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Chronik eines angekündigten Aufstandes

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Es war alles andere als eine Überraschung: Mit der Erstürmung des Kapitols fand eine Entwicklung ihren logischen Höhepunkt, deren Saat in Politik und Medien schon vor langer Zeit gelegt wurde.


Alles, nur kein Wunder: Mit der Erstürmung des Kapitols fand am Mittwochnachmittag Ortszeit in der US-Hauptstadt Washington D.C. eine Entwicklung ihren logischen Höhepunkt, deren Saat seit Mitte der 1970er Jahre gestreut wurde und vor knapp einem Vierteljahrhundert aufzugehen begann. So lang die Liste der Namen der politisch Hauptverantwortlichen für den fehlgeschlagenen Staatsstreich durch die von Präsident Donald Trump aufgehetzten Möchtegern-Putschisten ist, beginnt sie dem eines anderen alten weißen Mannes aus Georgia, der vielerorts bereits in Vergessenheit geraten ist. Wer sich aber erinnert, dann nicht nur daran, wie der heute 77-jährige Newt Gingrich als Mehrheitssprecher im Abgeordnetenhaus dem liberalen Präsidenten Bill Clinton das Regieren so schwer wie möglich machte, sondern auch an die Rhetorik der seinerzeit angeblich noch "moderaten" Konservativen.

Von einer "Verschwörung der medial-akademischen Eliten gegen amerikanische Patrioten" war damals unter anderem die Rede, von der "einzigartigen amerikanischen Zivilisation, die wir retten müssen, bevor es zu spät ist", und von "einer Revolution in der Erziehung unserer Kinder, die ihnen patriotische Werte vermittelt". Auch wenn überzogener Patriotismus, Anti-Intellektualität und mal mehr, mal weniger subtile Hetze gegen Einwanderer und ethnische Minderheiten seit jeher zum Arsenal der modernen Republikanischen Partei zählen, fand Mitte der 1990er ein so fühlbarer wie folgenschwerer Paradigmenwechsel statt. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr wurden seitdem die Worte der US-Rechten in der politischen Auseinandersetzung schärfer, wurde der während des Kalten Krieges gepflegte Konsens zwischen den Parteien kleiner.

Abstruse Theorien für jeden

Einer, der diese Entwicklung nicht nur früh erkannte, sondern sie bis heute gewinnbringend ausnützt, ist Rupert Murdoch. Der von dem heute 89-jährigen Australier gegründete und vom ehemaligen Nixon-Berater Roger Ailes aufgebaute, von Beginn an weit rechts stehende Propagandasender Fox News feierte im Oktober 1996 Premiere. Von Anfang an verstanden es seine Macher - von denen später Dutzende in der Trump-Administration Arbeit fanden - die Realität derart nach ihrem Weltbild zu biegen, dass sie von ihren Zuschauern als Wahrheit akzeptiert wurde und wird.

Der entscheidende Beitrag Murdochs zur Aushöhlung des amerikanischen Demokratieverständnisses bestand aber darin, konservative Politiker über die Jahre ebenfalls davon zu überzeugen, dass sie, wenn sie gewählt werden wollen, der rechtsradikalen Rhetorik eines Sean Hannity, Lou Dobbs, Bill O’Reilly, Tucker Carlson oder einer Laura Ingraham in Worten wie in Taten in nichts nachstehen dürfen. Eine Spirale, die ebenfalls am Mittwoch im Versuch einer Handvoll Senatoren und einer Hundertschaft Trump-treuer Abgeordneter zum Repräsentantenhaus kulminierte, entgegen allen demokratischen Gepflogenheiten die Wahl von Joe Biden zum Präsidenten formal abzusegnen.

Zeitgleich mit dem Auswachsen des Internets zum Massenphänomen, das es jedem erlaubt, so ungefiltert wie ungestraft die abstrusesten Verschwörungstheorien zu verbreiten, erlebten Fox News und seine virtuellen Satelliten (Breitbart, Daily Caller, The Federalist und andere) ein über zwei Jahrzehnte anhaltendes, konstantes Wachstum. George W. Bushs desaströses Vorgehen in der Finanzkrise 2008, aber vor allem seine auf Wunschdenken und Lügen basierende Entscheidung, 2003 im Irak einzumarschieren und der von seiner Administration verbreitete Schwall an Unwahrheiten - der in diesem konkreten Zusammenhang der Trump-Administration in nichts nachsteht - vergifteten das Klima weiter; und die nächste Eskalationsstufe folgte auf den Fuß.

