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Proteste begleiten umstrittene Wahl in Algerien

Von Klaus Huhold

Politik

Protestbewegung ruft zu Boykott der Präsidentenwahl auf. Sie fürchtet, dass das Votum lediglich alten Verhältnissen eine neue Fassade gibt.


Algier/Wien. Wie umstritten die Präsidentenwahl in Algerien ist, das zeigten die Szenen, die sich am Donnerstag abspielten: In der Hauptstadt Algier demonstrierten trotz hoher Polizeipräsenz etwa zehntausend Menschen gegen die Abstimmung. Die Polizei hatte zuvor versucht, eine Kundgebung gewaltsam zu verhindern. Die versammelte Menge schaffte es jedoch, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen und auf einen symbolisch wichtigen Platz im Herzen der Stadt zu gelangen, berichtete die Nachrichtenagentur AFP. In einem Wahllokal musste sogar die Wahl, die heute, Donnerstag, stattfindet, kurzzeitig unterbrochen werden. Auch in der nördlichen Bergregion Kabylie wurden nach Augenzeugenberichten Wahllokale angegriffen und Wahllisten zerstört.

Seit einem Dreivierteljahr gehen jede Woche, mittlerweile von der Weltöffentlichkeit recht unbemerkt, in verschiedenen Städten hunderttausende Algerier auf die Straße, um gegen Korruption, gegen die Machthaber und für einen grundlegenden Wandel in dem nordafrikanischen 40-Millionen-Einwohner-Staat zu demonstrieren. Nun finden Präsidentenwahlen statt - und genau die Protestbewegung ist gegen das Votum. Denn sie fürchtet, dass die Wahlen dem alten System nur einen neuen Anstrich verpassen und dieselbe Elite die Fäden in der Hand behält.

Diese Elite nennen die Algerier "le pouvoir", die Macht. Das ist eine undurchsichtige Gruppe aus Militärs, Geheimdienstlern, Geschäftsleuten und Funktionären der regierenden Nationalen Befreiungsfront (FLN). Wahlen und das Parlament gelten nur als Fassade, hinter der sich dieser Zirkel das Land aufteilt.

Prozesse wegen Korruption

Zwar ist es den Demonstranten gelungen, im April diesen Jahres den Rücktritt von Präsident Abdelaziz Bouteflika, der 20 Jahre an der Macht war, zu erzwingen. Danach gab es aufsehenerregende Korruptionsprozesse - Bouteflikas Bruder Said, zwei ehemalige Geheimdienstchefs und zwei frühere Premiers mussten alle wegen undurchsichtiger Geschäfte ins Gefängnis marschieren. Aber viele Algerier sehen diese Vorgänge nur als Machtkampf innerhalb der Elite an.

Die fünf zu dieser Wahl zugelassenen Kandidaten verstärken noch einmal das Misstrauen gegen das Regime. Sie werden nämlich alle "le pouvoir" zugerechnet. Abdelmadjid Tebboune und Ali Benflis hatten beide schon einmal das Premiersamt inne. Von den restlichen drei Kandidaten waren zwei bereits Minister und einer ist ein früheres Mitglied des Zentralkomitees der FLN.

Deshalb geht es bei diesem Urnengang in erster Linie nicht darum, wer ihn gewinnt. Noch entscheidender ist, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfallen wird. Denn die Protestbewegung ruft zu einem Boykott auf - und dem könnten vor allem in den Städten viele Bürger folgen. Die FLN versucht hingegen, möglichst viele Wahlberechtigte zur Teilnahme zu bewegen und kann dabei am ehesten noch auf die Landbevölkerung zählen.

Es würde nicht verwundern, wenn das Regime nach der Wahl noch härter gegen die Protestbewegung vorgehen wird. Armeechef Ahmed Gaid Salah, der seit Bouteflikas Sturz der starke Mann im Land ist, hat schon klar gemacht, dass er die Wahl als Neustart sieht - was durchaus als Warnung an die Protestbewegung verstanden werden kann. Und Innenminister Salaheddine Dahmoune wetterte schon vor einigen Tagen, dass die Gegner dieser Wahl "Verräter, Schwule und Söldner" seien.

Dutzende Journalisten, Demonstranten und Aktivisten der - friedlichen - Protestbewegung wurden laut Menschenrechtsgruppen bereits verhaftet. Doch diese steht auf einem breiten Fundament. Hinter ihr stehen Arbeiter, Studenten und weite Teile der Mittelschicht. Denn auch die Wirtschaft schwächelt in dem vom Öl- und Gaspreis abhängigen Land - was für weiteren Unmut sorgt.