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Aufstand der Evangelikalen

Von Ronald Schönhuber

Politik

Die tiefgläubigen Christen zählen zu Trumps wichtigsten Wählern. Nun fordert ihr bedeutendstes Sprachrohr die Absetzung des Präsidenten.


Washington. Welchen Einfluss Billy Graham in den USA gehabt hat, wurde noch einmal deutlich, als der Mann, der wegen seines leidenschaftlichen Redestils auch häufig das "Maschinengewehr Gottes" genannte wurde, im Februar 2018 verstarb. Mit Donald Trump, George W. Bush und Bill Clinton reisten nicht nur ein amtierenden US-Präsident, sondern auch zwei seiner Vorgänger nach Charlotte, um dem evangelikalen Prediger in seiner Geburtsstadt die letzte Ehre zu erweisen.

Graham, der mit seinen über Jahrzehnte ausgestrahlten Radio- und TV-Shows hunderte Millionen Menschen erreicht hat, war dabei nicht immer so eindeutig politisch zuordenbar, wie es vielleicht nach außen hin den Anschein hatte. So war der aus einfachsten Verhältnissen stammende Pastor nicht nur Berater zahlreicher konservativer Präsidenten, sondern stand auch in intensivem Kontakt mit Demokraten wie Lyndon B. Johnson oder Bill Clinton.

Grahams Anhänger stehen dagegen bis heute nicht nur klar auf republikanischer Seite. Mit einem Anteil von knapp 25 Prozent an der Gesamtbevölkerung sind die Evangelikalen auch die zentrale Wählerbasis der Konservativen in den USA.

Doch die Liebe zu Trump, der beim letzten Mal 80 Prozent der Stimmen im Lager der tiefgläubigen Christen holen konnte, scheint derzeit zu bröckeln. So ist im 1956 von Graham gegründeten Magazin "Christianity Today" nun ein Leitartikel erschienen, der sich mit mehr als deutlichen Worten für eine Amtsenthebung von Trump ausspricht. "Der Versuch des Präsidenten, mit Hilfe des Führers eines fremden Landes einen politischen Gegner zu diskreditieren, ist nicht nur eine Verletzung der Verfassung", schreibt Chefredakteur Mark Galli. "Es ist auch zutiefst unmoralisch."

Galli geht auch sonst scharf mit Trump ins Gericht. "Allein der Twitter-Account des Präsidenten - mit seinen routinemäßigen Falschdarstellungen, Lügen und Verleumdungen - ist ein nahezu perfektes Beispiel für einen Menschen, der verwirrt und moralische verloren ist", heißt es in dem Leitartikel in "Christianity Today", der Trump auch sein "unmoralisches" Verhalten im Geschäftsleben und gegenüber Frauen vorwirft.

Für Galli wiegt all das deutlich schwerer als Trumps Einsatz für die Interessen der Religionsgemeinschaft. Die vielen Evangelikalen, die Trump trotz seiner verheerenden moralischen Bilanz noch unterstützen, sollten sich daher erinnern, wer sie sind und wem sie dienen. "Denn wenn wir unseren Kurs jetzt nicht ändern, wie soll das, was über Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit sagen, in den kommenden Jahrzehnten ernst genommen werden?"