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In der Misstrauensspirale

Von Gerhard Lechner

Politik

Mit "Open Skies" steigen die USA aus dem nächsten Abkommen zur Rüstungsbegrenzung nach dem INF-Vertrag aus. Zwar will Russland diesmal nicht mit einem Ausstieg antworten. Das gegenseitige Vertrauen nimmt dennoch ab.


Eine Vorliebe für multilaterale Verträge kann man US-Präsident Donald Trump nicht nachsagen. Der Multimilliardär im Weißen Haus hat sein Land während seiner Amtszeit nicht nur aus dem Pariser Klimaschutzabkommen geführt und Freihandelsverträge wie den angedachten TTIP-Vertrag mit der EU gestoppt. Auch vom INF-Vertrag mit Russland, einem Rüstungskontrollabkommen über die Begrenzung nuklearer Mittelstreckenraketen, zogen sich die USA unter seiner Führung im Vorjahr zurück. So manchen Beobachter erinnerte das an brandgefährliche Zeiten während des Kalten Krieges, als Europa oft nur mit Glück der Katastrophe entronnen ist.

Am Donnerstag taten die USA einen weiteren Schritt, um - in der Sicht von Trump und den US-Republikanern - außen- und rüstungspolitisch wieder voll handlungsfähig zu werden: Der US-Präsident verkündete in Washington den Ausstieg seines Landes aus dem Rüstungskontrollvertrag "Open Skies" (Offener Himmel).

Die Offenheit, die im Namen des Vertrags anklingt, bezieht sich dabei auf ein Recht, das allen Mitgliedsstaaten zusteht: nämlich unbewaffnete militärische Aufklärungsflüge über den Territorien aller anderen Vertragsstaaten durchzuführen. Wie viele Flüge pro Jahr ein Staat zulassen muss und zu wie vielen er selbst berechtigt ist, wird mit bestimmten Quoten festgelegt. Kein Staat hat das Recht, die im Abkommen verbrieften Aufklärungsflüge zu unterbinden oder einzuschränken.

Genau das soll aber laut US-Darstellung geschehen sein. Und der Übeltäter ist aus Sicht Washingtons wieder einmal in Moskau zu finden. Russland soll demnach Flüge über den von Georgien abtrünnigen Territorien Abchasien und Südossetien verhindert haben mit dem Argument, diese seien unabhängige Staaten, die nicht dem Abkommen angehören. Der Westen sieht die Gebiete wiederum als Teil Georgiens. Auch Flüge über der russische Exklave Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, wo viele im Westen russische Mittelstreckenraketen vermuten, soll Russland verhindern.

Also werde man aus dem Vertrag aussteigen, bis der Kreml sich an das Vertragswerk halte, gab Trump bekannt. Der russische Vize-Außenminister Alexander Gruschko nannte den US-Ausstieg einen "Schlag gegen die Fundamente der europäischen Sicherheit".

"In der Tat sind die Überflugsbeschränkungen über Kaliningrad mit dem Open-Skies-Vertrag nicht vereinbar", sagt der Politologe Gerhard Mangott der "Wiener Zeitung". Dennoch hält er diese Begründung der USA eher für einen Vorwand als für den eigentlichen Grund der westlichen Vormacht, aus dem Vertragswerk auszusteigen. "Die USA wollen unter Trump im Bereich der Rüstungskontrolle keine vertraglichen Begrenzungen akzeptieren", sagt Mangott. "Sie wollen volle Handlungsfreiheit."

Anders als beim INF-Vertrag hat Russland auf den Schritt der USA jedoch nicht mit einem Ausstieg reagiert. Gruschko gab bekannt, man wolle weiter an dem Vertrag festhalten. "Solange der Vertrag in Kraft bleibt, wollen wir uns voll und ganz an alle Rechte und Verpflichtungen halten, die sich für uns aus diesem Abkommen ergeben", sagte der russische Vize-Außenminister. Er hoffe, dass dies die verbleibenden Länder auch gewissenhaft machen würden.

Das könnte durchaus der Fall sein. Denn nicht nur Russland würde das Abkommen wegen der Überflugsrechte über amerikanische Basen in Europa gerne behalten - obwohl man über Aufklärungssatelliten verfügt. Auch viele kleinere Nato-Staaten haben ein Interesse an dem Vertrag - auch, weil sie nicht über solche Satelliten verfügen. Diese Nato-Staaten hatten die USA vor dem Ausstieg gebeten, den Vertrag nicht zu verlassen.

"Wir haben sehr gute Beziehungen zu Russland"

Selbst Trump schloss Verhandlungen mit Russland über eine Fortführung des Vertrags nicht aus. "Wir haben in letzter Zeit sehr gute Beziehungen zu Russland gehabt", sagte der US-Präsident.

Ob ihm Russlands Präsident Wladimir Putin aber wirklich den Gefallen tun wird, einzulenken, daran bestehen Zweifel. Zumal sich die russisch-amerikanischen Beziehungen auch unter Trump verschlechtert haben. Die beiden Mächte befinden sich in einer Misstrauensspirale, die durch die Verunmöglichung von Überflugsrechten weiter verstärkt wird.