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Eine Begegnung, die Kolumbien heilen soll

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik
Ingrid Betancourt umarmt nach ihrer Freilassung am 2. Juli 2008 ihre Mutter am Flughafen von Bogota. Nun will sich die frühere Spitzenpolitikerin mit ihren Entführern treffen.
© reuters / Javier Casella

Ex-Politikerin Ingrid Betancourt trifft ihre einstigen Entführer von der kolumbianischen Guerilla.


Ich weiß nicht, wie ich reagieren werde, wenn ich die Farc wiedersehe", sagt Ingrid Betancourt vor dem historischen Tag. Die ehemals prominenteste Geisel der Welt trifft am heutigen Mittwoch ihre Entführer wieder. Von Angesicht zu Angesicht, organisiert vom Jesuiten-Pater Francisco de Roux, dem Vorsitzenden der Wahrheitskommission. Die Begegnung soll zu einer Zeit, in der das tief polarisierte Kolumbien wieder einmal in Gewalt und Krise versinkt, ein Augenblick der Versöhnung und der Vergebung werden.

Betancourt hat dennoch Angst vor diesem Moment, wenn die Bilder und die Erinnerungen an mehr als sechs Jahre Geiselhaft unter erbärmlichen, menschenunwürdigen Bedingungen wieder hochkommen. "Das ist ein schwieriger Moment", sagt sie im Vorfeld des Treffens. Sie tue dies aber, um eine Botschaft an Kolumbien zu senden, "dass wir uns selbst anders sehen können".

Neben Betancourt werden auch weitere Geiseln der Farc an dem Treffen teilnehmen. Die linksgerichtete Guerilla, die mehr als sechs Jahrzehnte einen bewaffneten Kampf gegen den kolumbianischen Staat geführt hat, bei dem mehr als 200.000 Menschen ums Leben gekommen sind, wird hingegen durch ihre führenden ehemaligen Kommandanten wie Rodrigo Londono, Pastor Alape, Carlos Antonio Lozada und Guillermo Perez Alzate vertreten sein. Sie allesamt tragen die Verantwortung dafür, dass Betancourt sechs Jahre ihres Lebens in der Wildnis ohne Kontakt zu ihrer Familie leben musste, und sind heute in der politischen Nachfolgepartei der Farc tätig.

Der Anfang vom Ende der Farc

Die ehemalige grüne Präsidentschaftskandidatin war am 23. Februar 2002 bei einer Wahlkampfreise durch ein von der Farc kontrolliertes Gebiet in San Vicente del Caguan gefahren, als sie in eine Straßenblockade der Rebellen geriet. In den kommenden Jahren gab es nur selten ein Lebenszeichen von Betancourt, als nach sechs Jahren die Nachricht von der gelungenen Befreiung bekannt wurde, feierten die Menschen aber auf den Straßen. In ganz Kolumbien gab es Hupkonzerte und spontane Feuerwerke.

Dieser 2. Juli 2008 gilt auch als ein einschneidendes Erlebnis für die Farc-Guerilla, die erkennen musste, dass der bewaffnete Kampf und die Entführungen ihren Ruf in breiten Teilen der Bevölkerung nachhaltig zerstörte. Präsident Juan Manuel Santos, der schon als Verteidigungsminister Betancourts unblutige Befreiung durch eine Spezialeinheit geleitet hatte, gelang es schließlich, einen Friedensprozess mit der Farc einzuleiten. Das 2016 mit der Guerilla geschlossene Abkommen machte Santos zum Friedensnobelpreisträger und brachte eine Wahrheitskommission hervor, die die Verbrechen während des bewaffneten Konfliktes aufklären soll.

Massive Proteste seit April

Das von der Wahrheitskommission organisierte Treffen zwischen Betancourt und ihren Entführern, bei dem sich die Geiselnehmer auch zu ihrer Schuld bekennen wollen, ist aber nicht nur aufgrund der historischen Ereignisse bedeutsam. Er passt auch in die aktuelle politische Krise, die ihren Ausgang in einer inzwischen zurückgezogenen Steuerreform genommen hat. Denn die politischen Lager Kolumbiens stehen sich wieder einmal unversöhnlich gegenüber und machen sich gegenseitig für erschossene Demonstranten oder Attentate auf Polizeieinrichtungen verantwortlich. 20 Menschen sollen laut Human Rights Watch bereits bei den heftigen Protesten, die das Land seit Anfang April erschüttern, ums Leben gekommen sein.

Betancourt wird daher auch Bogotas Bürgermeisterin Claudia Lopez treffen und sich mit UN-Vertreter sowie Repräsentanten des Streikkomitees, der Jugendverbände, Parteien und der Zivilgesellschaft austauschen. Im Vorfeld des Treffens mit der Farc hatte Betancourt auch mit Kolumbiens Präsident Ivan Duque gesprochen und ihn dazu aufgerufen, die aktuellen Sozialproteste im Land nicht zu stigmatisieren. "Für mich ist es eine der wichtigsten Dinge, die Sozialproteste und die Demonstranten zu respektieren", sagte die 59-Jährige. Die Proteste in Zusammenhang mit Vandalismus und Terrorismus zu bringen, sei nicht nur unfair, sondern nützte auch nichts, weil es die Möglichkeit verschließe, "die Probleme zu lösen, die wir lösen müssen".