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Hilflos gegen den Hass

Politik

Die Antidemokraten hatten leichtes Spiel bei der Erstürmung des Kapitols in Washington, die Polizei ist blamiert.


Ein Totenkopf prangt auf dem Kapuzenpullover des Mannes. Darüber steht auf Englisch "Lager Auschwitz", unterhalb die zynische und menschenverachtende Parole am Haupttor des nationalsozialistischen Vernichtungslagers: "Arbeit macht frei." Auf der Rückseite trägt er eine Aufschrift, wonach er "Mitarbeiter" im KZ sei.

Fotos zeigen den Mann, um die 50, Bart annähernd so lange wie das Haupthaar, erst vor dem Kapitol. Später wird man ihn in der Herzkammer des Parlamentarismus der Vereinigten Staaten wiedersehen, als Teil des Mobs, der das Gebäude am Mittwoch gestürmt hat. Das Ziel: die Bestätigung des Sieges von Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl im US-Kongress auszuhebeln.

Dass die Demonstranten nicht bereit sind, ein demokratisch zustande gekommenes Wahlergebnis zu akzeptieren, machte der Galgen klar, den sie in Sichtachse zum Kapitol aufgestellt hatten. Rassisten und Verschwörungstheoretiker von "QAnon" - darunter auch der als "Schamane" bekanntgewordene Aktivist mit der Büffelhorn-Mütze - gaben sich jenes Stelldichein, das sie über Wochen online angekündigt hatten. Und zwar angefeuert von Noch-Präsident Donald Trump persönlich.

Diese Ermächtigung drückte sich in dem Satz einer Frau in Washington aus: "Wir brauchen nicht Alex Jones. Wir sind nun Alex Jones." Über Jahrzehnte verbreitete der Texaner seine Tiraden über Radio, TV und online, zählte zu den meistzitierten Verschwörungstheoretikern.

Abgeordnete zum Mob: "Hitler hatte in einem recht"

Aber auch Parlamentarier, die Trump bedingungslos folgen, machten gemeinsame Sache mit den Antidemokraten. So sagte Kongressabgeordnete Mary Miller bei der Kundgebung in Kapitol-Nähe: "Hitler hatte in einem recht: Wer immer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft." Miller ist frisch für die Republikaner in das Repräsentantenhaus eingezogen, auf Twitter präsentiert sie sich mit den Werten "Familie, Glaube und Freiheit". Ihr Kollege Josh Hawley, Senator aus Missouri, streckte den Demonstranten Arm und geballte Faust entgegen.

Dies geschah, bevor der Mob das Parlament stürmte. "Warum wird diese Meute nicht verhaftet?", fragte Filmemacher Michael Moore. Tatsächlich liegt die Zahl der Festgenommenen bei erstaunlich wenigen 52 Menschen; Personen spazierten wieder aus dem Kapitol - auch mitsamt eines erbeuteten Souvenirs. Immerhin sind sie einfach auszumachen, haben sie doch ihre Taten oftmals bereitwillig in den sozialen Medien mitgeteilt. Auf Mund-Nasen-Schutz wurde zumeist verzichtet, was die Identifizierung nochmals vereinfacht. Die US-Bundespolizei FBI hat eine Webseite eingerichtet, auf der Fotos und Videos, die Straftaten dokumentieren, hochgeladen werden können.

Dass die Eindringlinge nicht abgewehrt werden konnten, legt die katastrophalen Fehler in der Vorbereitung auf die Proteste offen. Von einer der schwersten Sicherheitspannen in der jüngeren Geschichte der USA sprechen aktive und ehemalige Vertreter der Sicherheitskräfte. Während Großereignisse wie eine Vereidigung eines neuen Präsidenten von den zahlreichen Sicherheitsdiensten minutiös vorbereitet würden, habe es für die Sitzung zu den Ergebnissen der Präsidentenwahl von Repräsentantenhaus und Senat kaum Planungen mit Blick auf mögliche Bedrohungen gegeben. Allerdings: "Wir haben alle vorher gewusst, wer nach Washington kommen wird", kritisiert ein hoher Sicherheitsbeamter mit Hinweis auf Angaben im Internet.

Wieso griff die Nationalgarde nicht früher ein?

Für den Schutz des Kongresses ist die U.S. Capitol Police zuständig, eine rund 2.000 Mann starke Polizeitruppe. Sie habe andere Sicherheitskräfte oder das Heimatschutzministerium im Voraus nicht um Unterstützung gebeten, sagte ein hochrangiger Beamter. Die Capitol Police versuchte zunächst allein, sich gegen die Demonstranten zu stellen, die auf das Gelände drängten. Doch anscheinend taten dies manche Beamte nicht einmal mit halber Kraft: So wurden Bilder publik, auf denen Kapitol-Stürmer mit einem Polizisten im Gebäude gemeinsam für Selfies posierten.

Mitglieder der Kongress-Polizei sind darauf trainiert, Demonstranten bereits von den Marmor-Treppen des Kapitols fernzuhalten, berichtet Terrance Gainer, einer der ehemaligen Chefs der Truppe. Doch sie wurden überrannt. "Nachdem sie die Treppe verloren hatten, verloren sie auch Türen und Fenster." Gruppen von Randalierern bahnten sich den Weg in das Gebäude. Dort konnten sie sich, wie auf Videoaufnahmen zu sehen ist, unbedrängt auf den Gängen bewegen.

Aus noch unklaren Gründen griffen andere Sicherheitskräfte des Bundes erst nicht ein. Nennenswerte Verstärkungen durch die Nationalgarde wurden erst über eine Stunde, nachdem Demonstranten die ersten Barrikaden überwunden hatten, mobilisiert. Im Gegensatz dazu hatte die Trump-Regierung bei den Protesten gegen Polizei-Brutalität im vergangenen Sommer noch dafür gesorgt, dass die Sicherheitskräfte des Bundes massiv ausrückten.

Der Kontrast ist frappierend zu den Bildern des Juni 2020. Viele Dutzend Nationalgardisten sicherten damals die im Vergleich zum Kapitol wenigen Stufen am Lincoln Memorial in Washington, als die Black-Lives-Matter-Bewegung zu einer Großkundgebung aufrief. Auf diesen Umstand verwiesen nun viele, darunter Doc Rivers, Headcoach des Basketballteams Philadelphia 76ers. Auch Rapperin Cardi B fragte sich: "Wo ist die Nationalgarde?" (da/reu)