Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat das Urteil eines französischen Gerichts gegen pro-palästinensische Aktivisten als Verletzung der Meinungsfreiheit verurteilt. Die Aktivisten hatten 2009 und 2010 zum Boykott israelischer Produkte aufgerufen und waren wegen Anstiftung zur Diskriminierung verurteilt worden - zu Unrecht, stellte der Gerichtshof in Straßburg am Donnerstag fest.
Die Aktionen der Gruppe seien als "politische Meinungsäußerung" zulässig und von öffentlichem Interesse, wurde betont. Der EGMR entschied, dass Frankreich jedem der Beschuldigten 7.380 Euro Schadensersatz sowie der Gruppe zusammen 20.000 Euro für Verfahrenskosten bezahlen muss.
Boykott-Kampagne vor Supermärkten
Elf Mitglieder der Gruppe "Palästinakollektiv 68" hatten 2016 den beim Europarat angesiedelten EGMR angerufen. Sie hatten 2009 und 2010 im Rahmen der internationalen Israel-Boykott-Kampagne BDS bei Aktionen vor einem Supermarkt im französischen Illzach Kunden aufgefordert, keine israelischen Produkte zu kaufen. Ein französisches Gericht hatte sie 2013 deshalb wegen Anstiftung zur Diskriminierung verurteilt.
Der politische Diskurs sei naturgemäß häufig polemisch, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Trotzdem sei er auch dann von öffentlichem Interesse, es sei denn, es käme zu "Aufrufen zur Gewalt, zum Hass oder zur Intoleranz".
Amnesty lobt Urteil des Gerichts
Der Verband Frankreich-Palästina-Solidarität begrüßte die Entscheidung. Der Aufruf zum Boykott sei damit "als Bürgerrecht anerkannt". Auch Amnesty International Frankreich lobte die Entscheidung des Gerichts. Sie setze ein Zeichen gegen den "Missbrauch von Anti-Diskriminierungs-Gesetzen" gegen Aktivisten, die israelische Menschenrechtsverletzungen anprangern.
Das Kürzel BDS steht für "Boycott, Divestment and Sanctions" (Boykott, Entzug von Investitionen, Sanktionen). Die internationale Kampagne richtet sich gegen Israels Besatzungspolitik in den besetzten Palästinenser-Gebieten. Israel sieht die Boykottbewegung BDS als strategische Bedrohung an und wirft ihr Antisemitismus vor. Die Aktivisten weisen das zurück.
Nationalrat verurteilte BDS-Bewegung
Im Februar hatten sich alle Fraktionen im österreichischen Nationalrat mit einem Antrag gegen jegliche Form von Antisemitismus gewandt. Speziell bezog man sich dabei auf die sogenannte BDS-Bewegung, die - nach Angaben von Mandataren - auch mit einem Stand vor der Wiener Haupt-Uni für einen Boykott Israels bis hin zu Kultur und Sport geworben hatte. Mit dem Antrag forderten die Abgeordneten die Bundesregierung auf, Organisationen und Vereinen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels infrage stellen, keine Räumlichkeiten und Infrastruktur zur Verfügung zu stellen sowie der BDS-Bewegung keinerlei Förderung zukommen zu lassen.
Palästinenservertreter kritisiert Österreich
Hinsichtlich des EMGR-Urteils und des Nationalrats-Beschlusses ließ der palästinensische Botschafter in Wien, Salah Abdel Shafi, am Freitag in einer Aussendung wissen: "Während der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilt, dass Boykott-Aufrufe von israelischen Produkten als politische Meinungsäußerung zulässig und von öffentlichem Interesse sind, entschied das österreichische Parlament mit Hilfe aller fünf Parteien, dass Veranstaltungen von BDS in Österreich nicht mehr finanziell oder in anderer Form unterstützt werden dürfen. Nicht nur wird in Österreich sachliche Kritik an der völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung mit Antisemitismus gleichgesetzt, sondern auch direkt die Meinungsfreiheit angegriffen. Das nun veröffentlichte Urteil des Europäischen Gerichts für Menschenrechte hat hingegen einmal mehr verdeutlicht, dass der Aufruf zu Boykott ein völkerrechtlich legitimes, politisches Instrument ist und unter Meinungsfreiheit fällt. Es ist nun am österreichischen Parlament, seine Entscheidung zu überdenken." (apa, afp)