufgrund all dieser Entwicklungen grundlegend verändert?

Es wird auf jeden Fall bei einem Zwei-Parteien-System in den USA bleiben, weil ich es für denkunmöglich halte, dass sich eine dritte Partei oder ein unabhängiger Kandidat die Präsidentschaft sichert. Das geht schon rein logistisch nicht: Die Wahl findet in 50 Bundesstaaten statt, Parteien müssen sich in allen 50 Staaten registrieren. Zur Finanzierung braucht man nicht nur Großspender, sondern auch Millionen von Kleinspendern, die die Kampagnen vor Ort unterstützen. Und um Chancen für einen Sieg zu haben, braucht es ein Netzwerk an lokalen Akteuren, die für die Kandidaten rennen und werben. Wir dürfen nicht vergessen, dass die USA ein Staat von kontinentalem Ausmaß sind, der noch dazu kulturell und sozial weit heterogener als die EU ist. In Summe bedeutet all dies, dass sich die Verwerfungsprozesse, die sich in Europa parteipolitisch akzentuieren, in den USA innerhalb der beiden großen Parteien abspielen.

Wie meinen Sie das?

In Deutschland oder Österreich kennen wir eine ausdifferenzierte Parteienlandschaft von Rechts bis Links. Diese Differenzierung erfolgt in den USA innerhalb der beiden großen Parteien. Das führt dazu, dass sie in einer einzigen Partei wie den Demokraten einen liberalen Flügel haben, der in Deutschland in etwa der FDP entsprechen würde, eine Ökobewegung á la Grünen, ein wirtschaftsnahes Lager wie die CDU, aber auch - in der Person Sanders’ - eine starke Figur, die sich irgendwo zwischen Linkspartei und Grünen wiederfinden würde. Ich habe diese Struktur eigentlich immer für eine Stärke in Zeiten politischer Umbrüche gehalten, weil die Konflikte innerhalb der Parteien stattfinden, und hier auch die Kompromisse gefunden werden müssen und man sich dann bei Wahlen um die breite Mitte streitet. Was ich - und viele andere - mir jedoch bis vor zweieinhalb Jahren nicht vorstellen konnte, war, dass eine einzelne Person wie Trump eine ganze Partei übernehmen könnte. Und was bei den Republikanern bereits geschehen ist, ist jetzt auch bei den Demokraten im Gang.

Welche Rolle spielen die finanziellen Mittel bei diesem Prozess?

Einfach zu sagen, man könne sich Wahlen heute mit genug Geld schlicht kaufen, ist zu simpel gedacht. Was stimmt, ist, dass die Summen, um die es geht, längst bizarr sind; mittlerweile heißt es ja, man brauche eine Milliarde US-Dollar, um Präsident werden zu können - verrückt. Aber Geld allein reicht nicht: Jeb Bush hatte in den Vorwahlen 2016 mit 120 Millionen Dollar das Zehnfache von Trump zur Verfügung und hat trotzdem verloren; Hillary Clinton verfügte im Vergleich zu Trump sogar über ein doppelt so hohes Wahlkampfbudget - und hat verloren. Ausgerechnet Trump hat also bewiesen, dass man sich Wahlen in den USA nicht kaufen kann. 2020 werden sich allerdings die finanziellen Strukturen des Wahlkampfs verändern, allein schon deshalb, weil etliche Kandidaten der Demokraten angekündigt haben, kein Geld von Großspendern anzunehmen. Möglicherweise kann das auch zu einem Vorteil führen, weil derzeit sehr viele Bürger bereit sind, selbst einen Beitrag zu leisten. Auch das ist eine in den USA typische Form des staatsbürgerlichen Engagements.

Es gilt als eherne politische Regel, dass nicht ideologische Aspekte, sondern die reale Wirtschaftslage ausschlaggebend dafür ist, ob ein amtierender Präsident wiedergewählt wird oder eben nicht. Dass also Ideologie überbewertet wird. Gilt diese Regel auch weiterhin?

