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Investigativjournalismus und Populismus

Von Thomas Seifert

Politik

US-Kommunikationswissenschafterin Anya Schiffrin über kritische Medien und die Zukunft des Journalismus.


Wiener Zeitung: Welche Rolle spielen Aufdeckungsmedien heute?Anya Schiffrin: In der Zeit von Demagogen und Populisten ist die Rolle von Investigativjournalismus absolut essenziell. Auch bei der Korruptionsbekämpfung spielt investigativer Journalismus eine wichtige Rolle. Zudem: Nur seriösen Medien kann man ein faires Naming und Shaming zutrauen. Denn seriöse Medien überprüfen die Fakten, bevor jemand an den Pranger gestellt wird und geben den Betroffenen ausführlich Gelegenheit zur Darstellung des eigenen Standpunkts. Medien sind auch unverzichtbar, wenn es darum geht, den öffentlichen Diskurs zu strukturieren. Worüber sollten wir diskutieren und nachdenken? Was ist wichtig? Was nicht? Ein Beitrag des Investigativjournalismus ist übrigens auch bezifferbar.

Inwiefern?

Es gab vor zwei Jahren eine Studie von einem Ökonomen namens James Hamilton an der Universität Stanford. Er hat eine Kosten-Nutzen-Rechnung von Investigativjournalismus in den USA aufgestellt. Wie er das gemacht hat: Er hat die Karrieren von bei Journalistenpreisen prämiierten Investigativjournalisten studiert und hat recherchiert, wer bestimmte namhafte Journalistenpreise bekommen hat und das mit den Folgen, die die Stories dieser Journalisten nach sich gezogen haben, in Beziehung gesetzt. Hamilton hat im Zuge seiner Studie herausgefunden, dass investigativer Journalismus für jeden Dollar, den man in die Recherche und die Produktion von Storys steckt, 143 Dollar für das Gemeinwohl bringt. Ruth Sullivan vom Organized Crime and Corruption Reporting Project hat übrigens eine interessante Debatte über die Finanzierung von Investigativjournalismus angestoßen. Die Idee dabei: Wenn Investigativjournalisten über Steuerhinterziehung und Korruption berichten und die Regierung Steuernachzahlung einmahnen kann, dann könnte man ja, so Sullivan, einen Teil der erlösten Strafzahlungen und Nachzahlungen dazu verwenden, um Investigativjournalismus zu finanzieren.

Viele exzellent recherchierte Geschichten ziehen heute aber kaum Konsequenzen nach sich.

Es gibt wirklich guten Journalismus und gleichzeitig ist das Publikum so sehr fragmentiert, dass es schwierig ist, die ungeteilte Aufmerksamkeit der Leser, Zuhörer oder Zuseher zu bekommen. Früher, als Fernsehsender, Zeitungen und Radiostationen den Medienalltag beherrschten, gab es mehr Konsens darüber, was wirklich wichtig ist. Es ist also nun eine wichtige Aufgabe von Journalismus, Wege zu finden, wie man die Aufmerksamkeit des Publikums bekommt. Das internationale Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ - International Consortium of Investigative Journalists) hat das - etwa bei den Panama-Papers - mit Erfolg geschafft. Viele Journalisten haben an einem großen Rechercheprojekt gearbeitet und haben das Ergebnis dann zu einem bestimmten Zeitpunkt veröffentlicht und Nachfolgegeschichten geplant. So etwas nutzt sich mit der Zeit aber ab und dann gilt es, neue Wege zu finden, um wieder Aufmerksamkeit zu bekommen.

Im November 2020 finden in den USA Präsidentenwahlen statt. Dass Donald Trumps Name überhaupt wieder am Stimmzettel stehen wird, finden viele Menschen in Europa verstörend. Sie auch?

Ich habe immer wieder mit Trump-Fans gesprochen. Ich habe denen gesagt: "Trump hat Frauen belästigt, er hat Menschen bedroht. Glauben Sie nicht, dass das ein Problem ist, wenn dieser Mann unser Präsident ist?" Wissen Sie, wie die Antwort dieser Menschen lautete: "Ach, das meint Trump ja nicht ernst. Trump redet ja nur." Seine Unterstützer stehen hinter ihm, egal was passiert. Es sind die Menschen in der politischen Mitte, mit denen man die Diskussion suchen muss.

