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Bidens verpatzte Mission

Politik

Der US-Präsident steht nach dem Eroberungszug der radikalen Taliban in Afghanistan im Kreuzfeuer der Kritik.


Mit dem chaotischen Rückzug der USA aus Afghanistan bahnt sich eine politische Katastrophe für Joe Biden an. Kritiker werfen ihm schon jetzt vor, seine Afghanistan-Politik werde seine Präsidentschaft und sein historisches Erbe nachhaltig beflecken. Bis zur Einnahme Kabuls ließ US-Präsident Biden selbst keine Reue für seine Abzugsentscheidung erkennen. Auch zeigte er sich bei Reporterfragen nach dem Schicksal der Afghanen wiederholt ungerührt. Die Afghanen müssten jetzt für "sich selbst kämpfen", so Biden.

Sein Argument: Das US-Engagement in Afghanistan sei kostspielig, aber kaum noch im strategischen US-Interesse. Zudem hätten die USA ihr Ziel erreicht, Al-Kaida zu bekämpfen, und mit der Ausbildung von 300.000 Soldaten mehr als genug für Afghanistan getan, meinte Biden. Er werde diesen Krieg "nicht an einen fünften Präsidenten weitergeben".

Montagabend (21:45 MEZ) kündigt der US-Präsident via Twitter an, eine Stellungnahme abzugeben:

Wiederholt habe Biden die psychologische Wirkung des vollständigen US-Truppenabzugs in Afghanistan ignoriert, erklärte jedoch der Afghanistan-Experte Andrew Wilder vom US Institute of Peace. Der Abzug habe in Afghanistan eine Atmosphäre geschaffen, in der ein Sieg der Taliban "unausweichlich" erscheine. Dies habe den Kampfgeist der Afghanen beschädigt.

Einen ernsthaften Widerspruch in Bidens Afghanistan-Politik zu dessen Versprechen, die Demokratie in der Welt zu verteidigen, sieht auch der Experte Brian Katulis vom linksgerichteten Center for American Progress. Wie hoch der politische Preis sei, den Biden für seine Afghanistan-Politik werde bezahlen müssen, hänge davon ab, wie "hässlich" sich die Taliban-Herrschaft entwickle. Eine "Serie von Gräueltaten, die nur Afghanen betrifft", werde wohl "nur ein gleichgültiges Schulterzucken hervorrufen", wie es bereits im Fall Syriens zu beobachten sei, so Katulis. "Wenn aber auch Amerikaner betroffen sein sollten, ist alles möglich."

Wütend zeigte sich die "Washington Post" in einem Leitartikel: Die durch eine künftige Taliban-Herrschaft zerstörten afghanischen Leben würden das politische Erbe Bidens einst ebenso bestimmen wie "die Dollar und US-Leben, die durch seine Entscheidung vielleicht verschont werden". Biden habe mit seiner "verfehlten Strategie" Fortschritte etwa im Bereich der Mädchenbildung aufs Spiel gesetzt.

Vernichtend klingt das Zeugnis des ehemaligen US-Verteidigungsminister Chuck Hagel: "Wir haben die Kultur nie verstanden, wir haben die Religion nie verstanden, das Stammesdenken, die Geschichte", sagte der Republikaner zum Sender CNN. "Man ist zum Scheitern verurteilt, wenn man das nicht versteht. Und wenn man 20 Jahre lang als Besatzungsmacht an einem Ort bleibt, werden die Dinge nicht gut ausgehen, weil man am Ende von vielen Menschen als Besatzer angesehen wird."

Republikaner weisen auf Bidens Versagen hin

Hagel betonte zwar, die USA hätten viele gute Dinge getan, um ein besseres Land zu schaffen. "Aber ich glaube, wir sind vom Weg abgekommen und haben nicht wirklich verstanden, was wir da tun." Mit Blick auf die Entscheidung zum US-Truppenabzug erklärte er, dass es wohl kaum eine gute Lösung gegeben hätte.

Scharfe Kritik an Bidens Administration hat auch unmittelbar nach der Übernahme Kabuls der frühere US-Außenminister Mike Pompeo geäußert: "Es sieht so aus, als ob sie gerade bei der Umsetzung ihres eigenen Plans gescheitert ist." Die USA sollten mithilfe der eigenen Luftwaffe "die Taliban, die Kabul umzingeln, niederschlagen", forderte Pompeo. "Wir sollten sie nicht anflehen, das Leben von Amerikanern zu verschonen, wir sollten den Taliban Kosten auferlegen, bis sie uns erlauben, unseren Plan in Afghanistan umzusetzen." In der vergangenen Woche sollen US-Unterhändler Medienberichten zufolge versucht haben, von den Taliban die Zusicherung zu erhalten, dass sie im Falle einer Machtübernahme die US-Botschaft in Kabul nicht angreifen würden.

Eine der größten Niederlagen in der US-Geschichte

Unter Bidens republikanischem Amtsvorgänger Donald Trump war Pompeo maßgeblich am Abschluss einer Vereinbarung mit den Taliban beteiligt, die den Abzug aller internationalen Truppen bis 1. Mai vorsah. Biden verzögerte den Abzug der im Frühjahr noch verbliebenen rund 2.500 US-Soldaten, hielt aber im Grundsatz an der Entscheidung fest. Das US-Militär soll Afghanistan bis Ende August verlassen. Bidens Argumentation, das Abkommen habe die Taliban militärisch gestärkt und ihm nur wenige Möglichkeiten gelassen, wies Pompeo als "erbärmlich" zurück.

Die USA hätten die Möglichkeit gehabt, "diese Katastrophe zu vermeiden", erklärte der Minderheitsführer der Republikaner im US-Senat, Mitch McConnell. Es handle sich um ein "beschämendes Versagen der US-Führung". Die Republikanerin Liz Cheney erklärte: "Was wir gerade in Afghanistan erleben, ist das, was passiert, wenn sich Amerika aus der Welt zurückzieht." Die Verbündeten der USA würden sich fragen, ob sie überhaupt auf sie zählen könnten, meinte Cheney.

Ein erneutes Erstarken der Terrorgruppe Al-Kaida befürchtet der republikanische Senator Lindsey Graham: "Präsident Biden scheint sich der terroristischen Bedrohung, die von einem von den Taliban regierten Afghanistan ausgeht, nicht bewusst zu sein." Auch Ex-Präsident Trump meldete sich zur Situation in Afghanistan zu Wort: "Was Biden mit Afghanistan gemacht hat, ist legendär." Es werde als eine der größten Niederlagen in die amerikanische Geschichte eingehen.(red)