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Utopisches Experiment mit Ablaufdatum

Von Agnes Fazekas

Politik

Israels neue Regierung gleicht einem wagemutigen Laborversuch - und schon in den ersten Wochen brodelt es gewaltig. Ex-Premier Benjamin Netanjahu streut zusätzlich Sand ins Getriebe.


Vor gut drei Wochen trat Naftali Bennett sein Amt als Israels neuer Premier an und ein Seufzer der Erleichterung ging um die Welt, vor allem in Washington und vielen Hauptstädten Europas war er zu hören. Bennett versprach, die Nation zu einen - und ja, dem Wohl des ganzen Volkes zu dienen. Dazu müsse man die Ideologie beiseiteschieben, hatte er gesagt.

Bennett und Yair Lapid, die Chefs der rechten Jamina und der liberalen Zukunftspartei, eint nämlich nur ein gemeinsames Ziel: Die Entthronung "König Bibis". Dreizehn Jahre hatte sich Benjamin Netanjahu an der Macht festgeklammert. Dass ihre Koalition aus acht Parteien besteht, deren Spektrum sich von der rechten Kante übers Zentrum und die islamistische Ra’am zur Linken spannt, klingt utopisch bunt, lässt jedoch fürchten, dass sie den ersten Zwist nicht überlebt. Viel Spielraum bliebt nicht, sich durch brenzlige Themen zu manövrieren. Und an denen fehlt es nicht.

Alte Linie setzt sich durch

Nach außen gab sich die neue Regierung bisher zwar angenehm diplomatisch, ließ Lapid als Außenminister die neue Botschaft in den Emiraten einweihen und den alten Präsident Reuven Rivlin als letzte Amtshandlung bei Joe Biden eine Einladung für Bennett einholen. Doch im Land zeigte sich schnell, wie die versprochene "Einheit" aussieht: Notdürftige Zugeständnisse an Linke und Araber - um letztendlich die alte Linie durchzuziehen. Das begann bereits am zweiten Amtstag mit dem noch unter Netanjahu geplanten Flaggenmarsch ultrarechter Nationalisten durch Jerusalem. Der einzige Kompromiss: Die Marschroute wurde an den für die Palästinenser provokativsten Ecken vorbeigelenkt.

Eine andere Entscheidung schuf Tatsachen. Während Lapid bisher einen weitgehenden Rückzug aus dem Westjordanland gefordert hatte, lebt Bennett zwar selbst mit seiner Familie bei Tel Aviv, bekennt sich aber zum Lager der nationalreligiösen Siedler. Wie bereits lange geplant, werden nun in der Ostjerusalemer Nachbarschaft Silwan Häuser von palästinensischen Familien zerstört, um ein Archäologieprojekt der Siedlerbewegung umzusetzen: die Davidstadt.

Derweil sollte im Westjordanland ein jüdischer Außenposten geräumt werden, der selbst nach israelischem Recht illegal ist. Stattdessen wurde ein fadenscheiniger Kompromiss ausgehandelt: Zwar mussten die Siedler den Posten Evyatar erst einmal verlassen, dafür sollen jedoch Soldaten einziehen und eine jüdische Religionsschule gebaut werden - für die Palästinenser bleibt das Land verloren. Ein Abgeordneter der linken Meretz-Partei sagte: "Das ist furchtbar. Eine weiße Flagge für die Siedler."

Unterstützung haben diese auch mit der neuen Innenministerin Ayelet Shaked. Sie twitterte nach der Entscheidung: "Zuletzt danke ich den Pionieren von Evyatar, die mit absoluter Hingebung zeigen, was Zionismus ist." Während der alte und neue Verteidigungsminister Benny Gantz den Außenposten schon vorher räumen lassen wollte, notfalls mit Gewalt, fand er plötzlich auf keiner Seite Zuspruch. Zu groß schien die Angst, die Koalition zu riskieren und Netanjahu zurückzuholen.

