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Hongkong-Krise strahlt nach Taiwan aus

Von Klaus Huhold

Politik

Amtsinhaberin Tsai Ing-wen ist die Garantin, dass Taiwan nicht näher an die Volksrepublik China heranrückt. Das macht sie zur klaren Favoritin bei der Präsidentenwahl.


Die Hongkong-Krise nahm in Taiwan ihren Anfang: Dort hat gemäß seinem Geständnis gegenüber den Hongkonger Behörden der damals 19-jährige Chang Tong-kai seine schwangere Freundin getötet. Beide stammten aus Hongkong und dorthin floh Chang auch nach seiner Tat. Weil aber Hongkong mit Taiwan kein Auslieferungsabkommen abgeschlossen hatte, konnte Chang nicht dorthin überführt werden. Und weil die Tat in Taiwan geschah, konnte Chan in Hongkong nicht wegen Mordes angeklagt werden.

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam nahm den Fall zum Anlass, ein Auslieferungsabkommen einzubringen - das mehrere Staaten und auch die Volksrepublik China umfasste. Hongkong ist zwar Teil von China, besitzt aber unter der Devise "Ein Staat - zwei Systeme" ein eigenes politisches System. Hongkonger Demokratieaktivisten fürchteten, dass das Gesetz genützt werden würde, um politisch missliebige Bürger Chinas Kommunistischer Partei ans Messer zu liefern. Es folgten bis heute anhaltende Massenproteste. Auch wenn das Gesetz mittlerweile zurückgenommen wurde, kämpfen Hongkonger Aktivisten weiter um demokratische Rechte, die sie von Peking bedroht sehen. Und die Hongkonger Krise strahlt mittlerweile nach Taiwan aus.

Xi Jinping irritiertdie Taiwaner

Dort finden nämlich am Samstag Wahlen statt. Präsidentin Tsai Ing-wen hatte bis zum Frühling vergangenen Jahres noch mit mäßigen Zustimmungswerten zu kämpfen. Dann kam die Hongkong-Krise und nun liegt die 63-jährige Juristin in den Umfragen klar vor ihrem Herausforderer Han Kuo-yu. Denn Tsai und ihre Demokratische Fortschrittspartei (DPP) gehen wesentlich stärker auf Distanz zur Volksrepublik China als Han und seine Partei Kuomintang.

Hongkong hat deshalb so eine Strahlkraft Richtung Taiwan, weil die Taiwaner dort ihre eigene mögliche Zukunft erblicken. Taiwan wird zu mehr als 90 Prozent von Chinesen bewohnt, die Insel ist de facto unabhängig und im Gegensatz zu China mit seinem Ein-Parteien-System eine gefestigte Demokratie. Doch Chinas KP sieht Taiwan als abtrünnige Provinz an, will eine Wiedervereinigung und schließt dafür auch einen Militärschlag nicht aus.

Chinas Staatschef Xi Jinping hat in einer Rede betont, das ihm auch für Taiwan das Hongkonger Modell "Ein Staat - zwei Systeme" vorschwebt. Das stößt aber in Taiwan auf breite Ablehnung. Hinzu kam die immer wieder unnachgiebige Haltung Pekings gegenüber demokratischen Kräften in Hongkong. Die entscheidende Gruppe der Wechselwähler ist deshalb Richtung Amtsinhaberin Tsai marschiert. "Dieser Gruppe werden 25 bis 30 Prozent der Wähler zugerechnet, und sie wird bei der Wahl nun den Ausschlag geben", sagt der Sinologe Gunter Schubert, Professor an der Universität Tübingen und Direktor des European Research Center on Contemporary Taiwan.

Tsai ist die Garantin dafür, dass Taiwan nicht näher an die
Volksrepublik China heranrückt. Seit vier Jahren regiert sie mit ihrer DPP, die im Parlament stärkste Kraft ist. Die DPP will Peking zwar nicht mit einer Ausrufung der Unabhängigkeit provozieren - das ist eine rote Linie für die Volksrepublik. Tsai und die DPP pochen aber zum Ärger Pekings bei jeder Gelegenheit auf die Eigenständigkeit Taiwans. Die diplomatischen Beziehungen sind auf einem Gefrierpunkt angelangt.

