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US-Anwaltspräsidentin lobt Sieg über "Chaos und Zwietracht"

Von Konstanze Walther

Politik

In den USA wurde der Rechtsstaat auf eine harte Probe gestellt - und hat gewonnen, findet die Präsidentin der US-Anwälte.


Eine Justiz, die offen in Zweifel gezogen wird, umstrittene Ernennungen von Höchstrichtern und der Sturm auf das Kapitol. Die vergangenen Jahre stellten in den USA die Verteidigung des Rechtsstaats auf eine harte Probe. Die "Wiener Zeitung" sprach darüber mit der Präsidentin der American Bar Association, Patricia Lee Refo, die zuletzt Gastrednerin bei der Europäischen Präsidentenkonferenz der Rechtsanwaltskammern war.

"Wiener Zeitung":Der Rechtsstaat und seine Grundpfeiler gelten als eine der wichtigsten Errungenschaften in einer Demokratie. Wie haben Sie als Juristin die vergangenen vier Jahre unter der Ära Trump wahrgenommen?

Patricia Refo: Die American Bar Association (Vereinigung der Rechtsanwälte) ist eine überparteiliche Organisation. Aber in einer Hinsicht war es besonders. Denn unser Job ist unter anderem, nominierte Richter für Bundesgerichte zu untersuchen und zu evaluieren. Juristen, die vom Weißen Haus vorgeschlagen werden und dann später durch den US-Senat angenommen werden müssen. Da hatten wir wirklich sehr viel Arbeit in der Trump-Administration, weil diese Regierung so viele Richter nominiert hat. (Trump hat allein am Supreme Court drei Richter nachbesetzt, Anm.)

Abgesehen von den vielen Personalien: Würden Sie sagen, dass die vergangenen vier Jahre für die Justiz besonders herausfordernd waren?

Es gab eine Reihe von Vorfällen, bei denen wir gegenüber der Trump-Administration Stellung bezogen haben. Etwa bei geplanten Gesetzesänderungen im Bereich der Immigration und Asylrecht. Wir haben etwa protestiert, als hunderte unbegleitete Minderjährige an der US-Grenze eingesperrt worden sind. Die American Bar Association hat zudem einige der Aussagen von Präsident Trump öffentlich kritisiert - lange bevor ich deren Präsidentin wurde. Dazu gehörten Trumps abwertende Aussagen über Richter, als Trump von "sogenannten Richtern" gesprochen hatte. Die damalige ABA-Präsidentin Linda Klein erklärte im Jahr 2017: "Persönliche Angriffe auf Richter sind Angriffe auf unsere Verfassung." Sie machte auch deutlich, dass unsere Gerichtsbarkeit unabhängig und frei von politischen Druck bleiben muss - und das gelte auch für den Präsidenten selbst. Grundsätzlich strengen wir uns sehr an, Überparteilichkeit zu wahren.

In den vier Jahren hatte die Trump-Administration einen auffallenden Verschleiß an Justizministern. Der erste, Jeff Sessions, wurde gefeuert, weil er sich weigerte, in die Russland-Untersuchungen einzugreifen. Der zweite offizielle, William Barr, ist zurückgetreten, weil er mit Trump über die Rechtmäßigkeit der Präsidentschaftswahlen im Clinch lag. Dazu gab es noch drei Quasi-Justizminister, die nur "acting", also ausübend waren und daher vom Senat nie bestätigt werden mussten.

Naja, dass ein Präsident mehr als einen Justizminister hatte, das hat es schon früher gegeben. Aber wir haben immer wieder unsere Sorge über die Unabhängigkeit des Justizministeriums zum Ausdruck gebracht, Auch wenn es Teil der Exekutive ist, hat das Justizministerium in den USA eine Tradition als unabhängige Institution. Diese Rechte und Pflichten der Unabhängigkeit werden ihm vom Weißen Haus eingeräumt - normalerweise.

Bei den vielen Richter-Ernennungen unter Trump sticht die Personalpolitik für den Obersten Gerichtshof hervor. Nachdem 2016 der damals konservative Senat sich unter dem demokratischen Präsidenten Barack Obama weigerte, sechs Monate vor dessen Amtszeit-Ende einen neuen Richter zu bestätigen, wurde die vakante Stelle ein halbes Jahr später von dem Republikaner Trump nachbesetzt. Dazu kamen zwei weitere erfolgreiche Nachbesetzungen unter Trump - die letzte davon mit Amy Coney Barrett geschah nur eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen, einen Monat, nachdem Richterin Ruth Bader Ginsburg verstorben war. Kurzum, am neun Sitze zählenden Supreme Court haben konservative Richter nun mit 6:3 die deutliche Mehrheit.

