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Die USA sind am Hindukusch endgültig gescheitert

Von Michael Schmölzer

Politik

Keine GIs sollen mehr sterben - Präsident Biden zieht die Notbremse. Außenminister Blinken versucht in Kabul, ein Debakel zu kaschieren.


Kabul. Nachdem US-Präsident Joe Biden den Abzug der USA aus Afghanistan verkündet hat, ist am Donnerstag sein Außenminister Antony Blinken überraschend in Kabul eingetroffen. Er sei so rasch nach der Rede des Präsidenten hierhergekommen, "um im wahren Wortsinn durch unsere Anwesenheit zu demonstrieren, dass wir uns weiterhin und dauerhaft für Afghanistan einsetzen werden", sagte Blinken.

Biden hatte am Vortag den Abzug der US-Truppen bis zum 11. September verkündet. Damit geht der gesamte Einsatz der Nato zu Ende - was in afghanischen Regierungskreisen empörte Reaktionen hervorgerufen hat. Aber auch die Taliban sind unzufrieden: Die US-Truppen hätten das Land sofort zu verlassen, nicht erst am 11. September, ließen sie wissen.

Ab diesem Zeitpunkt muss die afghanische Armee den Taliban alleine Paroli bieten. Die Chancen auf Erfolg werden von westlichen Militärexperten als gering eingeschätzt. Die afghanische Armee ist zwar von ihren Verbündeten gut ausgerüstet, gilt aber als korrupt und nicht kampfstark. Die radikalislamistischen Taliban hingegen wollen mit dem ihnen eigenen Fanatismus zurück an die Macht. Weite Teile Afghanistans sind bereits unter ihrer Kontrolle. Dass es jetzt noch zu einem Friedensabkommen mit der Regierung in Kabul kommt, ist stark anzuzweifeln.

Biden sieht Gefahr gebannt

Beobachter gehen davon aus, dass die Taliban in den kommenden Jahren mit blutiger Waffengewalt die Macht am Hindukusch übernehmen werden. Dass es ihren Gegnern, wie einst der Nordallianz, gelingt, sich zumindest in einem Teil des zerklüfteten Landes dauerhaft festzusetzen, ist ebenfalls wahrscheinlich.

Die USA, die sich nach ihrem Einmarsch 2001 bereits als Sieger wähnten, hätten damit nach dem Vietnam-Trauma ein weiteres, historisches Debakel zu verkraften. Mehr als 2.300 GIs sind am Hindukusch gefallen, sie sind am Soldatenfriedhof in Arlington in Washington begraben, wo Biden am Mittwoch den Abzug verkündete. Bei den Anschlägen 9/11 sind 2.977 Menschen ums Leben gekommen. Die finanziellen Kosten des Krieges belaufen sich auf rund 800 Milliarden US-Dollar.

Die USA sind gescheitert, das weiß man in Washington, darüber können die schönen Worte des US-Präsidenten nicht hinwegtäuschen. Der erkennt einen Erfolg und stellt fest, dass von Afghanistan keine Terrorgefahr mehr ausgeht. Eine vom US-Kongress eingesetzte Expertengruppe hält in ihrem Bericht nicht nur einen Bürgerkrieg und die Rückkehr der Taliban für realistisch. Die Rede ist auch von einer wachsenden Terrorbedrohung für die USA und einer weiteren Flüchtlingskrise mit Auswirkungen auf die EU.

Nicht geläutert

Die Taliban führen zwar offiziell Friedensgespräche mit der Regierung, ernst genommen haben sie die Verhandlungen aber nie. Unter dem Motto "Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit" warteten die Fundamentalisten ab, wissend, dass ihre Stunde kommen würde.

Die Taliban waren vor dem US-Einmarsch für ein Steinzeit-Regime verantwortlich, in dem Frauen in Stadien brutal hingerichtet wurden und Musik verboten war. Jahrelang wurde im Westen der Eindruck vermittelt, die Taliban hätten sich zum Teil gewandelt - sie haben es nicht.