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"Werden neue Formen des Widerstands finden"

Von WZ-Korrespondent Felix Lill

Politik

Der 20-jährige Student Isaac Cheng ist einer der führenden Demokratieaktivisten in Hongkong. Das von China nun eingeführte Sicherheitsgesetz bedroht ihn massiv. Doch er und seine Mitstreiter wollen weiterkämpfen.


Seit 1. Juli unterliegt Hongkong einem in Festlandchina verabschiedeten Sicherheitsgesetz. Dieses trifft die Demokratiebewegung. Einer ihrer bekanntesten Aktivisten, Nathan Law, ist nach eigenen Angaben aus der Finanzmetropole geflohen. "Ich habe Hongkong bereits verlassen und werde meinen Aktivismus auf internationaler Ebene fortführen", teilte Law am Donnerstag mit.

Der 20-jährige Student Isaac Cheng, Vizechef der einflussreichen, aber mittlerweile aufgelösten Widerstandsgruppe Demosisto, sprach mit der "Wiener Zeitung" über Zukunftsaussichten der Stadt und der Demokratiebewegung.

"Wiener Zeitung": Herr Cheng, die Gruppe Demosisto war ein Garant für den Kampf um Demokratie in Hongkong. Sie war maßgeblich daran beteiligt, dass mehrmals Millionen Menschen auf den Straßen der Metropole protestierten. Jetzt haben Sie sich aber aufgelöst. Warum?

Isaac Cheng: Wir haben im Führungsgremium viel darüber diskutiert. Einige von uns haben sich entschlossen, den Kampf aufzugeben. Andere wollen weitermachen. In jedem Fall ist klar, dass diejenigen, die nicht aufgeben wollen, neue Formen des Widerstands finden müssen. Wir können uns jetzt nicht mehr offiziell als oppositionelle Gruppe treffen. Damit würden wir alle Teilnehmer in Gefahr bringen.

Der Nationale Volkskongress in Peking hat ein Sicherheitsgesetz für Hongkong verabschiedet. "Separatismus" und "Aufruhr", also Opposition gegen die Regierung, ist damit strafbar geworden.

Diverse Freiheiten, die in Hongkong bisher galten, sind uns genommen. Seit Hongkong 1997 von Großbritannien an China übergeben wurde, gilt die Leitlinie "Ein Land, zwei Systeme": In Hongkong müssen Grundrechte wie Versammlungs-, Meinungsoder Pressefreiheit gelten. Aber die chinesische Regierung setzt sich einfach darüber hinweg. Jetzt dürfen Menschen in Hongkong, die von der Polizei befragt werden, nicht einmal mehr die Aussage verweigern. Es gibt auch keine Begrenzung mehr, wie lange eine Person in Gewahrsam genommen werden darf. Das Prinzip "Im Zweifel für den Angeklagten" gilt nicht mehr, der Angeklagte trägt die Beweislast für seine Unschuld. Und wer in Hongkong für oppositionelle Tätigkeiten festgenommen wird, kann vor ein Gericht in Festlandchina geladen werden.

Gegen all dies hat Ihre Bewegung, die vor allem aus jungen Menschen besteht, seit Jahren Oppositionsarbeit geleistet. Sahen Sie eine derartige Reaktion aus Peking auch im Detail schon lange kommen?

Überrascht haben uns das schnelle Tempo, die Intransparenz und die Dreistigkeit, mit der die Angelegenheit jetzt durchgezogen wurde. Die von Peking eingesetzte Hongkonger Stadtregierung hat über Jahre versucht, Hongkong quasi den chinesischen Gesetzen unterzuordnen. Aber die Opposition der Bevölkerung war sehr stark. Und jetzt hat einfach der Kongress in Peking die Sache in die Hand genommen. Erst zwei Wochen im Voraus hat man davon erfahren, als chinesische Staatsmedien über das Thema berichteten. Und der genaue Inhalt des Gesetzes kam erst mit dessen Verabschiedung heraus. Es gilt aber mit sofortiger Wirkung.

Es gibt jetzt also ein Gesetz, das die Mehrheit derer, die es anwenden, noch kaum kennt und versteht.

So ist es. Niemand hatte Zeit, sich vorzubereiten. Vieles ist unklar. Man muss jetzt befürchten, dass man für Aktionen, die vorher legal waren, jetzt hohe Strafen erhält. Das Gesetz schließt im Prinzip sogar Menschen aus dem Ausland mit ein, die bei ihrer Ankunft in Hongkong festgenommen werden könnten. Für alles, was die chinesische Regierung für staatsfeindlich hält, kann man für lange Zeit ins Gefängnis kommen. Es hat auch schon gleich Verhaftungen gegeben.

Wie geht es mit den pekingkritischen Politikern weiter, die in den Legislative Council gewählt worden sind, das Hongkonger Stadtparlament?

Sie haben schon Post erhalten: Darin werden sie aufgefordert, ihre Treue zum neuen Sicherheitsgesetz zu beschwören. Wer das verweigert, kann dann sein Mandat verlieren. Kritische Stimmen sollen in den Institutionen keinen Platz mehr haben.

In weiten Teilen Festlandchinas ist über die vergangenen Jahre das Social-Credit-System etabliert worden, nach dem die Regierung reichlich Informationen über die Bürger sammelt, diese dann bewertet und davon abhängig womöglich unterschiedlich behandelt. Könnte das auch auf die Menschen in Hongkong zukommen?

Die Hongkonger Regierung hat behauptet, dass das nicht geschehen wird. Aber es sind auch schon Dokumente erschienen, nach denen der Einsatz des Systems noch 2020 geplant ist. Über die letzten Jahre wurden in Hongkong auch viele Kameras an öffentlichen Plätzen installiert. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass das System kommen wird.

Personen wie Sie werden dann wohl mit Minuspunkten starten. Sie sind schon mehrmals festgenommen worden. Zuletzt hatte Demosisto ein Referendum vorbereitet, um die Meinung der Menschen zum Sicherheitsgesetz zu erfahren.

Meine Punktzahl wird bestimmt schlecht sein, ja. Aber wir müssen uns für das einsetzen, was richtig ist. Und wir werden das weiterhin machen. Wir werden neue Formen des Widerstands finden.

Die britische Regierung hat Hongkonger Bürgern angeboten, nach Großbritannien zu ziehen. Ist das für Sie eine Option?

Keinem Hongkonger wird es leicht fallen, seine Heimat zu verlassen. Aber für viele von uns mag es die beste Wahl sein, weil ein Umzug Sicherheit garantieren würde. Aber auf mich trifft das nach derzeitigem Stand nicht zu. Ich bin 1999 geboren worden. Die britische Regierung hat das Angebot nur an Personen gemacht, die vor der Übergabe Hongkongs an China im Jahr 1997 zur Welt kamen. Außerdem studiere ich gerade im letzten Jahr Soziologie. Und ich kann meinen Abschluss nur in Hongkong machen.