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Sorglose und Abweichler

Politik

Die meisten Länder der Welt ergreifen drakonische Maßnahmen gegen das Coronavirus. Manche Staaten jedoch halten das für übertrieben und gehen eigene Wege. Vier Beispiele.


  • USA: Das "Bauchgefühl" des Präsidenten

Genau einen Monat ist es her, dass US-Präsident Donald Trump auf Twitter verkündete, die USA hätten den Ausbruch des Coronavirus "völlig unter Kontrolle". Doch die Zahlen steigen rasant, laut der Weltgesundheitsorganisation WHO könnten die USA zum neuen Epizentrum der Pandemie werden. Am Mittwochnachmittag waren mehr als 55.000 Infektionen und mehr als 800 Todesopfer bestätigt, doch die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.

Die rasche Ausbreitung des Virus liegt auch am erratischen Handeln des US-Präsidenten. Wegen der Wirtschaftsausfälle in der Corona-Krise muss Trump um seine Wiederwahl fürchten - und fährt altbekannte Geschütze von Verharmlosung, Schuldzuweisung und Kriegsrhetorik auf. Anfangs tat Trump Berichte über die Verbreitung des Virus in den USA als "Falschmeldung" ab, noch vor drei Wochen vertraute er darauf, dass das Virus von selbst wieder verschwindet. Später sprach er von einem "ausländischen Virus" und setzte Reisen aus China und dem EU-Schengenraum aus. Mittlerweile hat Trump den Notstand ausgerufen, doch Unternehmen erteilt er bis heute keine Anweisungen: Es liegt an den Bundesstaaten, Maßnahmen zu treffen, in vielen gelten mittlerweile Ausgangssperren.

Auch beim Coronavirus verlässt sich Trump auf sein Bauchgefühl: Er habe "einfach ein Gefühl", dass ein Malariamedikament gegen das Virus helfe, auch habe er früher als andere "gefühlt", dass eine Pandemie bevorstehe. Zu Ostern will Trump wieder zum Normalbetrieb zurückkehren. Durch die "massive Rezession oder Depression" drohten mehr Menschen zu sterben als durch die "Grippe", so der US-Präsident - gemeint ist offenbar Covid-19. Am Mittwoch riet er den Amerikanern, weiter arbeiten zu gehen und lediglich auf das Händeschütteln verzichten.

Experten schlagen Alarm, viele halten 2,2 Millionen amerikanische Todesopfer für möglich. Noch immer haben Millionen Menschen keine Krankenversicherung, es gibt viel zu wenige Betten, Ärzte und Material wie Beatmungsgeräte und Schutzmasken. Doch für die Versorgung der Bundesstaaten mit medizinischer Ausrüstung fühlt sich Trump nicht zuständig: "Wir sind keine Lieferboten", sagte er. Die Bundesstaaten sollten sich selbst darum kümmern.

  • Brasilien: Der Präsident fürchtet das "Grippchen" nicht

Brasiliens extrem rechter Präsident Jair Bolsonaro stellt sich oft gegen international vorherrschende Ansichten. So bestreitet er den menschengemachten Klimawandel und ignoriert globale Appelle zum Schutz des Regenwaldes. Auch bei der Corona-Krise nimmt er eine eigene Haltung ein: In einer TV-Ansprache widersprach er der Expertise und den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO auf breiter Linie.

Die Schulen sollten laut Bolsonaro wieder öffnen, denn Corona wäre ohnehin nur für Ältere gefährlich. Eine Situation wie in Italien sei undenkbar, da Brasilien - wo es bisher rund 1500 bestätigte Fälle gibt - ein wärmeres Klima und eine jüngere Bevölkerung habe. Generell sollten die Brasilianer zur Normalität zurückkehren und damit die Wirtschaft in Gang halten. Er selbst mache sich als ehemaliger Athlet keine Sorgen, dass ihn ein "Grippchen" ereile.

Bolsonaro unterminiert die Bemühungen von Brasiliens Gouverneuren. Vielerorts, etwa in Sao Paulo oder Rio de Janeiro, gelten weitreichende Ausgangsbeschränkungen. An diese halten sich die meisten Bürger auch. Aber die fanatischsten Anhänger von Bolsonaro haben schon in der Vergangenheit wenig auf die Empfehlungen der Gesundheitsbehörden gegeben. Sie haben etwa vor eineinhalb Wochen in Brasilia zu hunderten für ihren Präsidenten demonstriert - der es sich nicht nehmen ließ, Hände zu schütteln und seine Anhänger zu umarmen.

