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Atomdeal erodiert vor Europas Augen

Politik

Der Iran will wieder unbegrenzt Uran anreichern. Damit steht das Atomabkommen vor dem Aus. Europa würde das gerne verhindern - bleibt aber am Rande.


Der Aufruf der Europäer fand - wieder einmal - wenig Beachtung. So hatten Frankreich, Großbritannien und Deutschland den Iran aufgefordert, dass er die im Wiener Atomabkommen beschlossenen Vereinbarungen respektieren solle. Doch fast zeitgleich verkündete Teheran, sich künftig auch über die letzten Beschränkungen des internationalen Atomabkommens von 2015 hinwegzusetzen. Diese Entscheidung hatte sich nach der Tötung des wichtigsten Generals des Iran, Qassem Soleimani, in Bagdad durch die USA auch abgezeichnet.

Allerdings lässt sich der Iran eine Hintertür offen: Zwar gibt sich das Mullah-Regime wieder selbst die Erlaubnis, sein Atomprogramm nun unbegrenzt weiterzuführen und auch Uran unlimitiert anzureichern. Gleichzeitig verkündete der Iran, dass er sein Atomprogramm stets im Einklang mit seinen technischen Bedürfnissen fortführen werde. Damit bleibt unklar, bis zu welchem Grad der Iran künftig sein Uran anreichern will. Auch die Zusammenarbeit mit der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) soll weitergehen. Außerdem ist der Iran nach eigenen Angaben jederzeit bereit, voll und ganz zum Atomabkommen zurückkehren, sobald der Atom-Deal vertragsgerecht umgesetzt und die US-Sanktionen aufgehoben würden.

Wenig Möglichkeiten

Die Europäer sind alarmiert: London, Paris und Berlin berieten noch am Montag, wie sie weiter verfahren sollen. Noch diese Woche sollen gemeinsame Schritte folgen und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wird Russlands Präsidenten Wladimir Putin besuchen - und auch dieses Treffen wird sich vor allem um die Krise im Nahen Osten drehen.

Bis heute sind die Europäer überzeugt, dass der Atomdeal mit Teheran der beste Weg ist, um eine iranische Atombombe zu verhindern. In dem Abkommen hatte der Iran mit den fünf UNO-Vetomächten und Deutschland vereinbart, sein Nuklearprogramm so anzupassen, dass ihm keine Möglichkeit zum Bau von Atomwaffen bleibt. Im Gegenzug sollten Sanktionen gegen den Iran aufgehoben werden. Doch US-Präsident Donald Trump stieg 2018 einseitig aus dem Abkommen aus und verhängte neue Sanktionen, die im Iran eine schwere Wirtschaftskrise auslösten. Der Iran wiederum entfernte sich Schritt für Schritt von dem Atomvertrag.

Versuche der EU, das Abkommen zu retten, brachten nicht den gewünschten Effekt. Denn auch europäische Konzerne vermieden - trotz aller Unterstützung, die ihnen die EU versprach - Geschäfte mit Teheran, hätte sie doch sonst ebenfalls der Bannstrahl der US-Sanktionen getroffen.

Und auch jetzt sind die Möglichkeiten europäischer Politiker eingeschränkt, während andere Akteure Fakten schaffen. Die Europäer beteuern, dass sie mit allen Parteien im Gespräch seien und auch für Vermittlungen zur Verfügung stünden.

Nur ist eine Vermittlung so schwierig wie noch nie: Die USA wollen den Iran mit möglichst viel Sanktionsdruck in die Knie zwingen - und damit den Bau einer Atombombe verhindern. Darüber hinaus, auch wenn das in den USA niemand offiziell sagt, spekuliert Washington auf einen Regimewechsel durch diese Politik.

Der Iran hat aber auf dieses Vorgehen bisher mit Gegendruck reagiert - wozu laut Beobachtern auch der Einsatz der schiitischen Milizen im Irak gehörte, die US-Militärbasen angegriffen haben. Kopf dieser Strategie soll Soleimani gewesen sein. Dessen Tötung wird nun aber laut Beobachtern zu keiner Kehrtwende der iranischen Politik führen - vielmehr sind dadurch erst recht die Hardliner gestärkt. Jegliche Konzession, jegliches Nachgeben gegenüber den USA wird derzeit in Teheran als unverzeihliches Signal der Schwäche angesehen.

Am Rande des Geschehens

Gleichzeitig stößt der Iran aber auch die EU, die im Atomstreit immer wieder als dessen Fürsprecher aufgetreten war, mit seinem jüngsten Rückzug aus dem Atomvertrag vor den Kopf. "Das, was der Iran jetzt angekündigt hat, werden wir nicht einfach so achselzuckend hinnehmen können", sagte der der deutsche Außenminister Heiko Maas im Deutschlandfunk. Nach Gesprächen mit dem Iran und Konsultationen mit der IAEA werde eine Entscheidung getroffen. Würden nun aber die Europäer ebenfalls wieder an der Sanktionsschraube gegen den Iran drehen, würden sie riskieren, ebenfalls den Draht zu Teheran verlieren.

Österreichs künftiger Kanzler Sebastian Kurz hat in einem Gespräch mit der "Bild am Sonntag" Wien als Verhandlungsort vorgeschlagen, sollten die USA und der Iran wieder miteinander sprechen. Doch davon sind die beiden verfeindeten Staaten weiter entfernt denn je - auch wenn Trump nun verkünden ließ, dass er bereit sei, den Atomdeal neu zu verhandeln, was er aber freilich nur zu seinen Bedingungen machen würde. Im Moment stehen die Europäer am Rande des Geschehens und müssen zusehen, wie das Atomabkommen, für das sie so sehr gekämpft haben, zusehend erodiert.(klh)