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Durch den Kampf gegen Corona droht eine Ernährungskrise

Von Klaus Huhold

Politik
In Mosambik erhalten Bedürftige vom UN-Welternährungsprogramm größere Rationen, damit sie Essen weniger oft abholen müssen und es zu keinen Ansammlungen kommt.
© WFP / Rafael Campos

Hilfsprogramme sind eingestellt, Kinder erhalten keine Schulspeisungen mehr: Die Maßnahmen gegen das Virus haben in Entwicklungsländern fatale Konsequenzen.


Die Kinder laufen oft barfuß herum, auf Holzpfählen stehen aus Bambus geflochtene Hütten, auf den Sandpisten davor liegen Ziegen, Schweine und Hunde. Eine derartige Szenerie zeigt sich in vielen Dörfern der Chittagong Hill Tracts, einer abgelegenen, von Minderheiten bewohnten Region in Bangladesch. Die Leute sind arm, Tagelöhner und Reisbauern, die Lebensumstände sind hart, von fließendem sauberen Wasser können die Dorfbewohner nur träumen.

Das schlägt sich auf die Gesundheit nieder: Schwere Durchfallerkrankungen bis zur Ruhr treten auf, auch Hautverletzungen können sich wegen der mangelnden Hygiene schnell entzünden. Deshalb betreibt die NGO Sonne International mobile Kliniken in der Region, in denen die Kranken untersucht werden, Medikamente erhalten und im schlimmsten Fall in ein Spital gebracht werden. Doch nun musste Sonne diese Arbeit einstellen. "Die Kranken liegen nun zu Hause und werden nicht behandelt", berichtet Obmann Erfried Malle.

Denn Bangladeschs Behörden fürchten wegen der Corona-Krise Menschenansammlungen. Vielerorts gelten in dem asiatischen 160-Millionen-Einwohner-Staat nun strikte Ausgangssperren. Sonne musste daher auch andere Projekte wie Dorfschulen vorerst stoppen, betreiben kann die NGO nur Unternehmungen, die der Bekämpfung des Coronavirus dienen: In den Dörfern verteilt sie nun von Tür zu Tür Schutzmasken, auch zwei Gesundheitszentren für mehr als 50.000 Flüchtlinge, bei denen es sich um aus Myanmar vertriebene Rohingya handelt, betreibt Sonne weiter. In dem überfüllten Flüchtlingscamp wäre ein Corona-Ausbruch eine verschärfte Katastrophe.

Bangladesch ist kein Einzelfall. Viele Entwicklungsländer ordnen nun ihre gesamte Politik der Bekämpfung des Coronavirus unter, weshalb viele Hilfen nicht mehr möglich sind. "Wir mussten ganz schwierige Entscheidungen treffen", berichtet aus Mosambik Marc Nosbach, der dort für die NGO Care als Länderdirektor tätig ist. "Unsere Entwicklungsarbeit pausiert nun, wir konzentrieren uns ganz auf die humanitäre, lebensnotwendige Hilfe."

So stoppte Care Ausbildungsprogramme, baut aber weiter Krankenhäuser auf und verteilt Saatgut - aber auf eine Art und Weise, dass keine Menschentrauben entstehen. Care stimmt sich dabei auch laufend mit der Regierung des südostafrikanischen Landes ab.

Die Regierungen in Entwicklungsländern stehen vor schweren Entscheidungen: Unternehmen sie nichts gegen Corona, droht eine Gesundheitskatastrophe. So gibt es Berechnungen, dass die Corona-Krise in Mosambik, wo im ganzen Land gerade einmal rund 30 Beatmungsgeräte für Intensivstationen zur Verfügung stehen, 60.000 Tote fordern könnte, wenn die Regierung nicht darauf reagiert. Bisher gibt es zwar erst 17 bestätigte Fälle, allerdings wurden in dem 29-Millionen-Einwohner-Land wegen der fehlenden Kapazitäten erst um die 500 Tests durchgeführt.

Der Kampf gegen das Virus bringt die Armen aber in schwere Bedrängnis. Straßenverkäufer, Taxifahrer, Haushaltshilfen - sie alle verdienen nur Geld, wenn sie arbeiten.

