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Spionage: Angst um das Schweizer Image

Von Alexander Dworzak und Gerhard Lechner

Politik

Mit der Abhöraffäre um die Crypto AG stehen auch die Unabhängigkeit von Tech-Firmen und die Vermittlerrolle der Eidgenossen bei politischen Konflikten auf dem Prüfstand.


Technik aus der Schweiz steht gemeinhin in dem Ruf besonderer Zuverlässigkeit. Wer eidgenössische Produkte erwirbt - seien es die bekannt präzisen Uhren oder aus dem Maschinenbau -, bekommt, was er bekommen wollte: Qualitätsware. Das dachten sich wohl auch mehr als einhundert Länder, als sie bei der Firma Crypto AG im schweizerischen Zug zwischen den Jahren 1970 und 1993 Verschlüsselungstechnik bestellten. Zuverlässig und abhörsicher sollte sie sein - schweizerisch eben.

Doch statt zuverlässiger schweizerischer Technik wurde in 120 Länder von der Crypto AG manipulierte Technologie geliefert, die es dem deutschen Bundesnachrichtendienst BND und dem US-Auslandsgeheimdienst CIA ermöglichte, über Jahrzehnte Nachrichten auszuspionieren.

Dieser Umstand schlägt in der Eidgenossenschaft derzeit hohe Wellen. Denn die Schweiz nutzt selbst immer noch Gerätschaften und Produkte der Crypto AG - eines Unternehmens, das schon länger in Verdacht stand, etwas mit Geheimdiensten zu tun zu haben. Journalisten des Schweizer Rundfunks SRF, des deutschen ZDF und der "Washington Post" berichten nach gemeinsamer Recherche, dass der deutsche sowie der US-Geheimdienst Anteile an der Crypto AG hielten. Diese seien durch Treuhänder in Liechtenstein, aber auch den deutschen Siemens-Konzern verschleiert worden.

2018 wurde die Crypto AG aufgespalten, in die CyOne Security AG und die Crypto International. Der Schwede Andreas Linde, mittlerweile Eigentümer von Crypto International, erklärte, es gebe keine Beziehungen zur CIA.

Was wusste dieRegierung in Bern?

Die Abhöraffäre könnte aber einen Grundpfeiler der Schweizer Politik beschädigen, der auch Garant des wirtschaftlichen Erfolgs der Eidgenossenschaft ist: die Neutralität - ein schweizerisches Heiligtum, das sich auch Österreich in seinem Staatsvertrag zum Vorbild genommen hat.

Doch wie im Falle Österreichs, das im Gegensatz zur Schweiz in die Europäischen Union integriert ist, ist auch die Schweizer Neutralität nicht wortwörtlich zu verstehen. So zählte das Land im Kalten Krieg klar zum westlichen Lager. Die Crypto AG machte in dieser Zeit Geschäfte mit Diktaturen, belieferte beispielsweise das südafrikanische Apartheidsregime. Dank deren Geräten wurden argentinische Generäle im Falkland-Krieg ebenso abgehört wie die iranischen Revolutionsgarden während der 444 Tage dauernden Besetzung der US-Botschaft in Teheran.

In die Operationen von BND und CIA dürften die Schweizer Geheimdienste eingeweiht gewesen sein. Das legen die nun veröffentlichten Geheimdienstakten nahe.

Zentrale Frage ist nun, inwieweit die Politik involviert war. Was wusste der Schweizer Bundesrat, die Regierung? Bereits im August vergangenen Jahres informierte der Nachrichtendienst (NDB) Verteidigungsministerin Viola Amherd, die im November den gesamten Bundesrat in Kenntnis setzte. Im Jänner wurde eine Untersuchung angeordnet, bis Ende Juni soll ein Bericht vorliegen. Zwei befragte Bundesräte, die in den 1980ern amtierten, erinnern sich an nichts. Das Journalistenkollektiv schlussfolgert nun nach Sichtung der Geheimdienstakten, es gebe sogar Hinweise, dass "Schlüsselpersonen in der Regierung" über den Fall Crypto Bescheid gewusst hätten.

Josef Lang von der "Gruppe für eine Schweiz ohne Armee" weist auf Twitter auf den Umstand hin, dass mehrere Zuger Politiker dem Verwaltungsrat der Crypto angehörten. Lang zufolge hätten die Alternativen Grünen im Kanton Zug die Crypto AG bereits im Jahr 1994 thematisiert.

Auch die Schweiz versteht sich als "Brückenbauerin"

Es wird wohl nicht bei der regierungsamtlichen Untersuchung bleiben. Laut SRF würden Abgeordnete aus allen politischen Lagern auf eine parlamentarische Untersuchungskommission drängen, um die Verantwortlichkeiten zu klären.

Die Berner Zeitung "Der Bund" bezeichnet bereits die Neutralität als "Lebenslüge der Schweiz". Das Blatt fürchtet, die Produkte von Tech-Firmen könnten mangels Vertrauen in die Unabhängigkeit des Landes künftig weniger nachgefragt sein. Das gelte ebenso für die eidgenössische Diplomatie.

Dabei gehören "Gute Dienste" zum guten Ton in der Schweiz, also die Mediation bei Konflikten. Die Metapher des Brückenbauers verwendet nicht nur Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz gerne: "Die Schweiz kann Brücken bauen, wo andere blockiert sind", beschreibt deren Außenministerium, das EDA, seine Tätigkeit. In mehr als 30 Friedensprozessen sei man in den vergangenen Jahren involviert gewesen. Spektakulärster Erfolgsfall in jüngster Zeit war der Friedensvertrag zwischen Kolumbien und der Farc-Guerilla 2016.

"Gute Dienste" haben sich unter anderem auch Norwegen und Schweden auf ihre Fahnen geheftet. Die Vorgänge um die Crypto AG werden daher in Oslo und Stockholm wohl genau verfolgt. Komplett wäre der Schweizer Imageschaden, sollte der Nachrichtendienst nicht nur die Abhöraktivitäten der Deutschen und Amerikaner gedeckt, sondern auch mitgelauscht haben. Die neutrale Vermittlerrolle ließe sich dann nur sehr schwer aufrechterhalten.