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Ein Protest, der erst über Twitter Gehör gefunden hat

Politik

Die Demonstrationen gegen Polizeigewalt in Nigeria erhalten dank der Unterstützung in Sozialen Medien internationale Aufmerksamkeit.


Lagos/Wien. "Chinyelugo" folgten auf Twitter nur rund 800 Personen. Dennoch ging jene Nachricht, die er am 3. Oktober im Kurzmeldungsdienst Twitter absetzte, nicht unter: "Sars erschoss gerade eine Person in Ughelli (einer Stadt im Süden Nigerias, Anm.). Ich habe Videos . . ."

"Chinyelugos" Nachricht setzte eine Protestlawine gegen die schon zuvor übel beleumundete nigerianische Polizei-Eliteeinheit Sars (Special Anti-Robbery Squad) in Gang. Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International sei diese zwischen 2017 und 2020 für mindestens 82 Fälle von Folter, Misshandlung und Hinrichtung verantwortlich gewesen. Und scheinbar immun für eine Reform, die vor drei Jahren erfolglos verlief.

Erst das Zusammenspiel von Protesten auf der Straße und die Kraft der Sozialen Medien führt nun zu Veränderungen. Eine Frau namens Rinu Oduala überredete Protestierende, über Nacht vor einem Anwesen der Regierung in der größten Stadt des Landes, Lagos, zu demonstrieren. Dann schrieben die Organisatoren gezielt Medien an und fragten, warum die Journalisten nicht über die Ereignisse berichten. Parallel dazu versuchten Twitter-Nutzer Prominente aus Nigeria von ihrem Anliegen zu überzeugen, berichtet die BBC. Am 9. Oktober twitterte Musiker Davido: "Meine Leute brachen mich ... Beendet Sars jetzt." Sein Kollege Wizkid schrieb lediglich zwei Hashtags: #endsars #endpolicebrutality, gemeinsam mit einer nigerianischen Flagge und einem gebrochenen Herzen. Davido folgen acht Millionen Menschen auf Twitter, Wizkid 7,5 Millionen. Nach ihnen solidarisierten sich auch Personen ohne biografischen Bezug zu dem Land, darunter der Fußballer Mesut Özil und Twitter-Gründer Jack Dorsey.

Weit über die Grenzen des 200-Millionen-Einwohner-Staates demonstrieren Bürger mittlerweile für ein Ende der brutalen Einheit. In Europa ist die britische Hauptstadt London Epizentrum der Demonstrationen.

Sars ist zwar bereits seit dem 11. Oktober Geschichte, die Protestierenden fordern aber weitere Strafverfolgungsreformen. Knapp zwei Wochen nach Beginn der Kundgebungen eröffneten nun Einsatzkräfte das Feuer auf Demonstranten, hieß es in Sozialen Netzwerken. Die NGO Amnesty International erklärte, sie habe Belege, dass mindestens zwölf Menschen getötet worden seien. Der Gouverneur des Bundesstaates Lagos, Babajide Sanwo-Olu, sprach von 25 Verletzten - jedoch nicht von Todesopfern. Auch Vizepräsident Yemi Osinbajo dementierte bisher den Verlust von Menschenleben. Staatschef Muhammadu Buhari bat die Bürger um Geduld und verwies darauf, die geforderte Polizeireform werde bereits angegangen.

Die Krise im bevölkerungsreichsten Land des Kontinents ruft nun auch die USA auf den Plan: Präsidentschaftskandidat Joe Biden forderte Buhari und das Militär auf, das "gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten" einzustellen. Die Afrikanische Union verurteilte die Gewalt: Alle politischen und sozialen Beteiligten sollten Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit respektieren", sagte Kommissionspräsident Moussa Faki Mahamat. UN-Generalsekretär António Guterres rief zu friedlichen Protesten und dem Ende von Polizeibrutalität auf. Natürlich auch im Medium der Protest-Stunde, Twitter.(red)