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Entscheidung im Rust Belt

Von Klaus Huhold und Ronald Schönhuber

Politik

Während es in vielen Swing States frühzeitig Ergebnisse gegeben hat, ist es in Michigan, Wisconsin und Pennsylvania zur erwarteten Hängepartie gekommen. In Wisconsin ging dann Biden in Führung.


Der Rust Belt war bei dieser Wahl die große Hoffnung für Joe Biden. Die alten Industrieregionen im Nordosten, die bei der Wahl 2016 mit fliegenden Fahnen von den Demokraten zu Donald Trump und seinen Republikanern übergelaufen sind, sollten dem 77-jährigen Herausforderer den Weg ins Weißen Haus ebnen.

Und laut den Umfragen hatte die Hoffnung, dass die einst so feste "Blue Wall" - Blau ist die Farbe der Demokraten - in Michigan, Wisconsin, Ohio und Pennsylvania wieder aufgebaut werden kann, auch durchaus ihre Berechtigung. Abgesehen von Ohio lag Biden in den allermeisten Wählerbefragungen überall klar voran.

Der erhoffte Durchmarsch von Biden ist am Wahltag allerdings ausgeblieben. Am spätem Mittwochnachmittag lag der ehemalige Vizepräsident in Michigan und Wisconsin mit weniger als einem Prozentpunkt voran, in Pennsylvania hatte Trump bei einem Auszählungsgrad von 77 Prozent einen Vorsprung von stattlichen zehn Prozentpunkten. In Wisconsin ging Biden dann in Führung.

Was viele Demokraten schon im Vorfeld befürchtet haben, ist damit am Tag nach der Wahl Realität geworden: Die knapp zwei Millionen Briefwahlstimmen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgezählt worden sind, entscheiden nicht nur darüber, wer in Michigan, Pennsylvania und Wisconsin gewinnt, sondern auch darüber, wer als neuer Präsident ins Weiße Haus einzieht. So musste Biden nach Stand Mittwochabend zumindest noch einen der drei Staaten gewinnen, um das Rennen für sich zu entscheiden.

Farmer und Arbeiter

Michigan, Pennsylvania und Wisconsin haben eine ähnliche Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur: Zwischen traditionellen Industriestädten mit viel Arbeiterschaft liegt weit ausgedehntes Land mit vielen Farmen. Zudem leben in allen drei Bundesstaaten überproportional viele Weiße - in Wisconsin sind es 86,2 Prozent und auch in Pennsylvania und Michigan ist nur jeder vierte Bewohner kein Weißer. Damit sind es die großteils weißen Farmer, die traditionell den Republikanern zuneigen, und Arbeiter, die einst aufseiten der Demokraten standen, die hier entscheiden, wer eine Wahl gewinnt.

Und bei beiden Gruppen konnte Trump offenbar erneut punkten. Das ist insofern ein wenig überraschend, als dass weder Farmer noch Arbeiter so von seiner Politik profitiert haben, wie er es versprochen hatte. Bei den Farmern traf gar das Gegenteil zu: Die Exporte sind wegen des von Trump verursachten Handelskriegs mit China sogar eingebrochen - was die Trump-Administration aber teilweise mit Subventionen aufgefangen hat. In den Industriegebieten des Rust Belt gehören die verfallenen Fabrikshallen mit ihren eingeschlagenen Fenstern noch genauso zum Straßenbild wie vor vier Jahren.

Trotzdem trauten offenbar viele Farmer und Arbeiter Trump in wirtschaftlichen Fragen mehr zu als seinem demokratischen Konkurrenten Joe Biden. "Die ersten verfügbaren Wählerbefragungen zeigen ganz deutlich, dass ein Thema alle anderen überragt hat: die Wirtschaft", analysiert der Politologe Thomas Jäger von der Universität zu Köln. "Wir haben in den Umfragen gesehen, dass Biden bei den Themen Krankenversicherung oder Umweltschutz vorne lag. Aber sobald es um Wirtschaft ging, hat Trump die Nase vorne gehabt."

Und das deshalb, weil er den Wählern "Angst gemacht hat", betont Jäger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Trump hat "den Teufel eines sozialistischen, dirigistischen Staates an die Wand gemalt. Wobei man dazu sagen muss: Über die Hälfte hat ihm das nicht geglaubt. Aber seine Anhänger haben ihm das geglaubt."

