Zum Hauptinhalt springen

George-Floyd-Prozess: Täter, Opfer und Gerüchte

Von Konstanze Walther

Politik

Im Prozess um George Floyds Tod versuchte die Verteidigung, ihm eine Mitschuld an den Vorkommnissen zu geben.


Am Montag war es schließlich so weit. In dem Prozess, den die Augen der Weltöffentlichkeit begleiteten, wurden die Schlussplädoyers gehalten. War der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd vor knapp einem Jahr unter dem Knie des Polizisten Derek Chauvin Mord oder Totschlag - oder eine Verkettung unglücklicher Umstände innerhalb des legalen Rahmens?

"Der Angeklagte hat nicht geholfen" und damit klar gegen die Regeln für Polizeieinsätze verstoßen, betonte Staatsanwalt Steve Schleicher in seinem Schlussplädoyer an die Geschworenen gerichtet. Chauvin sei "weiter auf Floyd geblieben und drückte ihn mit seinem Knie zu Boden", selbst als dieser schon leblos war, sagte Schleicher.

Mehr als neun Minuten fixierte der Polizist Floyd auf dem Boden, der um sein Leben flehte ("I can‘t breathe"), bevor er ohnmächtig wurde und schließlich, noch immer fixiert, verstarb. Das sind die Fakten, die die Verteidigung Chauvins nicht anfechten konnte - waren sie doch von Handykameras aufgenommen worden. Der Staatsanwalt sagte auch gegenüber der Jury: Das, was zu sehen ist, ist so geschehen. Darüber könne keine Debatte herrschen.

So versuchte die Verteidigung, Dinge ins Spiel zu bringen, die auf den Aufnahmen nicht sichtbar sind. Darunter fallen etwa eine Herzinsuffizienz Floyds und die Tatsache, dass Spuren des abhängig machenden Schmerzmittels Fentanyl und Metamphetamin in seinem Blut gefunden worden waren. Das, so der medizinische Experte der Verteidigung, David Fowler, hätte zum Tod Floyds geführt, nicht das Knien auf seinem Hals. Auch Fowler musste allerdings einräumen, dass Floyd medizinische Versorgung gebraucht hätte, und sein Herzstillstand wäre reversibel gewesen.

Überdosis ausgeschlossen

Der etwaige Drogenkonsum Floyds ist aber nicht Gegenstand des Verfahrens: Mehrere medizinische Experten sagten aus, dass eine Überdosis auszuschließen sei. Ein renommierter Lungenarzt, Martin Tobin, erklärte, Floyds damaliger körperlicher Zustand hätte nichts mit seinem Tod zu tun: "Auch ein gesunder Mensch würde sterben, wäre er dem ausgesetzt, dem Mr. Floyd ausgesetzt war." Laut Tobin war die Todesursache "zu wenig Sauerstoff". Derselben Meinung war auch der Chirurg Bill Smock im Zeugenstand, der auch darauf hinwies, dass Floyd im Falle einer Überdosis einfach weggedriftet wäre, anstatt, wie belegt, um sein Leben zu flehen.

Sogar ein Zeuge der Verteidigung, der das Knien am Hals zu rechtfertigen versuchte, musste einräumen, dass die Fixierung jedenfalls gelockert werden hätte müssen, nachdem Floyd ohnmächtig geworden war.

Seit dem Tod Floyds hörten die Proteste der "Black Lives Matter"-Bewegung nicht auf. Doch auch die Gegenseite rüstete auf. Im Internet wurden verstärkt "Fake News" um George Floyd verbreitet, nach dem Motto: Er habe schon selbst dazu beigetragen.

Das Bedrohen und Verprügeln einer schwangeren Frau wurde ihm etwa im Internet angedichtet, ein Gerücht, dass bereits entlarvt wurde, sich aber nach wie vor hartnäckig hält. Wahr ist vielmehr, dass Floyd 2007 bei einem schweren Raubüberfall dabei war, für den er fünf Jahre im Gefängnis verbrachte. Er wurde allerdings nicht wegen Körperverletzung oder Kidnapping, die ihm im Internet ebenfalls angedichtet worden waren, angeklagt. Mit der Lesart, dass Floyd ja ein Krimineller war, versucht ein Teil der Menschheit die Tatsache zu rechtfertigen, dass ein Mensch wegen des Verdachts, mit einer falschen 20-Dollar-Note bezahlt zu haben, zu Tode gekommen ist - und ein Polizist dafür verantwortlich war.

Ob Chauvin nun den Tod Floyds "in Kauf genommen" hat, oder es ein fahrlässiges Versehen war, oder ob es gerechtfertigt war - dass muss nun die 12-köpfige Jury entscheiden. Wann diese Geschworenen zu einem - einstimmigen - Urteil kommen, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Ein Hotel wurde jedenfalls für die Nacht angemietet.