  • Schweden: Der oberste Epidemiologe schert aus

In Österreich spätestens seit den Ereignissen in Ischgl völlig undenkbar, in Schweden Realität: Die Skisaison läuft weiter. Zwar nicht in vollem Ausmaß, der Betrieb von Gondelbahnen wurde eingestellt. Auch die berühmt-berüchtigte Après-Ski-Regelung ist gefallen, nach der bis zu 499 Personen Party feiern konnten. "Wir wissen schon, dass es ein Risiko gibt, sich dort anzustecken", sagt Anders Tegnell mit Blick auf das Offenhalten der Skigebiete.

Schwedens staatlicher Chef-Epidemiologe schätzt das Risiko nicht nur in diesem Bereich anders ein als viele seiner europäischen Kollegen. Ausgangsbeschränkungen sind fremd, die Skandinavier setzen auf freiwilligen Verzicht. In Restaurants, Cafés und Bars können Gäste weiterhin einkehren, sofern sie sich zu Tisch setzen. Auch Kindergärten sind geöffnet, und bis zur neunten Schulstufe läuft der Unterricht wie gehabt. Tegnell zweifelt den epidemiologischen Nutzen von Schulschließungen an. Weder im Corona-Ausbruchsland China noch im schwer getroffenen Italien hätten sich die Schulen als Hotspots zur Verbreitung des Virus herausgestellt.

Tegnells Grundannahme beruhe laut "Die Zeit" darauf, dass Personen ohne Krankheitssymptome nicht als ansteckend gelten. Österreichs Regierung vertritt die gegensätzliche Linie. Mit bisher rund 2400 positiv Getesteten hat Schweden - offiziell - nicht einmal halb so viele Corona-Fälle wie Österreich, allerdings mehr Tote (42 gegenüber 31). Bei den Intensivbetten verfügt Schweden jedoch nicht einmal über ein Fünftel der heimischen Kapazitäten. Auch Forscher in Schweden kritisieren Tegnells Kurs, Premier Stefan Löfven stellte aber klar: "Wir vertrauen auf unsere Behörden."

  • Weißrussland: Sauna und Wodka gegen das Virus

Einen komplett anderen Kurs als der Rest der Welt fährt auch das autoritär regierte Weißrussland. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass ausgerechnet Präsident Alexander Lukaschenko, der ansonsten für staatliche Zwangsmaßnahmen bekannt ist, sich solcher Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verweigert. "Ich nenne dieses Coronavirus nicht anders als eine Psychose und lasse mich auch nicht davon abbringen", betonte der Autokrat.

"Die zivilisierte Welt ist verrückt geworden, und die Politiker haben schon damit angefangen, die Situation für ihre Interessen auszunutzen", sagte Lukaschenko. Auch viele Firmen würden von dem Virus profitieren. Grenzen zu schließen, wie das Russland gegenüber Belarus getan hatte, sei eine "absolute Dummheit".

Der Ex-Kolchosdirektor empfiehlt als Gegenmittel gegen diese "Psychose", sich auf den Traktor zu setzen und zu arbeiten. Oder in die Sauna zu gehen, denn "die Chinesen haben uns gesagt, dass das Virus einer Temperatur von über 60 Grad nicht standhalten kann". Oder einfach Wodka zu trinken, "40 bis 50 Gramm pro Tag", um das Virus zu stoppen.

Ob die Weißrussen das ähnlich sehen, ist schwer zu sagen. Die Cafés und Restaurants in der Hauptstadt Minsk, so berichten Einwohner der "Wiener Zeitung", sind zwar weniger frequentiert als sonst - manche Menschen isolieren sich selbst. Offen sind die Vergnügungsstätten aber immer noch. Auch die Schulen und Universitäten bleiben einstweilen geöffnet. Ja selbst die weißrussische Fußballliga ist plangemäß gestartet - mit Fans auf den Tribünen, was etwa der ehemalige weißrussische Fußballprofi Sergej Alejnikow als "Wahnsinn" bezeichnet.

Im Moment kann sich Belarus das offenbar noch leisten: Mit offiziell 86 Infizierten - und noch keinem Todesopfer - ist das Land bisher wenig betroffen. Das könnte sich, wenn man das Virus nicht eindämmt, freilich rasch ändern. Im Internet wächst bereits die Kritik an der Krisenpolitik des Präsidenten. Sollte es in Belarus zu Zuständen wie in Italien kommen, würde das Lukaschenko, der im Sommer wiedergewählt werden will, in echte Probleme stürzen. Denn für einen glaubhaften Schwenk in Richtung oberster Corona-Eindämmer hat sich der (ansonsten) geschickte Populist bereits zu weit aus dem Fenster gelehnt. (da/sig/klh/leg)