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Bis an die Zähne bewaffnet

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Im Bürgerkriegsland Libyen hat General Haftar zum letzten Gefecht gegen die Regierung in Tripolis geblasen. Die Schlacht droht blutig zu werden, denn das Land besitzt eines der größten Waffenarsenale weltweit.


Handfeuerwaffen, Drohnen, Land- und Seeminen, Trägersysteme, Satellitenkommunikationssoftware und jede Menge Raketen: Im Bürgerkriegsland Libyen gibt es all das en masse. Milizen und politische Gruppierungen arbeiten Hand in Hand und machen regen Gebrauch von den tödlichen Instrumenten. Hinzu kommen organisierte kriminelle Banden und islamistische Dschihadisten, die ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet sind. Und dies alles trotz des seit 2011 bestehenden Waffenembargos, verhängt durch die Vereinten Nationen, eben um diese Anarchie der Waffen zu stoppen und einen friedlichen Übergang Libyens von der Diktatur Muammar al-Gaddafis zu einem demokratischen Rechtsstaat zu schaffen. Doch das Gegenteil ist geschehen. Libyen besitzt derzeit eines der größten Waffenlager der Welt und ist Hauptumschlagplatz für illegalen Waffenhandel.

In seinem Bericht vor dem Sicherheitsrat in New York Mitte November drückte der UN-Sonderbeauftragte für Libyen, Ghassan Salame, seinen Frust darüber aus, dass das Embargo massiv gebrochen wird und alles, "von Ersatzteilen für Fliegerbomber bis zu Panzern, von Kugeln bis zu Präzisionswaffen, nach Libyen gebracht wird, um die dort kämpfenden Parteien zu unterstützen". Zeitgleich informierte die Kommission der Afrikanischen Union bei einem Treffen in Algier über die "fortschrittlichsten Waffen", die über Libyen in den Rest des Kontinents gelangen und Terrororganisationen in Afrika damit versorgen. Mittlerweile würden Drohnen von Terrorgruppen gegen staatliche Sicherheitskräfte und Zivilisten wie selbstverständlich eingesetzt.

Der in Libyens Hauptstadt Tripolis ansässige High Council of State (Hoher Staatsrat) legte nach und veröffentlichte eine konkrete Zahl. Demnach gibt es 23 Millionen Waffen in dem 6,8 Millionen Einwohner zählenden Land. Auf jeden Libyer kommen demnach statistisch mehr als drei Waffen.

Ankara mischt mit

Mit dem beabsichtigten Eintritt der Türkei in den libyschen Bürgerkrieg wird das Waffenarsenal abermals vergrößert. Noch diese Woche könnte das Parlament in Ankara darüber entscheiden, ob türkische Truppen in den Mittelmeerstaat einrücken, um die von Milizen bedrängte Regierung in Tripolis zu unterstützen.

Die Bewaffnung der Milizen und anderer Parteien im libyschen Konflikt erfolgte nach dem Sturz Gaddafis und dem Zusammenbruch des Regimes, als riesige Waffendepots der Armee des Diktators geplündert worden waren. Davon profitierte auch Generalfeldmarschall Khalifa Haftar, der heute den Osten Libyens kontrolliert und nun zum Sturm auf die Hauptstadt Tripolis bläst. Während der Herrschaft Gaddafis war der 76-jährige Offizier in den 1980er-Jahren militärischer Befehlshaber im libysch-tschadischen Grenzkrieg. Seit Mai 2014 ist er Befehlshaber der Libysch-Nationalen Armee (LNA), einer der Schlüsselfiguren im jetzigen Bürgerkrieg. Die Zweiteilung des Landes in einen Ostteil und einen Westteil trägt maßgebend seine Handschrift.

Haftar ist der Herr des Ostens, während Fayiz as-Sarradsch den westlichen Landesteil mit der Hauptstadt kontrolliert. Durch die Teilung des Landes, den durch sie bedingten Kampf um die Vorherrschaft und den Zusammenbruch des IS-Kalifats in Syrien und dem Irak entwickelte sich Libyen zu einem schier unerschöpflichen Waffenreservoir. Bereits 2013 warnte der britsche Auslandsgeheimdienst MI6 davor, dass es in Libyen mehr Waffen gebe als in der gesamten britischen Armee. Immerhin hat das Vereinigte Königreich fast zehn Mal so viele Einwohner wie Libyen.

Lukrative Kriegsgeschäfte

Wie die Waffen ins Land gelangen, ist nicht eindeutig zu klären. Abgesehen von den Armeebeständen, die ohnehin vor Ort sind, gibt es Schmuggelrouten und Direkteinfuhren auf beiden Seiten. So beschreibt die ägyptische Tageszeitung "Ahram" Waffenlieferungen am Beispiel der Türkei. Demnach sollen Drohnen des Typs Bayraktar (BR2) an die Regierung Westlibyens geliefert worden sein. Ebenso Militärfahrzeuge der Marke Kirpi. Diese werden vom türkisch-katarischen Produzenten BMC hergestellt, dessen Vorstandsvorsitzender und Hauptaktionär ein enger Freund des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist.

Die an Tripolis gelieferten Drohnen wiederum sollen von dem Unternehmen Byakar Makina produziert werden, dessen Chefingenieur, Selcuk Bayraktar, einer der Schwiegersöhne Erdogans ist. Ankara gewährleistet deren Versendung auf See und auf dem Luftweg. Berichten zufolge ist dabei die ukrainische Fluggesellschaft Ukraine Air involviert, die regelmäßig geheime Flüge mit Antonow-Transportmaschinen über die Türkei nach Misrata durchführt. Auf der anderen Seite sollen Frankreich und Russland Waffen an General Haftar geliefert haben. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri nennt in diesem Zusammenhang russische Frachtschiffe und Flugzeuge, die in Tobruk abgeladen hätten.

Parallelen zu Syrien

Je mehr Länder in den Libyen-Konflikt eingreifen, desto unübersichtlicher wird die Lage. Inzwischen gibt es dort Allianzen, die sonst undenkbar wären. So unterstützen neben der Türkei Katar und Italien die Sarradsch-Regierung in Tripolis, während neben Frankreich und Russland Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und neuerdings US-Präsident Donald Trump auf der Seite Haftars stehen. Mit einem möglichen Kriegseintritt der Türkei auf Seiten Sarradschs, wie Erdogan ihn angekündigt hat, und der indirekten Militärhilfe Moskaus für Haftar wächst daher die Angst vor einem äußerst blutigen Stellvertreterkrieg und einem "syrischen Dilemma". Deutschland will deshalb vermitteln. Mitte Jänner soll eine Libyen-Konferenz in Berlin stattfinden.