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Pädophilie in Afghanistan: Die Rache trifft die Opfer

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik
Oft schweigen die Opfer aus Angst um die Ehre ihrer Familien.
© reu

Zwei Aktivisten enthüllten einen Kindesmissbrauchs-Ring in der Provinz Logar. Die beiden wurden festgenommen. Die Täter sind hingegen weiter auf freiem Fuß.


Dubai/Kabul. Seine Eltern wollten ihm lange nicht glauben. Also nahm der 17-jährige Schüler seinen Lehrer mit dem Handy auf, wie er Sex mit ihm verlangte. Der Lehrer und Schulleiter in der afghanischen Provinz Logar hatte dafür sogar einen Raum im Schulgebäude einrichten lassen. In der Provinz südlich der Hauptstadt Kabul sollen mindestens 546 Buben in sechs Schulen von Lehrern und anderen Autoritätspersonen zum Sex gezwungen worden sein.

Zwei Menschenrechtsaktivisten hatten auf einer Facebook-Seite mehr als 100 Videos entdeckt, auf denen die Verbrechen dokumentiert sind. Ein ganzer Pädophilen-Ring, so glauben Musa Mahamudi und Ehsanullah Hamidi, betreibe in der Provinz systematisch Missbrauch an Buben zwischen 14 und 20 Jahren. Nachdem der britische "Guardian" davon berichtet hatte, erregte der Fall auch in Afghanistan Aufsehen.

Doch statt der Täter wurden die beiden "Whistleblower" aufgegriffen - durch den afghanischen Nachrichtendienst NDS. Mahamudi und Hamidi waren am vergangenen Donnerstag auf dem Weg zu einem Treffen mit dem Botschafter der Europäischen Union Pierre Mayaudon in Kabul, als sie verschwanden. Amnesty International und Afghanistans Menschenrechtskommission fordern ihre sofortige Freilassung.

Die beiden Aufklärer müssen nun um ihr Leben fürchten. In ihrer Heimatprovinz gab es Protestkundgebungen gegen sie, weil sie die "Ehre der Menschen in Logar" beschmutzt hätten. Mehrere Kinder, die Opfer des Verbrecher-Rings wurden, sind bereits von Familienangehörigen oder den Tätern umgebracht worden.

Einer der Überlebenden sagte dem "Guardian" dass viele der Buben in Angst und Schrecken leben. "Die Menschen von Logar sind gegen uns", meint der 18-Jährige, der seinen Namen nicht nennen will. Der Schulleiter etwa, der den Raum in der Schule für den Missbrauch der Buben eingerichtet hatte, wurde zwar entlassen, hat aber inzwischen offenbar einen neuen Posten im Bildungsministerium gefunden.

Logars Provinzgouverneur Mohammad Anwar Ishaqzai behauptet, der Skandal sei erfunden, die Informationen falsch. Und der Nachrichtendienst NDS unterstellte den beiden Aktivisten, sie hätten sich die ganze Geschichte nur ausgedacht, um Asyl im Ausland beantragen zu können.

Sexueller Missbrauch ist in Afghanistan weit verbreitet. Die Praxis des "Bacha Bazi" (zu deutsch: Jungenspiel) gehört zu den dunkelsten Geheimnissen des Landes: Buben zwischen neun und 18 Jahren werden wie Mädchen angezogen und müssen vor einer Gruppe von Männern tanzen und ihnen später auch sexuell zu Diensten stehen.

Erst seit 2018 gilt diese Form der Kinderprostitution im strafrechtlichen Sinne als Verbrechen. Unter dem Taliban-Regime war sie verboten und wurde mit dem Tode bestraft.

Die Praxis erlebte nach dem Sturz der Taliban 2001 jedoch ein Comeback. Ein Sprecher der Taliban erklärte, in den Teilen der Provinz, die von den Aufständischen kontrolliert würden, würde ein solcher Missbrauch von Kindern nicht vorkommen. Ein Großteil von Logar steht jedoch unter der Herrschaft der Taliban.