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Schulterschluss mit Netanjahu sorgt in Israel für Unmut

Von Ines Scholz

Politik

Anhänger werfen Blau-Weiß-Chef Gantz wegen vereinbarter Notstandsregierung Verrat vor.


Benjamin Netanjahu hat es geschafft. Trotz einer drohenden Verurteilung wegen mehrerer Korruptionsdelikte kann Israels Langzeit-Premier auf seinem Posten bleiben. Der Anführer des rechtsnationalen Likud hatte sich in der Nacht auf Dienstag nach drei vorgezogenen Neuwahlen mit Oppositionsführer Benny Gantz auf die Bildung einer - nach offizieller Lesart "der Corona-Krise geschuldeten" - nationalen Notstandsregierung geeinigt.

Damit endet die politische Pattsituation in Israel nach mehr als einem Jahr - und sichert Netanjahu zugleich die ersehnte Atempause. Denn der designierte Regierungschef steht unter massivem juristischem Druck: Am 24. Mai beginnt sein Prozess wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue. Verdacht der Beeinflussung von Medien, dubiose Deals mit Unternehmen und Luxusgeschenke befreundeter Geschäftsleute im Gegenzug für politische Gefälligkeiten - so lauten die Vorwürfe. Netanjahu hat sie alle zurückgewiesen. Im Falle eines Schuldspruchs droht eine bis zu zehnjährige Haftstrafe. Das Regierungsamt schützt ihn weitgehend davor, eine allfällige Strafe vor Ende der Amtsperiode antreten zu müssen. Und es sichert ihm den Einfluss auf künftige Richterernennungen und Justizgesetze.

Petition soll Netanjahu als Premier noch verhindern

In der Opposition und Teilen der Zivilgesellschaft macht sich derweil Unmut breit. Bürgerrechtler haben am Dienstag beim Höchstgericht eine Petition eingereicht. Damit wollen sie verhindern, dass Netanjahu, der das Ministerpräsidentenamt seit 2009 durchgängig bekleidet, trotz der Anklage erneut Regierungschef werden kann. Bis vor kurzem hatte auch Benny Gantz die Initiative unterstützt: ‚Niemand kann ein Land regieren und sich gleichzeitig um schwerwiegende Strafverfahren in drei Fällen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue kümmern." Seine zentristische Blau-Weiße Allianz "Kahol Lavan" aus arabischen und islamischen Parteien sowie jüdischen Ultranationalisten hatte deshalb eine entsprechende Gesetzesinitiative angekündigt.

Den 180-Grad-Schwenk, den der Vorsitzende des zentristischen Mitte-Bündnisses Blau-Weiß mit der Koalitionseinigung vollzogen hat, nehmen ihm viele Anhänger übel. Einige Vertreter von "Blau-Weiß" (hebräisch: Kahol Lavan) haben die Allianz aus Protest inzwischen verlassen und sich in die Knesset-Oppositionsreihen begeben. Sie werfen dem hochdekorierten Ex-General, der noch im Februar erklärt hatte: "Niemand kann ein Land regieren und sich gleichzeitig um seine schwerwiegenden Strafverfahren kümmern", Verrat vor. Netanjahu hatte Gantz seinerseits als Bedrohung für die Sicherheit Israels bezeichnet. Netanjahu-skeptische Gegner der "Corona-Notstandsregierung" monieren zudem, dass sich Gantz über den Tisch ziehen habe lassen.

Der Likudführer habe die einzige Partei, die ihn in den letzten zehn Jahren ernsthaft herausgefordert habe, aufgelöst, wird Tal Shalev, der für die Walla News Website schreibt, in der "New York Times" zitiert. Gantz habe "keine Erfolge, die "annähernd der Punktzahl entsprechen, die Netanjahu gerade erzielt hat".

Riskantes Hasardspiel für Blau-Weiß-Bündnis

Jedenfalls hat sich Gantz auf ein riskantes Hasardspiel eingelassen. In der Koalitionsvereinbarung wurde für Oktober 2021, der Halbzeit der Legislaturperiode, ein fliegender Ämterwechsel zwischen ihm und Netanjahu festgeschrieben. Netanjahu wird Vizepremier, Gantz übernimmt die Premiersagenden. Allerdings fragen sich einige Analysten in Israel, ob es die Regierung dann überhaupt noch geben wird. Zwar ließ sich Gantz die schriftliche Zusicherung geben, dass der Ämtertausch nur durch ein Parlamentsvotum verhindert werden kann, wenn 75 von 120 Abgeordneten dagegen stimmen. Und Netanjahu setzte sich auch nicht mit der Forderung durch, wonach die Koalition eine Entscheidung des OGH gegen die Amtsführung eines angeklagten Ministerpräsidenten mit einem neuen Gesetz außer Kraft setzen würde. Doch steht in der Klausel auch, dass im Falle einer für Netanjahu ungünstigen Entscheidung der Höchstrichter diese in den nächsten sechs Monaten umgehend zu Neuwahlen führen würde.