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Die Taliban - brutal und lernfähig

Von Michael Schmölzer

Politik

Islamisten haben nichts an Grausamkeit eingebüßt. Fehler der Vergangenheit werden sie vermeiden.


Die Taliban erobern Afghanistan schneller, als die USA abziehen können. Im Stundentakt fallen wichtige strategische Stellungen und Provinzhauptstädte in die Hände der Islamisten. Die US-Geheimdienste gingen zuletzt davon aus, dass die Fanatiker frühestens in 30 Tagen Kabul übernehmen. Doch die Taliban versammeln bereits jetzt ihre Milizionäre vor den Toren der Hauptstadt, um zum finalen Sturm anzusetzen.

Verwirrung in Washington

Jetzt bricht das totale Chaos aus - nicht nur in dem Land am Hindukusch, wo die Menschen nicht mehr wissen, wohin sie sich in Sicherheit bringen können. Verwirrt ist man auch im Pentagon, das 3.000 Soldaten in einer verzweifelten Eilaktion zurück nach Kabul schickt, um wenigstens den wichtigen Flughafen vor dem Zugriff der Taliban zu bewahren. Die Start- und Landebahnen werden gebraucht, um die Reste der ehemaligen US-Präsenz aus dem Land zu schaffen. Der geordnete Abzug droht sonst zur wilden Flucht zu werden.

Wobei die 3.000 GIs mit den restlichen, im Afghanistan verbliebenen US-Einheiten und der nötigen Luftunterstützung ausreichen dürften, um den Vormarsch der Rebellen so lange wie nötig zu verzögern. Denn die Kampfkraft der Taliban - hier irren die US-Geheimdienste nicht - ist relativ gering. Die Kampfmoral der afghanischen Armee (auf dem Papier handelt es sich um 300.000 Personen in Uniform) ist allerdings längst bei null angelangt.

Maßgebliche Teile der Generalität und der hohen Beamten arbeiten seit Jahren eng mit den Taliban zusammen, die bei ihrem Vormarsch fallweise auf Widerstand stoßen, zumeist aber kampflos vorankommen. Viele Afghanen sehen in den Taliban eine willkommene Alternative zur verhassten und korrupten Regierung in Kabul.

Der Appell der Nato, allen voran der USA, an die Taliban, ihren Vormarsch zu stoppen, Vernunft anzunehmen und eine politische Lösung zu suchen, wirkt beinahe lächerlich. Die Fanatiker kosten ihren Sieg, auf den sie lange gewartet haben, in vollen Zügen aus. "Ihr habt die Uhren, wir die Zeit", so ein ehemals beliebter Spruch der Taliban. Jetzt hat sich das Warten gelohnt.

Die Islamisten wurden von Ex-US-Präsident Donald Trump zu Verhandlungen eingeladen, weil die USA schon vor Jahren militärisch mit ihrem Latein am Ende waren. Die religiösen Fanatiker haben sich zwar gemeinsam mit dem Westen an einen Tisch gesetzt, die USA und ihre afghanische Marionettenregierung wurden über die wahren Absichten der Gotteskrieger aber nie getäuscht: Während die Verhandlungen über eine friedliche, politische Lösung liefen, verübten die Taliban einen blutigen Anschlag nach dem anderen.

Schmerzhaft für die USA ist, dass die Taliban vorerst stärker sein werden als vor den Anschlägen 9/11. Damals gab es in Form der Nordallianz bedeutende Kräfte in Afghanistan, die den Taliban die Stirn boten. Hier haben die Taliban gelernt: Jetzt sind die nördlichen Territorien von ihnen zum Großteil bereits erobert.

Die Türkei hat besonders viel Geld in den Aufbau einer afghanischen Infrastruktur investiert und darauf gehofft, mit der künftigen Regierung im Geschäft bleiben zu können. Von einer Beteiligung der Taliban an der Macht war man auch in Ankara ausgegangen, nicht aber an einem völligen Debakel der Regierung in Kabul. Deshalb will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nun auch mit den Taliban verhandeln - ohne zu wissen, wer dort das Sagen hat.

Keine Kompromisse

Die Taliban sind ein Sammelbecken von Fundamentalisten, die keine Kompromisse machen. Sie wollen ein Kalifat errichten, in dem die strengen Gesetze gelten, die bereits in den 90er-Jahren verhängt worden waren: Frauen waren komplett entrechtet, Musik in jeder Form verboten und auf Gotteslästerung stand die Todesstrafe. Frauen wurden wegen Ehebruchs in Fußballstadien hingerichtet.

Die Taliban haben in den letzten 20 Jahren nichts an Brutalität eingebüßt. Aber sie haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt: Anzunehmen ist, dass sie künftig international diplomatischer auftreten und um eine bessere PR bemüht sein werden. Auf eine erneute ausländische Invasion wollen es die Gotteskrieger nicht ankommen lassen.