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Wieder im Schatten Netanjahus

Von Alexander Dworzak

Politik

In Israel will Yair Lapid eine Regierung ohne den Langzeit-Premier bilden. Doch die Eskalation des Konflikts mit der palästinensischen Hamas sowie die Gewalt zwischen jüdischen und muslimischen Bürgern Israels überlagert alles.


Zwei Wochen ist es erst her, als Yair Lapid seinem Ziel ein Stück nähergekommen schien: Israels Ex-Finanzminister von der zentristischen Yesh Atid erhielt von Präsident Reuven Rivlin den Auftrag, eine Regierung zu bilden. Daran war der amtierende Premier Benjamin Netanjahu gescheitert, nachdem die Parlamentswahl im März ein Patt zwischen dem Pro- und Contra-Netanjahu-Lager gebracht hatte.

Netanjahu bleibt bis auf Weiteres damit im Amt - und er steht dieser Tage so sehr im Zentrum wie selten zuvor: Die Proteste von Palästinensern in Ost-Jerusalem und dem Westjordanland gegen die Räumungen von Häusern zugunsten jüdischer Siedler haben in die schwersten bewaffneten Konflikte seit 2014 gemündet. Aus dem von der Hamas kontrollierten Gazastreifen wurden tausende Raketen nach Israel abgefeuert. Dort attackierten einander jüdische und muslimische Bürger, die rund ein Fünftel der Bevölkerung stellen.

Keine "Kristallnacht"

"Die Hamas ermordet fünfjährige Kinder. Aber was auf den Straßen Israels passiert, ist eine existenzielle Bedrohung", warnt Yair Lapid. In Anspielung auf die von Arabern niedergebrannte Synagoge in der Stadt Lod nahe Tel Aviv sagt 57-Jährige, es dürfe im Staat der Juden keine "Kristallnacht" geben. Lapid stellt sich aber auch gegen jüdische Gewalttäter, die Rache und Selbstjustiz üben: "Wenn wir kein Rechtsstaat sind, sind wir kein Staat. Nur der Staat darf Gewalt anwenden."

Lapid mahnt und appelliert, aber das Heft des Handels hält Netanjahu in der Hand, der in der Krise Führungsstärke zeigen kann. Seinem Kontrahenten Netanjahu wirft Lapid daher vor, dieser würde den Konflikt nutzen, um im Amt zu bleiben. Seit 2009 ist Netanjahu Premier, nachdem er schon in den 1990ern als Regierungschef diente. Dass der 71-Jährige nicht von der Macht lassen will, zeigt, wie er sich seit Jahren gegen die Vorwürfe von Betrug, Untreue und Bestechlichkeit stemmt. Netanjahu ist nicht nur der längstdienende Premier in Israels Geschichte, sondern auch der erste, der vor Gericht steht. Der Überlebenskünstler verfügt über einen überragenden politischen Instinkt. In der Corona-Krise blickt die ganze Welt bewundernd auf die rasche Impfung der Bevölkerung. Unangenehme Begleitumstände wie wesentliche höhere Kosten für das Vakzin von Biontech/Pfizer als in der EU treten in den Hintergrund.

Nationalreligiöse sind wieder abgesprungen, einseitige Waffenruhe möglich

Trotzdem er Israel zum "Impfweltweltmeister" erklärte: Netanjahus nationalkonservativer Likud büßte angesichts der Vorwürfe gegen den Premier bei der Wahl im März sieben Sitze ein und kam nur noch auf 30 Mandate. Gemeinsam mit Ultraorthodoxen und Siedlern langte es lediglich für 52 Sitze, 61 sind jedoch für die Mehrheit in der Knesset notwendig. Auch für Lapids Block reicht es nicht, dieser verfügt über 57 Sitze. Zwei Gruppierungen stehen außerhalb dieser beiden Lager und dienen als potenzielle Mehrheitsbeschaffer. Die nationalreligiöse Yamina unter Naftali Bennett erklärte sich erst zu Gesprächen mit Lapid bereit. Nach Eskalation des Gaza-Konflikts zog sie jedoch ihr Angebot zurück und verhandelt nun mit Netanjahu.

Der Allianz des Premiers steht Bennett ideologisch viel näher. Lapids Partner eint nur eines: ihre Gegnerschaft zum Premier. Netanjahus Herausforderer führt eine Mitte-Bewegung an, neben der sozialdemokratischen Arbeitspartei und der linksliberalen Meretz ist die rechtspopulistische Israel Beitenu ebenso vertreten wie ein Bündnis arabischer Kräfte. Nachdem Bennett abgesprungen ist, kann Lapid nur eine Mehrheit erzielen, wenn er eine Partei aus dem Netanjahu-Block loseist oder mit der islamistischen Raam gemeinsame Sache macht - was umstritten ist. Doch selbst Netanjahu streckte seine Fühler in Richtung der arabischen Partei aus, jüdische Koalitionspartner des Premiers lehnten aber eine Zusammenarbeit kategorisch ab.

Lapid übt sich in Zweckoptimismus: "Ich habe nicht die Absicht, aufzugeben", richtet er aus. Doch sein Verhandlungsmandat dauert nur noch zwei Wochen. Scheitert er bis Anfang Juni, haben die Parlamentarier drei Wochen Zeit, um eine Mehrheit zu finden. Andernfalls droht der fünfte Urnengang seit April 2019.

Wie Medien am Donnerstagabend berichteten, will das israelische Sicherheitskabinett über einen Vorschlag abstimmen, der einen einseitigen Waffenstillstand im Konflikt mit militanten Palästinensern im Gazastreifen vorsehe. Die Feuerpause solle dann innerhalb von 24 Stunden in Kraft treten, meldete der israelische Fernsehsender Kan weiter. Israelische Regierungsvertreter äußerten sich vorerst nicht zu dem Bericht.