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Die USA werden greifbarer

Von Martyna Czarnowska und Michael Schmölzer

Politik

Brüssel nimmt Washington unter Biden wieder als Partner wahr. Gleichschritt wird es trotzdem nicht geben.


Es war ein Satz, auf den so gut wie alle europäischen Regierungen gewartet haben. "Wir werden unsere Bündnisse reparieren und mit der Welt zusammenarbeiten - nicht, um den Herausforderungen von gestern zu begegnen, sondern jenen von heute und morgen", erklärte US-Präsident Joe Biden in Washington nach seiner Angelobung.

Die Erleichterung über die Ankündigung der transatlantischen Wiederannäherung ist spürbar. Den Europäern liegen die vergangenen vier Jahre immer noch schwer im Magen. Unvergessen bleibt, dass Bidens Vorgänger, Donald Trump, gleich zu Beginn seiner Amtszeit 2017 die Nato in Frage stellte und später die EU mit umfassenden Strafzöllen belegen wollte.

Dabei ist in der Diplomatie nicht zuletzt der Ton wichtig - und da werden die Unterschiede gleich hörbar. Völlig unberechenbar, rüpelhaft, aggressiv: Das ist Ex-Präsident Trump. Höflich, bedächtig, ausgleichend und um Kooperation bemüht: Das ist sein Nachfolger Biden. So wird der neue Mann im Weißen Haus in Westeuropa mehrheitlich wahrgenommen, die Angelobungsrede des Demokraten hat diesen Eindruck noch einmal verstärkt.

Die Freude darüber ist vor allem in Berlin und Paris groß, und auch wenn die Poesie des Anfangs bald harter Interessenspolitik weichen wird: Selbst die größten Skeptiker gehen derzeit davon aus, dass eine neue, für Europa erfreulichere Ära begonnen hat. So sprach die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag von "einem breiteren Fundament gemeinsamer Überzeugungen", auf denen die Zusammenarbeit nun ruhen werde.

Zusammen gegen Pandemie

Schon tags zuvor legten in Brüssel EU-Spitzenvertreter dar, wie die Gemeinschaft die Gunst der Stunde nutzen sollte. Ratspräsident Charles Michel holt dabei weit aus: Ihm schwebt nicht weniger als ein neuer "Gründungspakt" vor. Gemeinsam mit Washington will er eine bessere Welt schaffen.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte bei einem Auftritt vor dem EU-Parlament etliche politische Bereiche auf, in denen sie auf Kooperation mit den USA setzt. So wünscht sie sich enge Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Unter anderem rechnet sie mit dem Beitritt der USA zur Impfallianz Covax, die für eine faire internationale Verteilung von Impfstoffen eintritt.

Dieser Wunsch wird sich wohl erfüllen, und die Rückkehr der Vereinigten Staaten zur Weltgesundheitsorganisation WHO schuf die Voraussetzung dafür. Prompt verkündete der Immunologe Anthony Fauci am Donnerstag bei einer virtuellen WHO-Sitzung für die US-Delegation, dass sein Land sich an der Covax-Kampagne beteiligen werde.

Doch auch bei anderen Themen sieht von der Leyen die EU und die USA nun auf einer Linie. Als Beispiel nannte sie den Klimaschutz, bei dem es eine "Allianz für grüne Technologien" geben sollte. Für den Datenschutz und die Regulierung der Internetkonzerne wiederum kann sie sich einen gemeinsamen Handels- und Technologie-Rat vorstellen.

Erwachsene Europäer

Das sind alles Bereiche, die auch Biden seinen Aussagen zufolge ein Anliegen sind. Die Personalentscheidungen des US-Präsidenten dürften den EU-Politikern ebenfalls einigen Grund zur Freude geben. Da ist vor allem Anthony Blinken, ein langjähriger Vertrauter Bidens, der neuer US-Außenminister wird. Der 58-Jährige ist als europafreundlich und entschiedener Befürworter internationaler Kooperation bekannt. Auch da wird es wohl der neue Ton, eine kultiviertere Art des Umgangs miteinander sein, die in den Hauptstädten der EU gern aufgenommen werden.

Dennoch warnen politische Beobachter bereits vor Fehleinschätzungen: Auch unter Joe Biden werden die USA nicht zum netten Gefährten; auch der neue Mann im Weißen Haus wird den Europäern schnell aufzeigen, wo die Freundschaft endet. Klar ist, dass die Vereinigten Staaten in allen wichtigen internationalen Angelegenheiten das Sagen haben und mehr denn je die erste Geige spielen wollen.

Daher mahnt Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, eindringlich, sich nicht "zurückzulehnen" und "auf den netten Biden zu warten". Die EU müsse trotzdem stärker werden, weltweit mehr Verantwortung übernehmen - schon allein deshalb, weil die Weltordnung unübersichtlicher und gefährlicher geworden sei. Europa habe ein elementares Interesse, "sich Amerika als erwachsener Partner anzubieten", sagte Ischinger der "Rheinischen Post".

Ähnlich äußerte sich Merkel. Sie weiß nämlich, dass es ebenfalls Differenzen mit den USA gibt - und eine davon sprach sie in Berlin gleich an. Es geht um die - auch unter den EU-Staaten umstrittene - Errichtung der Pipeline Nord Stream 2, die Erdgas von Russland nach Westeuropa transportieren soll. Berlin macht sich für das Projekt stark, und daran ändern auch die US-Sanktionen nichts, die sich gegen das Vorhaben richten. Immerhin, betonte Merkel, würden auch die USA Öl aus Russland beziehen.

Sanfterer Umgang mit China

Es ist nicht die einzige Kooperation, die in den USA wenig Begeisterung auslöst. Erst vor wenigen Wochen haben sich die EU und China auf ein Investitionsabkommen geeinigt, das in Washington als "schwach" bezeichnet wurde. Der damalige US-Außenminister Mike Pompeo richtete der EU aus, dass ihr Vertrag die europäischen Arbeiter "nicht vor dem Raubzug der Kommunistischen Partei Chinas" schützen würde.

Washington und Peking waren in einen scharfen Handelskonflikt geraten - und Biden hat angekündigt, den harschen Kurs fortsetzen zu wollen. Dass die Europäer gegenüber den Chinesen sanfter auftreten als die Amerikaner, zeichnet sich also ab.

Unterschiedliche Vorstellungen könnte es ebenfalls zur Besteuerung großer US-Digitalkonzerne geben. Zwar gibt es auf beiden Seiten des Atlantiks die Überzeugung, dass Regulierungen nötig sind, um verstärkt gegen Fake News und Hassrede vorgehen zu können. Doch beim finanziellen Teil gehen die Meinungen schon auseinander.

Denn während die USA die Einnahmen lieber bei sich sehen würden, klagen die EU-Staaten darüber, dass Unternehmen wie Facebook, Google und Amazon in Europa kaum Steuern zahlen, weil sie ihre Gewinne in andere Länder verschieben. Eine europäische Digitalabgabe ist zwar schon seit längerem im Gespräch, doch mangelt es noch an Einigkeit unter den EU-Mitgliedern. Dass eine Einigung dazu mit den USA bald möglich wäre, ist noch unwahrscheinlicher.