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Setzt sich der "Rüpel" am Ende durch?

Von Michael Schmölzer

Politik

Trump könnte im Hinblick auf den Iran eine folgenschwere Genugtuung zuteilwerden, warnt Friedensforscher Roithner.


Mit Joe Biden hat der "Anti-Trump" die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen. Das amerikanische Staatsoberhaupt kann international relativ frei agieren, Biden hat schon angekündigt, dass er eine maßgebliche Neuausrichtung im Auge hat. Die letzten vier Jahre waren von "America first" geprägt. Und es war eine Phase, in der die USA keinen Krieg im klassischen Sinn begonnen haben. Steigt gerade mit Biden die Gefahr eines bewaffneten Konflikts? Die "Wiener Zeitung" hat dazu mit dem Friedensforscher Thomas Roithner gesprochen.

"Wiener Zeitung": Noch-US-Präsident Donald Trump hat zwar jetzt kurz erwogen, den Iran anzugreifen. In den vergangenen vier Jahren hat er aber kaum zum Mittel des klassischen Krieges gegriffen. Wie wird es unter seinem Nachfolger Joe Biden weitergehen?

Thomas Roithner: Trump hat versucht, "America first" auf unterschiedlichen Ebenen durchzusetzen. Ich glaube, dass diese Politik in gewisser Hinsicht bleiben wird, allerdings wird Biden sehr freundlich "America first" einfordern. Das wird der große Unterschied sein. Der Ton wird die Musik ausmachen. In den verschiedenen Konflikten, auch den geoökonomischen, wird eine Kontinuität bleiben. Ich erwarte nicht, dass es im Hinblick auf die Volksrepublik China eine gravierende Kursänderung geben wird. Biden wird versuchen - und das macht den Unterschied aus -, auf Allianzen zu setzen, um seine Interessen durchzusetzen. Biden wird auch versuchen, die Nato zu reaktivieren und stärker auf die Vereinten Nationen setzen. Aber es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich die Interessen der USA grundlegend geändert hätten.

Wenn sich die USA international künftig mehr engagieren, bringt das nicht automatisch mit sich, dass ein militärisches Eingreifen Washingtons wahrscheinlicher wird?

Ich würde nicht sagen, dass das wie ein Naturgesetz so kommen muss. Aber den Friedensnobelpreis wird ein Präsident Biden am Ende wohl nicht bekommen.

Kann es sein, dass der Kampf gegen Corona derzeit weltweit dafür sorgt, dass es weniger kriegerische Konflikte im klassischen Sinn gibt? Da waren zuletzt eigentlich "nur" die Kämpfe in Bergkarabach und Äthiopien. Können wir uns vom konventionellen Krieg, wie wir ihn aus den vergangenen Jahrzehnten kennen, verabschieden?

Clausewitz (preußischer Kriegstheoretiker im 19. Jahrhundert, Anm.) hat gesagt, der Krieg ist ein Chamäleon, der ändert ständig seine Gestalt. Das beobachten wir derzeit. Kriegerische Konflikte verschwinden überhaupt nicht, sie werden zum Teil mit anderen Mitteln ausgetragen. Es gibt nicht nur den Krieg und den Nicht-Krieg. Die Frage ist, was steckt da dazwischen. Es gibt Regionen mit gewaltsamen Auseinandersetzungen, die von machen als Krieg eingestuft werden, von machen nicht.

Was wäre dafür ein Beispiel?

Das klassische Beispiel ist Mexiko. Dort läuft ein blutiger Drogenkrieg zwischen Kartellen, paramilitärischen Verbänden und Bevölkerung. Viele Menschen sterben, es gibt viele Verletzte, Menschen werden vertrieben. Kann man das als Krieg einstufen? Ja, aber nur wenn man sagt, dass ein staatlicher Akteur kein wesentlicher Player sein muss. Andere sagen, dass in Mexiko kein Krieg herrscht.

Beim Amtsantritt Donald Trumps vor vier Jahren waren die Spannungen im Südchinesischen Meer ein großes Thema. Wo sehen Sie die potenziell gefährlichen kriegerischen Hotspots heute? Ist es die Türkei, die derzeit am meisten zündelt?

Ich glaube, dass der Hotspot nach wie vor China ist. Wir haben unter Trump sehr viel über Sanktionen und Strafzölle gesprochen, bei Trump hat man auch den Eindruck gehabt, die Dinge eskalieren schneller. Ich glaube, dass diese Konflikte auch unter Biden grundsätzlich bleiben werden. Vor allem, weil es um globale Machtverschiebungen geht. Und da verlieren die USA relativ betrachtet an Gewicht. Da geht es nicht nur um militärische Macht, sondern auch um Wirtschaftsmacht, die Macht, in internationalen Organisationen seine Interessen durchzusetzen. Und wir sehen, dass es China immer mehr vermag, diese unterschiedlichen Dimensionen auszuspielen.

