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Abschied von Reagan

Von Thomas Seifert

Politik

Der Beginn einer neuen Ära: US-Präsident Joe Biden zog Bilanz über die ersten hundert Tage seiner Amtszeit und kündigte billionenschwere Wirtschaftspakete an, mit denen das Land aus der tiefen Covid-19-Krise geführt werden soll.


Aus dem großen Lockdown wurde keine große Depression. Die Staaten reagierten mit einem neuen "New Deal" auf die Krise. Nun, in der amerikanischen post-pandemischen neuen Normalität ist Joe Biden der Posterboy dieses neuen, hyperkeynesianischen "New Deal". Biden nimmt Anleihen bei Franklin D. Roosevelt, der 1933 sein Amt mitten in der Weltwirtschaftskrise antrat und sich mit dem "New Deal" in den ersten drei Monaten mit aller Kraft gegen die Weltwirtschaftskrise stemmte, und bei Lyndon B. Johnson, der ab 1964 mit sozialpolitischen Reformen der "Great Society" Amerika modernisierte.

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Die Idee des 100-Tage-Programms stammt übrigens von Roosevelt, mit Gusto knüpfte Biden gestern in seiner ersten Ansprache als US-Präsident vor beiden Kongresskammern an diese Tradition an: "Nach 100 Tagen der Rettung und Erneuerung ist Amerika bereit zum Abheben. Wir arbeiten wieder. Träumen wieder. Entdecken wieder. Führen die Welt wieder an", sagte Biden am Mittwoch im Kapitol. Der Demokrat warb für seine billionenschweren Pläne, mit denen er tiefgreifenden Wandel in dem Land herbeiführen will. Mehr als zwei Billionen US-Dollar (rund 1,7 Billionen Euro) sollen in den kommenden acht Jahren in Infrastrukturprogramme und Klimaschutz, weitere 1,8 Billionen sollen in Familien-, Bildungs- und Sozialmaßnahmen fließen - eine Renaissance des Staates.

Ende einer Ära

Damit geht in den USA eine Ära zu Ende. Fast 35 Jahre ist es her, seit Ronald Reagan die Staats-Skepsis der Republikaner in einer Rede 12. August 1986 auf den Punkt gebracht hatte. "The nine most terrifying words in the English language are: I’m from the government and I’m here to help" - Die angsteinflößendsten Wörter der englischen Sprache sind: Ich bin von der Regierung und ich bin hier, um zu helfen.

Auf diese Ära folgte in der Zeit von Bill Clinton, Tony Blair und Gerhard Schröder eine Periode der Abkehr von traditionell sozialstaatlichen Ideen, nach und nach gewannen wirtschaftsliberale und konservative Denkschulen an Boden.

Sicherheit und Solidarität

Und nun dominieren angesichts des Pandemie-Schocks die Schlagworte: Sicherheit, Solidarität und Resilienz. Millionen von US-Bürgerinnen und -Bürgern standen in der Covid-Krise plötzlich ohne Job und ohne Einkommen da, Menschen, die bisher eine bequeme Mittelschicht-Existenz hatten, mussten sich um Lebensmittelhilfe anstellen. Umfragen in den USA zeigen, dass die Toleranz gegenüber sozialer Ungleichheit in der Corona-Krise deutlich abgenommen hat, es gibt einen höheren Grad an Zustimmung zu höheren Steuern (vor allem für Reiche) und großzügigere soziale Unterstützungsprogramme. Nach einer aktuellen Umfrage des angesehenen Pew Research Center sind nur 12 Prozent der US-Bürgerinnen und -Bürger der Meinung, dass das Wirtschaftssystem keiner Veränderung bedürfe (in Deutschland sind übrigens nur neun Prozent dieser Meinung, Österreich wurde nicht erhoben).

Das Comeback des Staates: "Eine der wichtigsten Lektionen ist, dass in einer Krise staatliche Intervention nur dann effizient ist, wenn der Staat auch die Fähigkeit hat, zu agieren", schreibt die italienische Ökonomin Mariana Mazzucato in ihrem brandneuen Buch "Mission: Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft" (erscheint im Mai). Die am University College London lehrende Professorin, erinnert in ihrem Buch an die Apollo-Mission, die Mondlandung. Dafür mussten "Hunderte von komplexen Problemen gelöst werden. Einige Lösungen funktionierten, viele scheiterten. Alle entstanden aus einer engen Partnerschaft zwischen Regierung und Wirtschaft: einer Partnerschaft mit einem Ziel." Mazzucato - die in Kreisen der Demokraten in den USA und bei Sozialdemokraten im alten Kontinent gerne gelesen wird - fordert in ihrem Buch nichts weniger, als den Kapitalismus zu überdenken.

Die Reichen sollen zahlen

"Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Staats-Feindlichkeit der Reagan-Ära und die fiskalkonservative Ausrichtung der Demokratischen Partei tot sind", wurde Francis Fukuyama, einer der führenden US-Politikwissenschafter, vor ein paar Tagen in der "Financial Times" zitiert. "Aber die Pandemie hat diese Ideen gekillt, nicht die Wahl [von Joe Biden]".

Bidens Wirtschaftspaket verfolgt zwei Ziele. Erstens: Die USA im weltweiten Konkurrenzkampf mit China und der EU fit zu machen - die US-Infrastruktur ist im Vergleich zu beiden Wirtschaftsblöcken in einem erbärmlichen Zustand. Zweitens nützen die Programme vor allem den Menschen in den untersten drei Quintilen der Einkommenspyramide. Für das unterste Einkommensfünftel sollte das Einkommen durch Bidens Sozialprogramme um über 20 Prozent steigen.

Die Rechnung für diese Programme bekommen nun Amerikas Reiche und Superreiche präsentiert: Die Einkommensteuer für das eine Prozent der Bestverdiener wird von 37 auf 39,6 Prozent angehoben, die Zinsertragssteuern sollen ebenfalls für all jene, die mehr als eine Million Dollar verdienen, angehoben werden. Bestimmte Steuerprivilegien für Arme sollen fallen. Mit diesen Maßnahmen hoffen die Demokraten, Wählerschichten, die zu Donald Trump abgewandert sind, wieder zurückzugewinnen. Biden stellte bei seiner Rede in der Kammer des Kongresses drei Fragen in den Raum: "Kann unsere Demokratie das Versprechen einhalten, dass wir alle ... eine Chance auf ein Leben in Würde, Respekt und voller Lebenschancen haben? Kann unsere Demokratie die wichtigsten Bedürfnisse der Menschen stillen? Kann unsere Demokratie die Lügen, den Zorn, den Hass und die Angst überwinden, die uns auseinandergerissen haben?"