"China hat darauf mit einer zweischneidigen Politik reagiert", erklärt Schubert. Einerseits hat Peking militärische Drohungen ausgestoßen. Doch diese verloren mit der Zeit ihren Schrecken. Andererseits hat China, auf einer eher inoffiziellen Ebene, weiter um Investitionen und Arbeitskräfte aus Taiwan geworben. Das hatte den Effekt, dass es keinen wirtschaftlichen Schaden für Taiwan gab. "Es wurde also ein Umgang mit der Situation gefunden, der funktioniert. Viele Taiwaner können nicht sehen, wie eine andere China-Politik ihnen mehr bringen soll", sagt Schubert.

Mehr Nähe zu China bringt auch mehr Druck aus Peking

Damit löst sich auch das von der Kuomintang und ihrem Präsidentschaftskandidaten Han beschworene Schreckgespenst in Luft auf. Die Kuomintang argumentiert nämlich, dass die DPP-Agenda Taiwan gefährde. Ihrer Ansicht nach bringt nur mehr Nähe zu China Taiwan auch mehr Sicherheit und Wohlstand.

So hat die Kuomintang, die mit Ma Ying-jeu von 2008 bis 2016 den Staatschef stellte, auch agiert, als sie an der Macht war. Sie betrieb einen regen diplomatischen Austausch mit Peking und forcierte Abkommen, die Taiwan stärker an China binden sollten. Doch auch Schubert meint, dass diese Politik nicht funktioniert hat. "Peking hält dann den Druck hoch, damit Taiwan immer neue Schritte in Richtung einer politischen Integration geht. Das hat sich in der Schlussphase von Mas Präsidentschaft bereits gezeigt."

Mit ihrer China-Strategie ist die Kuomintang also ins Hintertreffen geraten. So lange das so bleibt, kann die einst dominante Partei laut Schubert nur hoffen, dass der DPP in der Sachpolitik Fehler unterlaufen.

Hier bietet die Regierung durchaus Angriffsflächen: Lehrern, Beamten und Militärs hat sie die Pensionen gekürzt. Die Zulassung der gleichgeschlechtlichen Ehe hat konservative Taiwaner verärgert. Ob Taiwans Industrie so wettbewerbsfähig ist, wie sie sein könnte, ist eine Streitfrage. Diese diversen Unzufriedenheiten könnten der Kuomintang zumindest bei der Parlamentswahl, die ebenso am Samstag stattfindet, Stimmen einbringen. Doch auch bei dieser ist sie Außenseiterin.

Taiwans Beziehungen zur Volksrepublik China~ Die Insel Taiwan war immer wieder der Zufluchtsort für Chinesen, die sich in ihrer Heimat bedrängt fühlten - wirtschaftlich oder politisch. Über die Jahrhunderte gab es mehrere Einwanderungswellen.

Die letzte Immigrationswelle aus China gab es im Jahr 1949, als die nationalistische Kuomintang den Bürgerkrieg gegen Mao Zedongs Kommunisten verlor. Die Kuomintang zog sich mit Soldaten und zwei Millionen Zivilisten nach Taiwan zurück und errichtete eine Diktatur, die bis in die 1990er Jahre andauerte. Beide Seiten, sowohl Taiwan unter dem Namen Republik China als auch die Volksrepublik China unter Mao, erhoben den Anspruch, alleiniger Vertreter von einem einzigen China zu sein.

Eine inoffizielle Annäherung erfolgte dann durch den Konsens von 1992. Dieser besagt, dass es nur ein China gebe, aber beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen haben, wie dieses China aussehen soll.

In Taiwan ist für die Kuomintang dieser Konsens weiterhin Orientierungspunkt, die regierende DPP lehnt ihn aber ab und treibt eine größere Souveränität Taiwans voran.

Peking schließt weiterhin einen Militärschlag für eine Wiedervereinigung mit Taiwan nicht aus. Hinter Taiwan steht aber die Schutzmacht USA.