Zum Hauptinhalt springen

Erdogans Plan mit Libyen

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Analyse: Bei der Konferenz in Berlin wird man dem türkischen Präsidenten zuhören müssen.


Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist ein risikobewusster Politiker, der immer für eine Überraschung gut ist. Mit seinem von niemandem vorhergesehenen Coup einer neuen türkisch-libyschen Mittelmeerallianz hat er sich zum bedeutenden Akteur der Mittelmeerpolitik aufgeschwungen. In der Rolle des Schutzherrn der legitimen, von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung des libyschen Präsidenten Fajis al-Sarradsch will er im neuen "großen Spiel" um die Öl- und Gasressourcen im östlichen Mittelmeer eine ebenso bestimmende Rolle spielen wie im Ringen um politischen Einfluss in einer Region, die jahrhundertelang zum Osmanischen Reich gehörte.

Deshalb soll Erdogan bei der internationalen Libyen-Konferenz am Sonntag in Berlin, zu der Kanzlerin Angela Merkel geladen hat, neben den Großmächten USA und Russland eine wichtige Rolle spielen. Diesen strategischen Erfolg erreichte Erdogan mit dem denkbar geringsten Einsatz an Ressourcen. Nach ein paar Treffen mit al-Sarradsch war der Deal perfekt, in dem die beiden Länder ein Drittel des Mittelmeeres zu ihrer exklusiven Wirtschaftszone (EWZ) erklärten und dabei griechische Inseln wie Rhodos und die Gewässer südlich von Kreta und nordwestlich von Zypern für sich beanspruchten - womit Erdogan die nach internationalem Seerecht anerkannte zyprisch-griechische EWZ "kopiert".

Erdogan schlägt viele Fliegen mit einer Klappe

Erdogan geht es darum, energiepolitische Claims abzustecken, denn unter dem Meeresgrund werden reiche Gasvorkommen vermutet. Wie der britische "Guardian" am Mittwoch enthüllte, hat die Türkei bereits 2000 syrische Islamisten zur Unterstützung von al-Sarradsch nach Libyen geschickt. Die Söldner erhalten rund 2000 US-Dollar monatlich und die Zusicherung der türkischen Staatsbürgerschaft nach sechs Monaten Kriegseinsatz. Mit ihrer Entsendung schlägt Erdogan weitere Fliegen mit einer Klappe: Er wird die dschihadistischen Rebellen aus der türkisch kontrollierten syrischen Provinz Idlib zumindest temporär los, kommt damit einer Forderung des Kremls nach und riskiert kaum Leben türkischer Soldaten.

Verlassen kann sich Erdogan zudem auf die Partnerschaft mit dem milliardenschweren Emirat Katar, mit dem ihn eine gemeinsame Ideologie verbindet. Beide sind die letzten verbliebenen staatlichen Unterstützer der arabischen Muslimbrüder und der palästinensischen Hamas. Damit schließt sich auch ideologisch der Kreis zu Libyen, denn Präsident Sarradsch gehört derselben islamistischen Richtung an.

Die weltanschauliche Komponente ist zugleich ein wesentlicher Grund, dass Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate den aufständischen libyschen General Khalifa Haftar militärisch absichern, denn sie hassen die Muslimbrüder, die sie als innenpolitische Konkurrenten betrachten. Sie werden deshalb ebenso auf der Berliner Konferenz erwartet wie Kremlchef Wladimir Putin, der Haftar unterstützt und ihm bereits rund 600 russische Söldner geschickt haben soll.

Moskau stützt Haftar, Ankara stützt al-Sarradsch - diese Rivalität überschattet Erdogans Ambitionen auf dem Kampfplatz Libyen ebenso wie in Syrien, wo die Russen auf der Seite seines Feindes, des syrischen Gewaltherrschers Bashar al-Assad stehen. Doch während Putin Syrien dominiert, ist die Lage in Libyen weniger durchsichtig. Auch wenn Moskau und Ankara die jeweiligen Kriegsgegner unterstützen, so sind sich in einem Punkt einig: Ihre starke Position in Libyen ist ein Trumpf im geopolitischen Ringen ums Mittelmeer.

Wie in Syrien bestimmen Russland und die Türkei die Agenda in Libyen. Gemeinsam beriefen sie den Moskauer Waffenruhe-Gipfel vor einer Woche ein, der jedoch daran scheiterte, dass Russlands Schützling Haftar den Vertrag ablehnte. Das Scheitern hat Putin und Erdogan einen gemeinsamen Gesichtsverlust beschert. Ein Debakel, das sich in Berlin wiederholen kann. Viel gravierender dürfte aber der Schaden für die EU sein, die einen zentralen Konflikt in ihrem unmittelbaren Nachbarschaftsraum konkurrierenden Mächten überlässt, außenpolitische Schwäche offenbart und Partikularinteressen nichts entgegensetzt.

Letztlich ist Erdogans Libyen-Pakt eine unmittelbare Antwort auf die Ausgrenzung der Türkei bei der Ausbeutung der unterseeischen Bodenschätze im Seegebiet um Zypern. Erdogan an den Katzentisch zu verbannen, ist allerdings keine gute Idee, denn sie baut die Spannung nicht ab, sondern auf. Tatsächlich erscheint die EU fast blind für die wachsende Kriegsgefahr an ihrer Südostflanke. Denn Athen wird kaum tatenlos zusehen, wenn türkische Bohrschiffe in Fregatten-Begleitung vor Kreta aufkreuzen.

Griechenland und Tunesien fehlen in Berlin

Für einen Schulterschluss in der Region fehlen bei der Konferenz in Berlin auch Griechenland und Libyens unmittelbarer Nachbarn Tunesien - sie wurden von Berlin nicht eingeladen. An der Konferenz teilnehmen werden - neben Erdogan und Putin - vielmehr der US-Außenminister Mike Pompeo sowie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Ohnehin ist nicht zu erwarten, dass die EU Erdogans Machtambitionen bremst. Das kann in Libyen nur der militärisch starke General Haftar, der dafür aber die Unterstützung Russlands benötigt. Am Freitag ist Haftar nach Athen gereist, um sich mit dem von Brüssel im Stich gelassenen Türkei-Gegner zu verständigen. Kommt er nicht nach Berlin, hat die Konferenz ihren Sinn verloren. Es bleibt abzuwarten, was intensive Diplomatie noch bewirken kann.