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Die Corona-Krise als Desaster für Indiens starken Mann

Von Klaus Huhold

Politik

Enorme Ansteckungszahlen führen Indien in eine immer größere Corona-Katastrophe und sorgen global für Beunruhigung. Premier Modi steht schwer in der Kritik - und erleidet mit seiner Partei bei Regionalwahlen eine empfindliche Niederlage.


Indiens Premier Narendra Modi hatte viel von seinem politischen Gewicht in diese Wahl gelegt. Mehrmals war er in den umkämpften Bundesstaat Westbengalen gereist, um mit persönlichen Auftritten Wähler für seine hindunationalistische BJP-Partei zu mobilisieren.

Doch es setzte eine herbe Niederlage: Die Ministerpräsidentin von Westbengalen Mamata Banerjee, die nach einem Sturz ihren Wahlkampf vom Rollstuhl aus betreiben musste, sicherte sich und ihrer Regionalpartei rund zwei Drittel der Stimmen. Nun frohlocken bereits erste Oppositionspolitiker und Modi-Kritiker, dass damit der Anfang vom Ende von Indiens starken Mann, der sich auch immer wieder autoritärer Mittel bedient, gekommen sei.

Warnung vor Mutation

Tatsächlich steht Modi unter Druck, wie es der frühere Teeverkäufer seit der Übernahme des Premieramts 2014 noch nicht erlebt hat. Grund dafür ist die vollkommen außer Kontrolle geratene Corona-Welle. Am Samstag hatte das 1,3-Milliarden-Einwohner-Land erstmals die Schwelle von 400.000 Neuinfektionen überschritten, Indien bewegt sich rasant auf die Schwelle von 20 Millionen Corona-Ansteckungen zu. Das Gesundheitssystem ist kollabiert, es spielen sich fürchterliche Szenen ab: Fortlaufend sterben Menschen in überfüllten Zimmern, da es zu wenig medizinischen Sauerstoff gibt. In den Städten regnet es teilweise Asche, weil die Krematorien so viele Leichen verbrennen müssen.

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Wenn sich das Virus einmal derart ausgebreitet hat, kann es in einem Land, in dem sich oft mehrköpfige Familien ein Zimmer teilen, nur schwer wieder eingefangen werden. Dass es überhaupt so weit gekommen ist, dafür wird Modi viel Schuld zugeschrieben. Er hat bei Regionalwahlen Massenveranstaltungen nicht nur erlaubt, sondern diese auch angeheizt. Die Stimmen religiöser Wähler im Auge, hat er mit Kumbh Mela eines der größten hinduistischen Feste zugelassen, das wohl zum Superspreader-Event wurde. Und schon Anfang März soll laut der Nachrichtenagentur Reuters ein Konsortium die Regierung vor Mutationen gewarnt haben, etwa die Virusvariante B.1.617, was aber offenbar wenig Gehör fand. Diese sorgt nun, gemeinsam mit Indiens hohen Infektionszahlen, auch global für Alarmstimmung. Es könnte nämlich sein, dass Genesene und Geimpfte gegen die indische Variante weniger gut geschützt sind.

Am drastischsten hat Australien reagiert: Selbst australischen Staatsbürgern droht eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren, sollten sie aus Indien nach Australien einreisen. Dass ein Staat selbst seinen eigenen Bürgern die Einreise verweigert, kritisieren Menschenrechtsgruppen heftig. Auch andere Länder haben ihre Einreisebestimmungen verschärft - darunter Österreich, wo bereits die ersten Verdachtsfälle auf die indische Variante untersucht werden. Es gilt ein Landeverbot für Flugzeuge aus Indien. Wer über Umwege einreist, muss seinen Wohnsitz in Österreich haben und in Quarantäne gehen, die nur durch einen negativen PCR-Test aufgehoben werden kann.

Noch einmal ganz anders als die westlichen Industriestaaten sind aber Entwicklungsländer von der Indien-Krise betroffen. Die Regierung in Neu Delhi hat nämlich nun, um die Impfkampagne im eigenen Land voranzutreiben, den Export von mehreren Millionen Impfdosen gestoppt, die für die internationale Covax-Initiative bestimmt gewesen wären. Dieses vor allem von der UNO angestoßene Projekt will dafür sorgen, dass auch in ärmeren Ländern Impfstoff ankommt. Mit Indien, das auch als "Apotheke der Welt" gilt und über eine große Impfstoffproduktion verfügt, fällt nun aber der Hauptlieferant großteils aus.

Falsche Einschätzung

In den ersten drei Monaten des Jahres hatte Indien laut örtlichen Medienberichten rund die Hälfte seiner Impfdosen exportiert. Die Regierung sprach auch bereits davon, dass das Virus in Indien so gut wie besiegt sei. Nun ist das Impfen fast ihre einzige Antwort auf das Desaster. Vor einem scharfen, landesweiten Lockdown, wie ihn viele Experten fordern, schreckt sie zurück. Dieser hätte enorme Konsequenzen für die Armen - ein Rikscha-Fahrer etwa verdient nur dann Geld, wenn er arbeitet. Zudem sind bei vergangenen Lockdowns viele städtischen Tagelöhner aus Angst vor Hunger in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt - und so hat sich das Virus erst wieder verbreitet.

Guter Rat ist nun für Modi teuer. Ob ihm die Corona-Katastrophe aber tatsächlich seine politische Karriere kostet, wird sich erst weisen. Die nächste landesweite Wahl ist erst 2024.