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Biden ist nicht allein: Der alte Präsident und die jungen Rebellen

Politik

Mit Joe Biden gewann ein Mann aus dem demokratischen Parteiestablishment die US-Präsidentenwahlen. Dennoch ist sein Sieg kein Triumph für das gemäßigte Lager: Gleich nach der Wahl brachen wieder alte Konflikte mit der Parteilinken auf.


Joe Biden gilt als Mann der Mitte. Der 78-Jährige, der sich bei den Vorwahlen innerhalb der Demokratischen Partei knapp gegen den Linken Bernie Sanders durchsetzen konnte, hat es geschafft. Die Präsidentschaft Donald Trumps scheint bald Geschichte. Die Taktik, mit einem gemäßigten Kandidaten zu gewinnen, ist aufgegangen.

In seiner Siegesrede gab sich der 78-Jährige dann auch betont präsidial: "Ich verspreche, ein Präsident zu sein, der nicht spalten, sondern vereinen will", sagte Biden vor jubelnden Anhängern. Es sei an der Zeit, das Land zu "heilen". Die "Ära der Verteufelung" müsse enden. "Wir müssen aufhören, unsere Gegner wie Feinde zu behandeln. Sie sind keine Feinde. Sie sind Amerikaner." Er werde ein Präsident für alle US-Bürger sein.

 

Harmonie währte nur kurz

Der Graben, der Demokraten und Republikaner trennt, ist diesmal freilich tiefer als sonst. Während die republikanische Partei unter Donald Trump zu einer Art rechtspopulistischen Protestpartei geworden ist, sind die Demokraten in den letzten Jahren zunehmend nach links gerückt. Bei den Republikanern ist neben dem konservativ-libertären Flügel rund um die "Tea Party"-Bewegung und den Anhängern Trumps kaum mehr Platz für das alte republikanische Parteiestablishment. Die Zukunft der Partei wird wohl zwischen Trump, der religiösen Rechten und Tea Party liegen.

Und bei den Demokraten? Dort wirkt der Wahlsieger, der nette, großväterliche Biden, wie ein Überbleibsel aus einer Zeit vor der großen Polarisierung. Obwohl die Demokraten mit Bidens Mitte-Strategie erfolgreich waren, obwohl sie sogar Chancen haben, im Jänner noch den Senat zu erobern, sieht es innerhalb der Demokraten nicht nach einem Durchmarsch oder Triumph des gemäßigten Lagers aus - zumindest nicht langfristig. Gleich nach der Wahl begann in der Partei der Richtungsstreit zwischen Gemäßigten und Linken, der schon die Vorwahlen überschattet hatte und nur mühsam gekittet wurde, von Neuem.

Forderungen der Parteilinken

Zwar hatten sich während des Wahlkampfes fast alle Demokraten um Biden und die ebenfalls gemäßigte Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris geschart. Schließlich wollte man der amerikanischen Öffentlichkeit im Wahlkampf nicht das Bild einer heillos zerstrittenen Partei präsentieren, sondern die Wahl gegen Trump gewinnen.

Nun, da dieses Ziel erreicht ist, brechen die Gräben wieder auf. Wortführerin der Parteilinken ist die junge New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die derzeit in Interviews Forderungen aufstellt, die zumindest in den USA umstritten sind: eine staatliche Krankenversicherung, einen Umbau der Wirtschaft mit mehr Staatsinterventionismus, mehr Schulden, dazu auch einen forcierten Kampf gegen Rassismus und für Minderheiten.

 

Widerstand gegen linken Kurs

Ocasio-Cortez, selbst puerto-ricanischer Abstammung, glaubt nicht, dass es Bidens Mitte-Kurs war, der die Wahl gewonnen hat. Im Gegenteil seien es die vielen jungen, linken Parteiaktivisten gewesen, deren Engagement sich bezahlt gemacht habe. Diese jungen Wähler, die Zukunft der Partei, durch einen moderaten Kurs zu verschrecken, sei "dumm".

Unwidersprochen bleibt dieser Kurs nicht. Vor allem nicht bei jenen, die sich abseits von Gegenden wie New York, die von Demokraten dominiert sind, beim Wähler durchsetzen müssen. So schimpfte die Abgeordnete Abigail Spanberger, die vor zwei Jahren einen ehemals republikanischen Wahlkreis in Virginia eroberte, in einer Telefonkonferenz laut über jene Parteikollegen, die von "Sozialismus" sprechen, und davon, dass man der Polizei die Mittel kürzen müsse. Das habe sie fast die Wiederwahl gekostet.

Sozialismus nicht mehr abschreckend

Ocasio-Cortez hingegen muss sich in ihrem Wahlkreis keine Sorgen machen, dass ein Republikaner die Wahl gewinnen könnte. Während man in Virginia die Wahlen in der Mitte gewinnt, kann man in New York auch mit linken Positionen erfolgreich sein.

Ocasio-Cortez vertritt in jedem Fall eine Strömung, die innerhalb der Demokraten immer stärker wird: Für die Millennials, um das Jahr 2000 geboren, wird der amerikanische Traum zunehmend unerfüllbar. Sie hoffen auf Absicherung durch den Staat. Das Wort Sozialismus schreckt sie nicht mehr so stark ab wie Generationen von Amerikanern zuvor.

Bei den Republikanern hingegen ist die historisch gewachsene Skepsis gegenüber dem Staat quasi Doktrin. Diese Polarisierung der US-Gesellschaft aufzuheben, die Gräben zuzuschütten, wird Biden kaum gelingen - schon allein, weil die vielbeschworene Mitte ausgedünnt und zwischen den beiden Lagern zerrieben ist. Ob sich das Biden-Harris-Lager innerhalb der Demokraten langfristig durchsetzt, ist auch deshalb fraglich - obwohl Biden sein Kabinett wohl in erster Linie mit Gemäßigten besetzen wird.(leg)