Das große Versprechen

Mit den steten und drastischen Warnungen vor dem Sozialismus hat der ehemalige Reality-TV-Star Trump, der sich immer wieder als Anti-Politiker inszeniert, ein uraltes republikanisches Schreckgespenst aus der Mottenkiste geholt. Verknüpft hat er das mit einer Anti-China-Stimmung. So hat Trump bei seinen Wahlkampfveranstaltungen immer wieder auf Videoleinwänden Statements von Joe Biden eingespielt, in denen dieser noch als Vizepräsident von Barack Obama die Kooperation der USA mit China lobt. Die Botschaft dahinter: Biden wird eure Jobs nach China verkaufen.

Gleichzeitig bot Trump aber auch eine verlockende Lösung an. Eingerahmt in sein "America First"-Motiv, prophezeite er die Wiederauferstehung der alten Industrie im Rust Belt. Die Kohle sollte ein fulminantes Comeback erleben, die Arbeitsplätze in den Autofabriken und Schwerindustrie wieder zurückkommen. "Zieht nicht weg. Verkauft euer Haus nicht", beschwor Trump schon im Jahr 2017 seine jubelnden Anhänger in der alten Industriestadt Youngstown. "Es wird passieren."

Kein Elite-Kandidat

Zudem ist es dem Millionär Trump, auf dessen immer wieder versprochenes Job-Wunder die Menschen in Michigan, Pennsylvania und Wisconsin noch immer warten, offenbar gelungen, sich erneut als Anti-Establishment-Kandidat zu präsentieren. Mit seiner oft derben Rhetorik und seinen Inszenierungen, wenn er etwa mit dem Hamburger in der Hand Trash-Fernsehen verfolgt, grenzt sich Trump von einer intellektuellen Elite ab. So widersprüchlich es auch ist, anscheinend zieht das immer wieder bei Wählern, die von Trumps Wohlstand nur träumen können.

Den Demokraten war bewusst, dass sie für einen Wahlsieg die weißen Arbeiter zurückgewinnen müssen. Auch unter diesem Gesichtspunkt wurde Joe Biden ausgewählt, der anders als Hillary Clinton bei den Blue-Collar-Worker nicht als Inbegriff der abgehobenen Washingtoner Elite gilt. Biden stammt selbst aus Pennsylvania und genießt unter den Industriearbeitern eine hohe Glaubwürdigkeit. Tatsächlich ist es dem demokratischen Herausforderer laut ersten Exit Polls gelungen, mehr Stimmen unter der weißen Wählerschaft zu gewinnen als Clinton 2016. Allerdings hat Trump in dieser Wählergruppe ersten Nachwahlbefragungen zufolge noch immer eine Mehrheit (siehe Grafik).

Links oder moderat

Der Wahlausgang wird auch entscheidend im Hinblick darauf sein, wie es mit der Demokratischen Partei weitergeht. "Die Demokraten haben sich hinter einem Kandidaten gesammelt, der so weit rechts stand, dass er die Trump-Wähler hätte zurückholen sollen. Auch Hillary Clinton war eine moderate Kandidatin", sagt Jäger. "Sollte das zum zweiten Mal schiefgehen, wird der linke Flügel rund um Bernie Sanders eine Grundsatzdiskussion über die Ausrichtung der Partei beginnen."

Ob der linke Flügel aber gerade bei der weißen Arbeiterschaft besser ankommt, ist äußerst fraglich. Er hat nämlich auch eine starke identitätspolitische Schlagseite und in dieser Debatte ist der (alte) weiße Mann, wenn er nicht Bernie Sanders heißt, nicht sonderlich gut angeschrieben.

Das ist aber noch Zukunftsmusik. Entschieden wird die Wahl nämlich möglicherweise erst am Freitag. Denn Pennsylvania, der größte verbleibende Unsicherheitsfaktor, hat erst am Tag nach dem Wahltag überhaupt mit der Auszählung der Briefwahlkarten begonnen. In Pennsylvania sind 20 Wahlmänner zu holen, und auf die könnte es am Ende ankommen.