Dabei stand gleich der nächste Härtetest ins Haus: Die Abstimmung über einen umstrittenen Zusatz zum Staatsangehörigkeitsgesetz. Seit 2003 untersagt er die Familienzusammenführung von Palästinensern mit ihren in Israel lebenden Ehepartnern. Nicht nur Arabische Israelis und Linke halten das Gesetz für diskriminierend, auch Yair Lapid gab zu, dass der Entwurf die jüdische Mehrheit in Israel sichern soll.

Gespannt blickte man auf die islamistische Ra’am-Partei, die zwar die Koalition erst möglich gemacht hat, aber auch von einigen Arabern skeptisch beäugt wird. Während Shaked und Bennet auf die Verlängerung des Gesetzes bestanden, endete die Abstimmung mit einem Patt von jeweils 59 Stimmen. Zwar überstand die Koalition damit knapp die Vertrauensfrage. Das Gesetz jedoch wurde gekippt.

Regierung wackelt bereits

Damit zeigt sich, wer wirklich bereit ist, Ideologien beiseite zu schieben. Ausgerechnet der Likud unter Oppositionsführer Netanjahu stellte sich gegen das Gesetz, das sie inhaltlich voll befürwortet. Es sei wichtiger, die "antizionistische" Regierung zu Fall zu bringen, bekundete der Ex-Premier. Und es wackelt bereits gewaltig. Bennett hatte erklärt, er sehe die Abstimmung als Vertrauensantrag an die Regierung. Als Kompromiss hatte er der Ra’am-Partei und den Linken angeboten, das Gesetz erst einmal nur für ein halbes Jahr zu verlängern. Zudem sollten 1.600 Palästinensische Familien immerhin ein Visum für Israel bekommen.

Zwei der arabischen Abgeordneten enthielten sich jedoch. Dazu lief ein Abgeordneter von Bennetts eigener Partei in der Abstimmung zur Opposition über: "Israel braucht eine funktionierende zionistische Regierung und kein Mischmasch, das von arabischen und linken Stimmen abhängt." Bennetts Parteifreundin Ayelet Shaket wiederum echauffierte sich darüber, dass der rechte Likud in der Opposition nun ausgerechnet mit der Vereinten Liste gemeinsame Sache mache, und dabei hauptsächlich mit Arabern.

An diesem Sonntag soll Netanjahu endgültig aus seiner Residenz am Balfour-Platz in Jerusalem ausziehen. Jeden Samstag wurde dort im vergangenen Jahr gegen den "Crimeminister" protestiert. Bis zu zehn Jahre Haft drohen ihm wegen mehrerer Korruptionsvorwürfe. Bis es zu einer Verurteilung kommt, kann es allerdings dauern - die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf mehr als 300 Zeugen. Damit bleibt viel Zeit, um noch mehr Sand ins Getriebe zu streuen. Die nächste Gelegenheit bietet sich schon in diesem Monat. Ein weiteres umstrittenes Gesetz muss verlängert werden. Noch befreit es junge ultraorthodoxe Juden von der Wehrpflicht. Sollte es gekippt werden, steht eine Revolte der Strenggläubigen bevor.

"Alchemist" und Lichtblick

Auch in diesem Falle hätte Netanjahu leichtes Spiel, die Regierung dumm dastehen zu lassen: Sowohl die Araber der Ra’am-Partei als auch der Vereinten Liste in der Opposition weigern sich Gesetze zu unterstützen, die das Militär betreffen.

Einen Lichtblick bietet der frisch eingeschworene Präsident Isaac Herzog. Der frühere Chef der Arbeiterpartei hat die diplomatische Erfahrung, die Bennett und Lapid fehlt. "Präsident aller Israelis" will er sein, das hat er sogleich angekündigt. Dazu nennt er sich selbst gern einen "Alchemist", wenn es darum geht unmögliche politische Verbindungen zu brauen. Die braucht es in dieser Regierung. Ohne übernatürliche Hilfe wird die "Koalition des Wandels" sich bald in ihre gegenpoligen Elemente zersetzen.