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Das Impfstoff-Rennen der Großmächte

Von Gerhard Lechner

Politik

Mit den Firmen rittern auch die mit ihnen verbundenen Staaten um die Pole Position im Kampf gegen das Coronavirus. China und Russland sind mit ihren Mitteln vorgeprescht und schaffen Abhängigkeiten, der Westen zieht nach.


Es ist eine Situation, wie sie die moderne, vernetzte Welt bisher noch nicht erlebt hat: Seit mehr als einem halben Jahr diktiert ein Virus den Völkern auf dem ganzen Erdball neue Bedingungen des Zusammenlebens auf, zwingt ganze Volkswirtschaften in den Lockdown, zerstört Existenzen, unterbricht Handelswege - und fordert Opfer vor allem unter alten Menschen und Vorerkrankten. Die Sehnsucht nach der Rückkehr in ein normales Alltagsleben ist groß, nach Sicherheit und Planbarkeit. Die Blicke richten sich auf die Pharmabranche, die ihre neu entwickelten Impfstoffe in Rekordzeit auf den Markt wirft - ein Umstand, der bei vielen Sorgen über mögliche Nebenwirkungen auslöst. Schließlich wurde bisher noch kein Impfstoff in solcher Schnelle zugelassen.

Doch die Zeit ist knapp, und Zeit ist Geld - gerade dann, wenn es um ein gewaltiges Geschäft geht. Der Markt für Covid-Impfstoffe ist ein Weltmarkt, potenziell gilt jeder Mensch als Kunde. Ein Unternehmen, dessen Produkt sich in diesem Rennen um den wirkungsvollsten Impfstoff durchsetzt, würde nicht nur ein Riesengeschäft machen, es würde auch enorm an Bekanntheit gewinnen - und damit auch andere Produkte leichter unters Volk bringen. Ein Fehlschlag, etwa ein unwirksames Medikament mit schweren Nebenwirkungen, könnte sich freilich auch fatal aufs Image auswirken.

 

Regierungen demonstrieren Handlungsfähigkeit

Doch es sind nicht nur private Unternehmen, die bei dem Wettlauf viel zu gewinnen oder zu verlieren haben. Auch für Staaten geht es um sehr viel. Schon allein deshalb, weil viele Regierungen ihre jeweiligen Firmen mit Steuergeldern unterstützen: So fördern die USA acht Pharmafirmen mit über zehn Milliarden Dollar. Deutschland unterstützt die drei Unternehmen Curevac, IDT Biologica und auch Biontech, das bereits einen Impfstoff zur Verfügung hat, mit 750 Millionen Euro. Die Grenze zwischen privat und Staat wird also zunehmend fließend.

Man spricht bereits von einer Art "Impfstoff-Geopolitik", die Platz gegriffen habe. Vor allem China und Russland sind im Rennen um das rettende Medikament vorgeprescht und haben damit auch den Westen, der mittlerweile nachgezogen hat, unter Zugzwang gesetzt. "In diesem Wettbewerb sind heute alle Regierungen weltweit unter Druck, egal ob sie demokratisch oder autoritär regiert werden", sagt Anna Holzscheiter, Politologin an der Technischen Universität Dresden, der "Wiener Zeitung". "Über den Weg über den Impfstoff sucht man der Bevölkerung zu signalisieren, dass man in der Lage ist, sich um sie zu kümmern. Außerdem will man die starken wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ausbremsen. Die wirken sich bei den Großmächten natürlich auch auf die Handlungsfähigkeit auf der internationalen politischen Bühne aus", analysiert die Expertin für globale Gesundheitspolitik.

China punktet gegen USA

Mittlerweile sieht es so für manche so aus, dass der geopolitische Gewinner der Corona-Krise China heißen könnte. Obwohl die Pandemie von China ihren Ausgang nahm, hat Peking mit den rigorosen Maßnahmen, die einer Diktatur möglich sind, das Virus offenbar eingehegt. Während beim Hauptkonkurrenten in Washington in den letzten Monaten die Pandemie wütete und das Land außerdem mit der Präsidentenwahl beschäftigt war, präsentierte sich Peking auf internationaler Bühne kooperationsbereit. "Als die USA beispielsweise angekündigt haben, aus der Weltgesundheitsorganisation WHO auszutreten, hat Chinas Staatschef Xi Jinping das Vakuum sofort gefüllt und gesagt, ich gebe zwei Milliarden US-Dollar in einen Topf, der sicherstellt, dass auch weniger entwickelte Länder diese Impfstoffe erhalten", sagt Holzscheiter.

Uneigennützig dürfte das chinesische Engagement freilich nicht sein. "Es geht da natürlich ums Image und auch ums Geschäft", berichtet Holzscheiter. So will China sowohl in der asiatischen Nachbarschaft als auch in Afrika und Südamerika als neue Weltmacht punkten und dem Konkurrenten USA das Wasser abgraben.

Brüssel verärgert über Ungarn

Da man die Pandemie im eigenen Land unter Kontrolle hat, ist Peking nicht akut auf Impfungen angewiesen und kann seine Impfstoffe in großem Ausmaß exportieren. So soll etwa allein der brasilianische Bundesstaat Sao Paulo 46 Millionen Dosen erhalten.

Auch Russland ist mit seinem Impfstoff "Sputnik V", der nicht zufällig nach dem in den 1950er Jahren entwickelten Satelliten benannt ist, mit dem die damalige Sowjetunion den Westen übertrumpfte, im internationalen Geschäft. Schon im September hat man Absichtserklärungen mit mehr als zehn Ländern Asiens, Südamerikas sowie des Mittleren Ostens unterzeichnet. So wird beispielsweise Ägypten von Russland mehr als 25 Millionen Dosen erhalten. Mit Ungarn hat auch ein EU-Staat Impfdosen aus Moskau geordert. In Brüssel sorgte das einmal mehr für Ärger, am vergangenen Montag wurde Budapest aber die Nutzung des russischen Impfstoffes erlaubt.

Politische Abhängigkeiten

Das Rennen um den Impfstoff ist freilich ein riskantes, die Gefahr, zu stolpern, groß. In Russland hat man bei der Entwicklung des Vakzins auf die obligatorische dritte Testphase verzichtet, was Kritik hervorrief. Dafür riskiert man im Westen mit den neuartigen gentechnischen mRNA-Vakzin - ein Typ Impfstoff, der bisher noch niemals an Menschen zugelassen wurde - ebenfalls viel.

Ein wirksamer Impfstoff ist für die Großmächte nicht nur gut fürs Image. Er eröffnet auch die Möglichkeit, Bindungen zu schaffen oder zu vertiefen, die auch zu politischen Abhängigkeiten führen. All das befeuert zwischen den Mächten die Konkurrenz - obwohl es bei der Entwicklung der Impfstoffe ein hohes Ausmaß an internationaler Kooperation zwischen Universitäten, Firmen und auch Staaten gibt. Allerdings nicht zwischen konkurrierenden Mächten.