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Korea konkret

Von Thomas Seifert

Politik
Südkoreas Präsident Moon Jae-in und Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
© reuters / Leonhard Foeger

Südkoreas Präsident Moon Jae-in ist auf Staatsbesuch in Österreich: Was können beide Länder voneinander lernen?


Bballi, Bballi" - "Schnell, Schnell!"- mit diesem Prinzip hat Korea es geschafft, nach den schweren Zeiten der japanischen Okkupation (1910-1945), dem blutigen Korea-Krieg (1950-1953, rund fünf Millionen Tote) und dem Joch einer Militärregierung, die bis 1987 im Amt war, zur Regionalmacht aufzusteigen: Korea ist die siebterfolgreichste Exportnation und steht auf der Weltrangliste der Wirtschaftsmächte auf Platz 14. Aus dem einst bettelarmen Land ist ein Industriegigant geworden - einer der wichtigsten Schiffs- und Autobauer, ein Stahl- und Elektronikriese. Eine Herausforderung für die Konkurrenz: Denn Koreaner sind nicht gerne Nummer zwei. Korea hat Weltkonzerne wie Samsung, Hyundai, LG und SK Group hervorgebracht und das Land steht auf der Liste der Forschungsausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt nur knapp hinter Israel auf Platz zwei (Österreich: Platz 7).

Korea hat sich in den vergangen 15 Jahren zu einer führenden Kulturnation entwickelt: "Hallyu", die Korea-Welle, ist über den Globus geschwappt, koreanischer Pop - K-Pop genannt - begeistert die Menschen weltweit. Die Hauptstadt Seoul wandelt sich von einem abweisenden Betondschungel zu einer interessanten, spannenden Stadt: "Seoul’s got Soul", "Seoul, eine Stadt mit Seele" frohlocken überzeugte Lokalpatrioten. Koreanisches Kino und Seifenopern aus Korea sind von Japan über China bis Chile erfolgreich, das in der Hafenstadt Busan, der zweitgrößten Stadt, abgehaltene Busan International Film Festival wird von der Branche als das Cannes Asiens bezeichnet. Zuletzt bekam die koreanische Filmindustrie kräftigen Rückenwind: 2020 gewann der sozialkritische südkoreanische Film "Parasite" gleich vier Oscars - im Land wurde das als längst überfällige Auszeichnung für die Filmszene gefeiert.

Korea gehört auch zu der Gruppe von Ländern, die die Covid-19-Krise hervorragend gemeistert haben und das Land erwartet für das Jahr 2021 einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung von vier Prozent.

All das, während nach wie vor das Damoklesschwert eines bewaffneten Konflikts mit dem verfeindeten Nachbarn Nordkorea über Südkorea schwebt.

Diese Gefahr sowie der konstante, radikale und oft traumatische Wandel in der Geschichte der Nation haben den Blick der koreanischen Gesellschaft für das Morgen geschärft: Wer sich zurücklehnt, wer stillsteht, wird kolonisiert, besiegt oder überrollt. Damit das nicht passiert, heißt es eben: "Bballi, bballi." Und das klingt nicht nur wie "Dalli, dalli", sondern ist auch so gemeint. Immense Neugierde und stetige Lust auf Neues, Freude an Innovation, Wettbewerb, technologischem Fortschritt und ökonomischem Erfolg. Korea sei "neophil", schreibt Daniel Tudor, viele Jahre Korrespondent der britischen Wirtschaftswochenzeitung "Economist" in seinem lesenswerten Buch "Korea - the Impossible Country": "Das neueste Gadget, die neueste Idee, der neueste Trend sind viel überzeugender als alles, was davor war, schlicht aus dem Grund, weil es neuer ist, als das, was vorher war."

Der Preis für Bballi, Bballi

Bballi, Bballi: Es funktioniert. Aber um welchen Preis?

Südkorea steht auf Platz vier der globalen Selbstmordstatistik, Psychologen und Soziologen machen soziale Isolation, eine Kultur, die Scheitern und Fehler kaum verzeiht und den erdrückenden Erfolgsdruck der koreanischen Gesellschaft für die niederschmetternden Zahlen verantwortlich.

Und die Gründe dafür, dass das ostasiatische Land Schlusslicht der globalen Geburtenraten-Tabelle ist, sind nicht schwer zu finden: Im Global Gender Gap Report des World Economic Forum (WEF) liegt Südkorea auf dem beschämenden 102. Platz.

Das neophile Land braucht also wieder einmal einen Entwicklungsschritt: Die südkoreanische Wirtschaft steckt mitten im Wandel von einer Industrie- zu einer postindustriellen Wissensgesellschaft, nach den Jahrzehnten des halsbrecherischen Wachstums muss der Wandel des Wirtschaftsmodells zu einer Volkswirtschaft mit nachhaltigem, umweltschonendem Wachstum gelingen. Denn Korea benötigt immer noch 0,147 Kilogramm Öleinheiten, um einen Dollar zu erwirtschaften, Deutschland schafft das mit nur 0,071 koe/Dollar Bruttoinlandsprodukt.

Südkorea - so glauben zumindest kritische Beobachter - benötigt auch tiefgreifende soziale Veränderungen: Eine bessere soziale und wirtschaftliche Stellung für Frauen, eine familienfreundliche Politik, bessere soziale Absicherung, eine neue Fehlerkultur und mehr Offenheit, Toleranz, Akzeptanz für Querdenker und Anders-sein.

Wird Wien Drehscheibe?

Es gibt also genügend Gesprächsstoff beim Besuch des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in bei seinem österreichischen Amtskollegen Alexander Van der Bellen, genügend Gelegenheiten, voneinander zu lernen.

Moon, der von seiner Frau Kim Jung-sook sowie Außenminister Eui-Yong Chung begleitet wird, unterzeichnete ein Abkommen zur engeren kulturellen Zusammenarbeit und ein Doppelbesteuerungsabkommen. Seit einiger Zeit wird auch über eine mögliche Rolle Wiens spekuliert, um die Atomgespräche mit Nordkorea wieder in Gang zu bringen.

Die Voraussetzungen dafür sind gegeben: Wien ist Sitz der UN-Atomenergiebehörde IAEA und hat sich zuletzt als Gastgeber bei den Iran-Gesprächen bewährt, dazu kommt, dass Nordkorea in Wien eine Botschaft mit besten Drähten direkt zu Kim Jong-un unterhält.

Neben Bundespräsident Van der Bellen traf der südkoreanische Präsident Moon Kanzler Sebastian Kurz und den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Heute, Dienstag, folgt ein Besuch im Stift Heiligenkreuz in Niederösterreich.