Ist das auch in militärischer Hinsicht gefährlich?

Schwer zu prognostizieren. Aber es gibt unterschiedliche Forschungen, die gesagt haben: Wenn es in der Geschichte zu einer großen politischen und allgemeinen sicherheitspolitischen und ökonomischen Umwälzung kommt, dann führt das sehr häufig zu Kriegen. Es geht darum, jene Institutionen zu stärken, die inkludierend wirken. Wie die UNO. Wo alle mit am Tisch sitzen, nicht nur einige, die sich dann etwas ausmachen und das dann durchsetzen.

Ein Land, das immer wieder gegen die UNO opponiert hat, ist Nordkorea. Da gab es Treffen mit Trump - haben die USA da etwas bewirken können?

Ich habe meine Zweifel, dass der Grundkonflikt ausgeräumt ist. Für Nordkorea sind Atomwaffen nach wie vor eine Versicherung, um keinen Regimewechsel zu erleiden. Man hat es nicht geschafft, auf ein Sicherheitsbedürfnis des Regimes in Nordkorea auf irgendeine Form einzugehen. Das ist keine Verteidigung des Regimes, aber man muss auch versuchen, die Bedürfnisse des Gegenübers in gewisser Weise zu reflektieren. Sonst wird eine Lösung schwierig sein. Das ist ein vielschichtiger Konflikt, das werden wir nicht im Rahmen einer Präsidentschaft bearbeiten können.

Der atomare Problemfall Nummer zwei ist der Iran. Hier hat Trump ja viel Porzellan zerschlagen. Das ist der Hauptfeind. Und da hat es ein möglicherweise funktionierendes Abkommen gegeben. Jetzt wird klar, dass der Iran zwölfmal mehr Uran anreichert, als er dürfte. Wie lautet da Ihre Prognose für die nächsten Jahre?

Biden hat gesagt, man sollte wieder ins Gespräch kommen. Das halte ich grundsätzlich für gut. Die Atomenergiebehörde in Wien hat in der Vergangenheit mehrfach festgestellt, dass sich der Iran an das Abkommen gehalten hat. In dem Moment, als Trump gesagt hat, das Abkommen ist für uns irrelevant, hat sich auch der Iran anders verhalten.

Es gab dann wieder Sanktionen gegen den Iran.

Die Frage für mich lautet: Wenn es jetzt zu einem Abkommen mit dem Iran kommt - das wird nicht das selbe wie zuvor sein: Hat sich dann am Ende der Rüpel nicht doch durchgesetzt? Wenn es ein Abkommen ist, das am Ende des Tages vorteilhafter für die Vereinigten Staaten ist, als es das vorher gewesen ist.

Es wäre für den "Rüpel" Trump natürlich eine große Genugtuung, wenn er darauf hinweisen könnte, dass sein Ansatz richtig war. Das würde seine Taktik ja legitimieren.

Wenn der Atomdeal zuerst gestorben ist und wenn dann unter Biden ein Abkommen herauskommt, das ein Stück vorteilhafter für die USA ist: Dann setzt sich der Rüpel am Ende des Tages durch. Die Frage ist, was heißt das für multilaterale Zusammenarbeit, für internationale Verträge? Für den Klimavertrag, für das Start-Abkommen, für andere Abkommen? Was heißt das, wenn sich der Rüpel durchsetzt?

Um an den Beginn zurückzukehren: Trump hat vier Jahre lang keinen Krieg begonnen. Er ist gewissenlos, er ist brutal im Umgang mit anderen, aber er führt keinen Krieg. Hat er da eine Beißhemmung?

Das entspricht nicht einer pazifistischen Einstellung, sondern ist Trumps Konzept von "America first".

Und dass die USA dadurch, dass sie sich aus allen Konflikten zurückziehen, an Einfluss verlieren: Das hat er so nicht gesehen?

Das hat er so nicht gesehen. Dass er etwa in Nordsyrien ein Machtvakuum schafft, das von anderen gefüllt wird, war ihm weniger eingänglich als anderen. Aber was die Weltmilitärausgaben betrifft, halten die USA bei 38 Prozent.

Trump hat die USA enorm aufgerüstet.

Wenn man jetzt sagt, Trump will sich an Kriegen nicht beteiligen, dann hätte er ja die Militärausgaben zurückfahren können. Das wäre ein logischer Schritt gewesen.

Er will also aus der Position der militärischen Stärke verhandeln?

In punkto Militärmacht sind die Amerikaner nicht so leicht einholbar. China hält bei 14 Prozent der weltweiten Militärausgaben, die USA bei 38 Prozent. Das werden die Vereinigten Staaten nicht so einfach aus der Hand geben.