Der US-Medienwissenschafter Neil Postman schrieb im Jahr 1985 das Buch: "Wir amüsieren uns zu Tode - der öffentliche Diskurs im Zeitalter des Show-Business". Postmans Thesen haben sich als sehr weitsichtig erwiesen. Trump ist der Beweis dafür, dass heute ein unterhaltsamer Politiker eher gewählt wird, als ein kompetenter oder ernsthafter Politiker. Beim früheren italienischen Premier Silvio Berlusconi, bei Matteo Salvini von der Lega oder bei Nigel Farage von der Brexit-Partei war es ebenso.

Klar ist Trump unterhaltsam! Er bringt sogar mich manchmal zum Lachen. Das ist auch Teil seiner Attraktivität.

Heißt das, dass auch Journalisten unterhaltsam sein müssen, um ihr Publikum zu erreichen?

Es wird in Zukunft noch darum gehen, packende Headlines zu schreiben, gute Fotos in der Zeitung oder spannende Videos für die Website zu produzieren und so mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

Warum hat die Glaubwürdigkeit von Journalisten in den vergangenen Jahren gelitten?

Das Publikum ist verwirrter denn je und ist nicht so sicher, was es glauben kann und was nicht. Journalisten sollten darauf auf verschiedenste Weise reagieren. Einerseits, indem sie viel transparenter darin sind, wie sie ihre Arbeit machen. In vielen Fällen bekommt das Publikum erst dann mit, wie viel Arbeit und Energie in einer Story steckt.

Wie ist es um die Zukunft des Journalismus bestellt?

Im vergangenen Jahr gab es sehr viele Kündigungen bei Medienhäusern, die noch kurz davor als jene gefeiert wurden, die das Rezept für den Journalismus der Zukunft gefunden haben: Vice, Buzzfeed. Auch die Video-Blase ist mittlerweile geplatzt. Die Medienhäuser haben sich dem Thema Video mit viel Energie gewidmet, konnten aber die Frage, wie man damit Erlöse erzielt, nicht beantworten. Dann kamen Podcasts als nächste große Hoffnung: Ich bin aber heute schon gespannt, wie die Podcast-Landschaft in ein paar Jahren aussehen wird.

Ein weiterer Trend: In den vergangenen 15 Jahren sind immer mehr Gelder von Stiftungen in den Journalismus geflossen. Es ist natürlich wunderbar, wenn die Stiftung von Bill und Melida Gates und die Open Society Foundation Geld in journalistische Projekte stecken - eine Folge könnte aber sein, dass Journalismus in Zukunft stärker um bestimmte Themen kreisen wird. Daher hoffe ich auf eine stärkere Förderung des Journalismus durch die Öffentlichkeit. Ein weiterer Ansatz wäre, dass Unternehmen, die in großem Stil von den Inhalten der Medienunternehmen profitieren - wie Apple, Google, Facebook, Twitter oder die Mobilfunkbetreiber - Geld in einen Journalismus-Fördertopf einzahlen. Zu einem bestimmten Teil tun das einige ja bereits, diese Unternehmen sollten aber Geld in einen Fonds geben müssen, über den sie keine Kontrolle haben. Dazu kommt, dass die Rolle von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Fernsehen gestärkt werden sollte. Auch die Universitäten könnten dabei eine Rolle spielen.

Ist die viel diskutierte Krise der Demokratie mit der Krise des Journalismus verknüpft?

Absolut. Das Misstrauen in Institutionen hat in vielen Fällen zugenommen. Wenn Journalisten ihren Job ordentlich machen, und sie Teil von - ich sage jetzt einmal - wahrheitssuchenden Institutionen sind, dann ist ihre Zukunft eng mit der Zukunft der Demokratie verknüpft. Medien sind auch so etwas wie der Vogel in der Kohlengrube. Attacken von Regierungen auf Medien und auf Universitäten sind Signale, dass eine solche Regierung nichts Gutes im Sinn hat - siehe Ungarn. Wenn diese Attacken lange genug andauern, dann sinkt auch das Vertrauen in akademische Einrichtungen und in Medien insgesamt. Und wenn die Menschen dem Journalismus nicht mehr vertrauen, vertrauen sie dann irgendwelchen Irren Verschwörungstheoretikern oder Klimaleugnern. Wenn man also aufhört, Dingen zu vertrauen, die rational sind, landet man bei irrationalem Zeug.

Anya Schiffrin war als Journalistin unter anderem für die Nachrichtenagentur Reuters in Barcelona und für Dow Jones in Hanoi tätig. Sie forscht über investigativen Journalismus und lehrt an der Columbia-Universität in New York. Schiffrin ist mit dem Ökonomen und Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz verheiratet. Sie ist regelmäßiger Gast beim Europäischen Forum Alpbach.