Zum Hauptinhalt springen

Nun ist Hongkongs schweigende Mehrheit am Wort

Politik

Die Bürger der chinesischen Sonderverwaltungszone wählen am Sonntag ihre Bezirksräte. Das Votum gibt auch Aufschluss darüber, wie sehr die Hongkonger die Proteste noch unterstützen.


Sie haben nur geringen Einfluss. Die Bezirksräte in Hongkong beraten die Regierung, wie diese das Wohlbefinden der Bürger verbessern kann. Es geht dabei um bauliche Vorhaben oder auch um gemeinschaftliche Aktionen.

Doch obwohl die Bezirksräte wenig bis gar nichts entscheiden können, gilt ihre Wahl am Sonntag als entscheidender Stimmungstest. Denn der Urnengang findet in einer nach den monatelangen Protesten aufgeheizten Atmosphäre statt, wie sie die einstige britische Kronkolonie seit ihrer Rückgabe an China 1997 nicht erlebt hat.

"Die Wahlen sind ein Referendum der schweigenden Mehrheit der Hongkonger, ob sie noch hinter den Protesten stehen", sagte Professor Willy Lam von der Hongkong Universität gegenüber Presseagenturen. Derzeit besetzt das regierungstreue Pro-Peking-Lager rund drei Viertel der Sitze. "Können die Demokraten in die Nähe der 50-Prozent-Marke rücken, wäre das ein riesiger Erfolg für sie", sagt Lam.

Welche Bedeutung die diesjährige Wahl für die Hongkonger hat, dokumentieren die Zahlen: 1104 Bewerber streiten sich um die insgesamt 452 Sitze in den 18 Bezirksräten - das sind so viele wie noch nie. Rund 60 Prozent der Wahlberechtigten haben sich für das einzig wirklich demokratische Votum in der Finanzmetropole registrieren lassen, und vor allem in den vergangenen Monaten kamen noch einmal Zehntausende dazu. Es wird daher mit einer Rekordbeteiligung bei dem Urnengang gerechnet.

Als die Proteste vor fast einem halben Jahr ausgebrochen waren, gingen beinahe zwei Millionen Hongkonger auf die Straßen. Damals wehrten sich die Bürger noch gegen ein Auslieferungsgesetz, das es ermöglicht hätte, von China verdächtigte und gesuchte Personen aus der Sonderverwaltungszone in die Volksrepublik zu überstellen. Das Vorhaben hat die Hongkonger Stadtregierung mittlerweile zurückgenommen. Die Demonstrationen richten sich nun gegen den wachsenden Einfluss des chinesischen Regimes auf die Stadt, der unter dem Schlagwort "Ein Land, zwei Systeme" demokratische Sonderrechte zugesichert worden waren. Getragen werden die Proteste mittlerweile vor allem von jugendlichen Aktivisten.

Radikalisierter Protest, Gewalt der Polizei

Diese greifen zu immer radikaleren Protestformen. Universitäten werden besetzt und verbarrikadiert, ganze U-Bahn-Stationen wurden zerstört und Straßenkreuzungen blockiert. Auf der anderen Seite setzt auch die Polizei stark auf Gewalt, verprügelt etwa laut Augenzeugen willkürlich Studenten, die sie nur verdächtigt, an Demonstrationen teilgenommen zu haben, setzt exzessiv Tränengas ein, was zu schweren Hautverletzungen führt. Bei der Wahl werden nun weiter Auseinandersetzungen und auch Angriffe auf Kandidaten von beiden Lagern befürchtet.

Jedenfalls wird der Urnengang einen Hinweis darauf geben, ob sich die Hongkonger nach mehr Stabilität sehnen und das durch die Wahl von Peking-treuen Kandidaten zum Ausdruck bringen. Oder ob sie es eher der pro-chinesischen Regierung übel nehmen, dass sie die Polizei derart agieren lässt.

Wird das demokratische Lager bei dem Votum gestärkt, würde das der Protestbewegung - innerhalb derer die meisten Demonstranten noch immer friedlich agieren - einen Schub geben. Aber auch ein Rückschlag bei den Wahlen wird die Demonstrationen nicht beenden. Denn viele Forderungen der Demokratiebewegung verschwinden mit der Bezirksratswahl nicht. Etwa die, dass auch der Regierungschef von den Bürgern frei gewählt wird. Diesen bestimmt nämlich ein 1200-köpfiges Komitee - und am Ende gewinnt immer ein Peking genehmer Kandidat.(klh)