Alle Wahlen haben Konsequenzen und eine davon ist, dass das Weiße Haus, sollte es eine Vakanz am Gerichtshof geben, eine Person dafür nominieren kann. Ich glaube nicht, dass nur, weil jemand von einem bestimmten Präsidenten ernannt wurde, er Urteile fällt, die der Ideologie dieses Präsidenten entsprechen.

Bei der neuen Mehrheit steht die Befürchtung im Raum, dass etwa das als liberal geltende Recht auf Schwangerschaftsabbruch gefährdet sein könnte.

Sinn und Zweck einer unabhängigen Justiz ist natürlich genau das: Unabhängigkeit. Ich maße mir nicht an, zu wissen, wie das Gericht in welchem Fall entscheiden wird - weil Richter ja unabhängig sind. Der Sinn eines Amts auf Lebenszeit ist, die Richter von politischen Einflüssen zu befreien, um unabhängig zu handeln.

In der Theorie ja. Aber es scheinen nicht alle diese Theorie zu teilen, denn die Ernennung von Höchstrichtern ist in den USA ein hochpolitisierter Prozess und eine Ideologiefrage.

Das stimmt leider. Aber nur weil der Prozess politisch ist, heißt das nicht, dass die Richter politisch sind, wenn sie auf ihrer Bank Platz nehmen. Es sind zum Beispiel von Präsident Trump verschiedene Richter nominiert worden, die später Urteile gefällt haben, von denen ich annehme, dass sich Trump etwas anderes erhofft hatte. Etwa nach den Präsidentschaftswahlen, als der Oberste Gerichtshof in seiner neuen Zusammensetzung die Klage auf Nicht-Zertifizierung der Wahl im Dezember abgeschmettert hatte. Für mich ist das der Triumph des Rechtsstaates. Genau so soll das System auch funktionieren.

Wir haben in der Ära Trump gleich zwei Amtsenthebungsverfahren gegen ihn gesehen, bei beiden hat die Mehrheit im Senat nicht für eine Verurteilung ausgereicht. Bei dem Prozess wird mit Anwälten, Beweismaterial, Verstößen gegen die Verfassung, Zeugen, etc. gearbeitet, aber das Urteil ist niemals unabhängig oder objektiv, sondern immer eine parteipolitische Entscheidung ist. Keine Partei hat je ihren Präsidenten über die Klinge springen lassen.

Viele Begriffe, die wir in einem Amtsenthebungsprozess verwenden, klingen so, als würde es sich um eine Art Gerichtsverfahren handeln. Aber das ist es definitiv nicht. Ein Amtsenthebungsverfahren ist ein durch und durch politisches Event. Oder noch deutlicher: In einem echten Gerichtssaal bestünde die Jury, die über die Revolte gegen den Kongress am 6. Jänner entscheidet, nicht aus jenen Menschen, die sich zu dem Zeitpunkt dieses Aufruhrs in eben jenem Gebäude befanden. Das sagt schon viel den Anfang des Amtsenthebungsverfahrens aus: dass dies in keiner Weise ein echtes juristisches Verfahren war. Der Senat fällte eine politische Entscheidung, basierend auf den Stimmen der Politiker, nachdem sie Argumente gehört hatten, die Großteils ebenfalls politisch waren. Es war ein rein politisches Verfahren.

Welche Lehren ziehen Sie aus dem Sturm auf das Kapitol?

Wir haben gesehen, wie fragil der Rechtsstaat sein kann, wenn wir ihn nicht jeden Tag mit Zähnen und Klauen verteidigen. Für uns war die Revolte des 6. Jänner der Höhepunkt solcher Herausforderungen. Aber letztlich hat der Rechtsstaat obsiegt. Wir hatten Wahlen, die fair waren, und ein akkurates Ergebnis produziert haben. Wir hatten Herausforderungen in Gerichtssälen zu dem Ausgang der Wahlen, juristische Verfahren die offen, transparent und unabhängig waren. Und am Tag der Zertifizierung der Wahl, als die Revolte stattgefunden hat, haben sich unsere Kongressabgeordneten sogar danach noch, am selben Tag, wieder getroffen, um mit dem Zertifizierungsprozess weiterzumachen. Die haben ihre Arbeit getan. Da hat das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gesiegt. Wir hatten eine friedliche Amtsübergabe am 20. Jänner, so wie es die Mehrheit des amerikanischen Volks wollte, und nun haben wir einen neuen Präsidenten und eine neue Vizepräsidentin, die die erste Frau in dieser Position ist und die erste Nicht-Weiße. All das zeigt, dass der Rechtsstaat gegenüber Chaos, Zwietracht und Randalierern gesiegt hat.