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Das Rennen um die Polregion

Von Gerhard Lechner

Politik

In Reykjavik beraten die Arktis-Anrainerstaaten über die ökologischen Probleme des Gebietes aufgrund des Klimawandels. Im Zentrum der Gespräche dürften dennoch handfeste Machtfragen stehen: Es geht um Öl, Gas, Grenzen und Schifffahrt.


Lange Zeit war die Arktis eine Art Terra Incognita. Die harten Lebensbedingungen im hohen Norden rund um den Polarkreis schreckten Vertreter der europäischen Zivilisation, die an wärmere Temperaturen gewohnt waren, von Expansionsgelüsten ab. Bis auf die traditionellen arktischen Bewohner, die Inuit, wagten sich kaum Menschen in die eisige Wildnis. Klirrende Kälte, brausende Schneestürme und ein von Packeis bedeckter Ozean verunmöglichten zudem lange Zeit jegliche Schifffahrt. Und schließlich: Allzu viel gab es in früheren Zeiten in der Arktis ja auch nicht zu holen. Der Umstand, dass Russland im 19. Jahrhundert das arktisnahe Alaska um einen Spottpreis an die USA verscherbelte, ist charakteristisch für das mangelnde Interesse am hohen Norden noch im 19. Jahrhundert.

"Offener Kühlschrank"

Mittlerweile hat sich die Lage gründlich geändert. Heute wäre es unvorstellbar, dass Russland das strategisch wichtige und rohstoffhaltige Alaska abgibt - noch dazu an den weltpolitischen Hauptrivalen USA. Die scheinbar nutzlose arktische Einöde wird heute zu einer höchst interessanten und profitablen Weltgegend.

Das liegt vor allem an der Erderwärmung, die sich gerade im hohen Norden besonders stark auswirkt. Wissenschaftler vergleichen die Arktis heute mit einem offenen Kühlschrank. Seit der Jahrtausendwende schmilzt das Eis im Rekordtempo dahin. Im vergangenen Jahrhundert ist die durchschnittliche Lufttemperatur um fünf Grad gestiegen.

Seit den 1990er Jahren stieg die Temperatur in der Arktis doppelt so schnell wie im Weltdurchschnitt. Im vergangenen Jahr schmolz das Eis so schnell wie nie zuvor. Irgendwann zwischen 2030 und 2070 könnte die Arktis in den Sommermonaten eisfrei sein. Was Tieren den Lebensraum wegnimmt und die Bedingungen für Pflanzen radikal ändert, eröffnet dem Menschen neue Perspektiven: Der Traum vom kommerziellen Schiffsverkehr durch arktische Gewässer rückt näher - sowohl auf der Nordwest-Passage, die Atlantik und Pazifik über Kanadas Norden und Alaska verbindet, als auch auf der Nordost-Passage, die durch russische Gewässer führt.

 

USA und Russland erhöhen Militärpräsenz

Im Jahr 2009 durchquerte die Bremer Reederei Beluga als erste Frachtreederei die Nordost-Passage, 2013 mit der chinesischen "Yong Sheng" das erste Containerschiff. Es war zwei Wochen schneller als über den herkömmlichen Weg, auf dem es noch dazu Risiken wie Piraterie gibt - und Zeit ist in der Welt der Frächter Geld. Auch Pannen wie der Blockade des Suezkanals im März dieses Jahres durch ein Containerschiff wäre man im Norden nicht ausgesetzt.

Außerdem weckt das Abschmelzen der Eisdecke, das die Öl- und Gasförderung einfacher macht, die Begehrlichkeiten der Anrainerstaaten - und auch auswärtiger Mächte wie China. Schätzungen zufolge birgt die Arktis etwa 13 Prozent der unentdeckten Öl- und 30 Prozent der Erdgasreserven der Welt. Grenzfragen sind immer noch ungeklärt, und die geopolitischen Hauptkonkurrenten USA und Russland, die beide an die Arktis grenzen, haben ihre Präsenz in der Region in den vergangenen Jahren erhöht - was schon in der Idee von Ex-US-Präsident Donald Trump vor rund zwei Jahren zum Ausdruck kam, Dänemark Grönland abzukaufen.

Auch Russland ließ in der Arktis immer wieder seine Muskeln spielen. Auch jetzt wieder, kurz vor dem Ministertreffen des Arktischen Rates am Mittwoch und Donnerstag im isländischen Reykjavik, wo die acht Anrainerstaaten der Arktis - Russland, die USA, Kanada, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Island - über die Probleme der Region beraten sollen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte den Westen vor aus seiner Sicht überzogenen Besitzansprüchen. "Für jeden ist seit langem vollkommen klar, dass dies unser Territorium ist, das ist unser Land", sagte Lawrow am Montag. Russland übernimmt in den kommenden zwei Jahren von Island den Vorsitz im Arktischen Rat.

Treffen Blinken-Lawrow

Dass es bei dem Treffen nicht ausschließlich um ökologische Fragen wie Klimaschutz geht, machte auch der dänische Außenminister Jeppe Kofod deutlich. In einem Interview kritisierte Kofod Russlands "fortgesetzte militärische Aufrüstung" in der Arktis als "besorgniserregend". Die verstärkte Konzentration der Nato auf die Region sei daher eine "willkommene und natürliche Entwicklung". Erst im April hatte Norwegen dem US-Militär ermöglicht, Einrichtungen auf norwegischem Territorium zu installieren und damit seine Militärpräsenz auszuweiten.

Das Treffen in Reykjavik dürfte also kein harmonisches werden. Immerhin ist jedoch zwischen Lawrow und seinem US-Kollegen Antony Blinken ein Treffen vereinbart worden, in dem es um Schlüsselfragen der internationalen Agenda gehen soll.