Manipuliertes Wahlsystem

Mit der Ernennung Sarah Palins zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin verschaffte John McCain einer Politikerin eine nationale Bühne, die sich - wie später Trump - medial zu verkaufen verstand, sich aber selbst dem Urteil der damaligen Mitglieder des Partei-Establishments nach mit Adjektiven wie inkompetent, ignorant, ahnungslos und gefährlich beschreiben lässt. Bei der Parteibasis der Republikaner ist sie bis heute beliebt. Nicht umsonst war es am Mittwoch Palin, die, als der Aufstand noch voll im Gang war, auf Fox News behaupten durfte, dass die Vandalen im Kapitol in Wahrheit "Teil der Antifa-Bewegung" seien. Der Tirade der Ex-Gouverneurin von Alaska folgte der Aufruf zur Gründung einer neuen, "gesunden, vernünftigen und friedlichen dritten Partei". Eine Idee, die auch Trump erwägen dürfte angesichts der bisweilen offenen Feindseligkeiten, die ihm am Mittwochabend von manchen republikanischen Senatoren entgegen schlugen.

Nach der Wahl Barack Obamas lag die republikanische Partei darnieder, aber die Schockstarre hielt keine zwei Jahr an. Mit einer so konsequenten wie skrupellosen Politik der Manipulation des Wahlsystems auf lokaler Ebene - Stichwort Gerrymandering - gelang es den Konservativen, ihre politische Macht trotz absoluter Stimmenverluste an vielen Orten nicht nur zu behaupten, sondern gar auszubauen. Den für die Umsetzung dieses Masterplans nötigen finanziellen Spielraum verschafften ihnen Großindustrielle, allen voran die Gebrüder Koch und die Mercer-Familie. Die so rechten wie betagten Konzernchefs David und Charles und der Hedge Fund-Manager Robert Mercer und seine Tochter Rebekah steckten Milliarden Dollar in den Aufbau der sogenannten "Tea Party". Eine Bewegung, die sich vorgeblich um das ausufernde Staatsbudget und individuelle Bürgerrechte sorgte, in Wahrheit aber lediglich den in der weißen Mehrheitsgesellschaft immer noch weit verbreiteten Rassismus und Chauvinismus bediente. Zu Hilfe kamen ihr dabei die Mainstream-Medien, die in ihrem Streben nach vermeintlicher Objektivität bis zuletzt jedem noch so offensichtlich verrückten Verschwörungstheoretiker und Klimawandel-Leugner eine Bühne gaben.

Fatale Folgeschäden

Wie sich erwies, war der so über Jahrzehnte angerichtete Cocktail Ende 2016 perfekt. Was folgte, waren vier Jahre, in denen die USA von einem amtlich verbrieften, mehrfachen Bankrotteur regiert wurden, dessen, wie heute bekannt ist, einziges namhaftes Einkommen bis zu seinem Amtsantritt nur mehr aus Tantiemen einer Reality-TV-Show stammte. Mit, so dräute am Mittwochabend endlich auch vielen Trump-Adlaten im Kongress und Medienvertretern, so fatalen wie irreparablen Folgeschäden. Zum ersten Mal nannten bekannte Moderatoren und Kommentatoren von CBS bis CNN die Dinge beim Namen: Trump sei ein "Faschist", ein "Möchtegern-Diktator", und seine das Kapitol stürmenden Anhänger seien "Terroristen".

Angst davor, dass die USA in den zwei Wochen, in denen Trump noch im Weißen Haus verweilen wird, in den Autoritarismus abgleiten, muss man nach der Zertifizierung von Joe Bidens Sieg keine mehr haben. Trump mag zwar ein Showman und Entertainer sein, aber wie in jeder Krise während der vergangenen Jahre zeigte sich auch diese Woche wieder, dass seine intellektuellen Kapazitäten und seine Fähigkeit zu strategischem Denken beschränkt sind. Aber selbst er weiß seit Mittwoch, dass seine Tage als Präsident gezählt sind.