Mosambiks Regierung geht nun einen Mittelweg: Schulen sind geschlossen, Ansammlungen verboten, doch das öffentliche Leben soll, wenn auch sehr reduziert, weiterlaufen. Die Behörden könnten aber die Einschränkungen verschärfen.

In Bangladesch sorgt nundie Armee für Disziplin

Das ist in Bangladesch bereits geschehen. Mitte März hat dort Premierministerin Sheikh Hasina Schulen, Universitäten und Büros schließen lassen, und die Bewohner aufgefordert, zu Hause zu bleiben. "Viele Leute haben sich aber nicht daran gehalten. Sie fuhren in ihre Heimatdörfer, trafen Freunde, gingen zu Märkten. So konnte sich das Virus weiter ausbreiten", erzählt Mohammad al Mamun, der örtliche Leiter von Sonne.

Mittlerweile gibt es mehr als 400 Infizierte, doch auch hier dürfte die Dunkelziffer wegen fehlender Tests höher liegen. Nun gelten in vielen Regionen strikte Ausgangssperren, die vom Militär scharf kontrolliert werden.

Die Menschen bleiben jetzt zwar zu Hause. Doch vielen ist ihre Lebensgrundlage weggebrochen. Die Armee und örtliche Behörden verteilen zwar Lebensmittel an ärmere Familien, aber die Rationen reichen oft nicht aus. "Viele arme Leute meinen schon, dass ihre größte Sorge nicht Corona ist. Sondern es ist der Hunger", berichtet Mamun.

Bangladesch und Mosambik sind nur zwei Beispiele. Auch in anderen Ländern mit ärmerer Bevölkerung kann es sich kaum eine Regierung leisten, nicht auf das Virus zu regieren. Südafrika etwa hat ebenfalls strikte Ausgangssperren verhängt, und mit Indien steht ein 1,3-Milliarden-Einwohner-Staat praktisch still.

"Die Zahl der Hungernden wird steigen", prognostiziert Bettina Lüscher, Sprecherin des UN-Welternährungsprogramms (WFP). Durch geschlossene Schulen haben etwa weltweit bereits mehr als 368 Millionen Kinder ihr Schulessen verloren. Für viele ist das die einzig größere Mahlzeit am Tag. In der derzeitigen Lage können das die Eltern schwer kompensieren. Nicht nur können sie oft wegen der Ausgangssperren nicht arbeiten gehen, viele haben bereits ihre Jobs überhaupt verloren, weil auch in Entwicklungsländern Fabriken wegen mangelnder Aufträge schließen.

Das WFP hat seine Programme angepasst. "Die von uns betreuten Schulen sind nun Verteilungsorte, an denen etwa eine Monatsration an eine Familie ausgegeben wird", berichtet Lüscher. Aber das WFP versorgt gerade einmal 12 Millionen der betroffenen Kinder.

Insgesamt erhalten 87 Millionen Menschen vom WFP dringend benötigte Nahrungsmittelhilfe - die unbedingt weiterlaufen muss. "Deshalb platzieren wir nun ein Reservepaket", berichtet Lüscher. Dabei baut die Organisation etwa logistische Stützpunkte in betroffen Regionen aus oder stellt die Hilfe derart um, dass Familien größere Rationen für einen längeren Zeitraum erhalten. "Das muss unbedingt jetzt passieren, bevor die Situation noch schlimmer wird", sagt Lüscher.

UN-Experten fürchten höhere Preise für Lebensmittel

Die möglichen künftigen Szenarien machen den Experten des WFP große Sorgen: Wenn Grenzen geschlossen sind und vielleicht auch wichtige Transportknotenpunkte wie Häfen nur noch eingeschränkt operieren, drohen Lieferungen von Grundnahrungsmitteln ins Stocken zu geraten. Das könnte Staaten zu Panikkäufen verleiten - was die Preise in die Höhe treiben würde.

Man sei mit einer weltweiten Krise konfrontiert, "die wir so noch nicht erlebt haben. Dafür gibt es keine Präzedenzfälle", sagt Lüscher. Aber eines scheint klar: "Die Schwächsten der Schwachen wird es besonders hart treffen."