"An manchen Tagen atmest du schon um sieben Uhr in der Früh Tränengas ein. An anderen Tagen erst viel später. Du beginnst den Tag mit 20 Leuten um dich herum, und am Ende ist die Hälfte von ihnen verhaftet worden."

So beschreibt Bobi Wine seinen Alltag im Präsidentschaftswahlkampf in Uganda. Der 38-jährige Oppositionelle und Hoffnungsträger der Jugend, der selbst in Haft schwer misshandelt wurde, fürchtet um sein Leben. Deshalb lässt er nun jeden Schritt von sich filmen, hat die rote Mütze, die sein Markenzeichen war, gegen einen Helm eingetauscht und trägt eine kugelsichere Weste.
Unterkriegen will sich der populäre Musiker, dessen Songs besonders vom Ragga, einer Spielart des Reggae, beeinflusst sind, nicht. Vielmehr will der Sohn einer Straßenverkäuferin an vorderster Front verwirklichen, wovon er seit Jahren singt: Dass der alte Herr an der Staatsspitze, der 76-jährige Langzeitpräsident Yoweri Museveni, seinen Hut nehmen muss. Am Donnerstag wird gewählt, und Wine ist unter den zehn Herausforderern Musevenis der mit der stärksten Anziehungskraft.
Robert Kyagulanyi, so der bürgerliche Name von Bobi Wine, war drei Jahre alt, als der Guerillakämpfer Museveni 1986 an die Macht kam. Nach den brutalen Diktaturen von Idi Amin und Milton Obote und dem Bürgerkrieg galt Museveni als einer der Hoffnungsträger Afrikas. Tatsächlich brachte er Stabilität und Wirtschaftswachstum. Doch der Mann, der früher seine afrikanischen Amtskollegen für ihren Machthunger kritisierte, wollte mit der Zeit selbst nicht von der Macht lassen. Immer wieder hat er sich in umstrittenen Wahlen im Amt bestätigen und für sein mehrmaliges Antreten auch die Verfassung ändern lassen.
Diesmal ist der Wahlkampf so brutal, dass sich das UN-Menschenrechtsbüro bereits "zutiefst besorgt" gezeigt hat. Bei Protesten und Unruhen seien bereits mindestens 54 Menschen getötet worden. Andere wurden demnach festgenommen und gefoltert. Darüber hinaus sei gegen das Versammlungsrecht und das Recht auf Meinungsfreiheit verstoßen worden, urteilt die UNO.
Wine trifft die Stimmung vieler Ugander
"Freiheitskämpfer wurden Diktatoren", meinte Wine bereits 2018 in seinem Song "Freedom". Regelmäßig werden nun seine Kundgebungen mit Tränengas aufgelöst, kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen seiner Anhänger mit den Sicherheitskräften, immer wieder werden auch Wine selbst und Mitarbeiter seines Stabes abgeführt. Erst kürzlich verstarb ein Leibwächter von Wine, nachdem er von einem Militärlastwagen angefahren worden war. Die Regierung verteidigt ihr Vorgehen unter anderem damit, dass wegen der Corona-Pandemie - bisher zählte Uganda bei geringen Testkapazitäten etwa 37.000 Erkrankungen - Kundgebungen eingeschränkt wurden oder verboten sind.
Museveni belehrt gerne die Jugend bei seinen langen Reden moralisch. "Eine ganze Generation ist unter diesem Regime aufgewachsen", sagt der Politologe David Ngendo Tshimba von der Uganda Martyrs University der Nachrichtenagentur Reuters. "Etwas Neues ist etwas Besseres" - das sei eine weit verbreitete Haltung unter jungen Leute.
Die Sehnsüchte der Jugend spricht offenbar besonders der unkonventionelle Politiker Wine an, der bereits seit 2017 im Parlament sitzt und in Pressekonferenzen auch schon einmal zu singen beginnt. Dass er die Korruption und Gewalt der Herrschenden in eingängigen Refrains anklagt, sorgt für eine weitere Emotionalisierung seiner Botschaft. Dass er auch noch selbst aus dem Slum kommt und ein hohes persönliches Risiko eingeht, macht seine Botschaft umso glaubwürdiger.
Dem gegenüber stehen ein Staatsapparat samt seiner Sicherheitskräfte und eine Geschäftswelt, in der viele Menschen viel zu verlieren haben. Im Windschatten von Museveni und seiner regierenden Nationalen Widerstandsbewegung hat sich eine Elite gebildet, deren Kinder teilweise kostspielige Studien in den USA oder Europa absolviert haben. Ein Beispiel dafür ist Musevenis Sohn Muhoozi Kainerugaba, der die Präsidentengarde anführt und als Nachfolger seines Vaters gehandelt wird. Zudem rechnen vor allem viele ältere Menschen, die den Bürgerkrieg erlebt haben, Museveni weiterhin an, dass er jahrzehntelang relative Sicherheit gebracht und vielen Ugandern einen, wenn auch oft bescheidenen, Aufstieg ermöglicht hat.
Wie eine faire Wahl in Uganda ausgehen würde, ist schwer vorherzusagen. Die meisten Politologen, die sich dazu äußern, tendieren zu der Ansicht, dass Museveni mittlerweile verlieren würde. Unter den gegebenen Umständen hat Wine aber kaum eine Chance.
Ein Song als Aufruf zum Freiheitskampf
Für diesen dürfte seine Mission aber auch nach der Wahl nicht beendet sein. Das macht der Song "Ballot or Bullet" deutlich. Aufgenommen hat Wine ihn mit dem populären jamaikanischen Musiker und Rastafari Buju Banton - der sich immer wieder gesellschaftskritisch äußert, aber auch mit Gewaltaufrufen gegen Homosexuelle und einer Gefängnisstrafe wegen Drogenhandels auf sich aufmerksam gemacht hat.
Wine beruft sich in dese m Lied auf afrikanische Freiheitskämpfer wie den ersten Premier des Kongos Patrice Lumumba, der ermordet wurde. "Auch wenn es eine Revolution braucht, die Freiheit muss kommen", heißt es im Refrain. Und der Titel nimmt offenbar Bezug auf eine berühmte Rede des afroamerikanischen Aktivisten Malcolm X aus dem Jahre 1964. In dieser forderte Malcolm X seine schwarzen Mitbürger auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Wenn ihnen aber weiter ihre Rechte verwehrt blieben, müssten sie auch einen gewaltsamen Aufstand in Betracht ziehen.