Es ist schwer vorstellbar, dass die wirtschaftliche Lage im Herbst 2020 besser sein wird als heute, und das wird Trump schaden. Trotzdem unterstützen viele Farmer im Mittleren Westen, die unter Trumps Handelspolitik leiden, immer noch den Präsidenten. Hier überwiegt also klar das ideologische Angebot, und das trifft für große Teile der prosperierenden weißen Mittelschicht zu. Es gibt also sowohl links wie rechts Wähler, die gegen ihre eigentlichen ökonomischen Interessen stimmen, weil ihnen die weltanschaulichen Argumente wichtiger sind. Und auch vielen Demokraten gefällt der Eindruck, dass Trump auf der Weltbühne für die Interessen der USA eintritt. Vor allem aber ist es dem Präsidenten gelungen, aus den Themenkombinationen Migration/Mexiko - Islam/Terrorismus - Handel/Globalisierung ein Dreieck der Angst zu formen. Sogar bürgerliche Mittelschichten, die eigentlich nicht bedroht sind, verlieren sich durch diese Strategie in ihren Ängsten und erliegen den eigenen autoritären Impulsen, von denen sie vielleicht gar nichts gewusst haben. Für die Demokraten im Süden spricht die Veränderung der demografischen Strukturen im Süden durch Zuwanderung. Gleichzeitig erleben wir, dass die besser gebildeten Kinder konservativer Eltern gerade im Süden tendenziell linker wählen.

Macht höhere Bildung die Menschen zu Linken?

Ja, in den USA jedenfalls derzeit schon, und das zeigt eine Trendwende an, die vor rund zehn Jahren begonnen hat. Bis dahin war Hochschulbildung ein starker Indikator für republikanische Positionen, jedenfalls so lange, wie sich diese Positionen in gemäßigten Bahnen bewegten. 2016 jedoch war die Höhe des Bildungsabschlusses der zweitwichtigste Indikator, um gegen Trump und für die Demokraten zu stimmen; der wichtigste Indikator war die autoritäre Disposition. Das ist für die USA etwas vollkommen Neues, weil die Demokraten jetzt Wählergruppen integrieren müssen, die sehr heterogen sind und über völlig unterschiedliche Interessenlagen verfügen: Zu den Migranten der ersten und zweiten Generation aus Lateinamerika kommen jetzt gebildete und gut verdienende Asiaten, weiße gute gebildete Mittelschichten, sodann die traditionelle weiße Arbeiterklasse, die schwarzen Bildungseliten und vor allem Frauen. Das ist eine ungeheuer breite und heterogene Koalition von Wählern, die alles andere als leicht zusammenzuhalten ist. Barack Obama ist das zweimal gelungen, Hillary Clinton gar nicht. Obama war schwarz genug, um einen überwiegend weißen Wahlkampf führen zu können; diesen Spagat hat bisher niemand mehr geschafft.

Wer wird für die Demokraten gegen Trump in den Ring steigen?

Ich glaube, dass Elizabeth Warren die besten Chancen hat. Es wird eine Wechselwahl werden, das schmälert die Aussichten von Joe Biden, weil er bereits seit 40 Jahren Teil der politischen Szene ist. Ob es für einen Sieg gegen Trump reicht, wird wesentlich auf die Wahl des Kandidaten für das Amt des Vize-Präsidenten ankommen. Die Feminisierung der US-Politik ist ebenfalls ein wichtiger Faktor: Mittlerweile übersteigt die Wahlbeteiligung der Frauen jene der Männer um 2,5 Prozent. Wenn Junge, Minderheiten und Frauen in großer Zahl wählen gehen, wird es für Trump sehr schwer, im November 2020 zu gewinnen.

Michael Werz, geboren 1964 in Deutschland, ist Senior Fellow am Center for American Progress in Washington. Der ausgewiesene Experte für die US-Politik ist zudem Mitglied der Atlantik-Brücke, einer Organisation, die sich engen Beziehungen zu den USA verpflichtet fühlt.