Zum Hauptinhalt springen

"Putins Repression ist Zeichen der Schwäche"

Von Klaus Huhold

Politik

Warum Putin keine liberale Opposition duldet und Probleme mit dem Westen hat, erklärt der Politologe Gerhard Mangott.


Bei der von Manipulationsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl in Russland hat die Kremlpartei "Geeintes Russland" einen klaren Sieg errungen. Nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen lag Geeintes Russland bei 49,8 Prozent. Auch die überwiegende Mehrheit der Direktmandate ging an "Geeintes Russland", weshalb die Partei sich eine verfassungsgebende Zwei-Drittel-Mehrheit sicherte. Mit in die Duma ziehen die Kommunisten, Nationalisten und ein bis zwei Kleinparteien ein, die allesamt als Kreml-treu gelten.

Was von dem Ergebnis zu halten ist und wie es nun mit Russland weitergeht, darüber sprach die "Wiener Zeitung" mit dem ausgewiesenen Russland-Kenner Gerhard Mangott.

"Wiener Zeitung": Was sagt das Wahlergebnis tatsächlich über die Popularität von "Geeintes Russland" aus und wie sehr ist ihm überhaupt zu vertrauen?Gerhard Mangott: "Geeintes Russland" hat wesentlich besser abgeschnitten, als es bei fairen und freien Wahlen der Fall gewesen wäre. Man hat offensichtlich versucht, die Wahl so ausfallen zu lassen, dass die wichtige Verfassungsmehrheit erhalten bleibt, es aber nicht nach einem überschwänglichen Sieg, sondern nach einem geringen Verlust für die Regierungspartei aussieht. Denn allen Wahlberechtigten in Russland ist klar, dass die Popularität dieser Partei in den vergangenen fünf Jahren deutlich zurückgegangen ist.

Fair waren ja schon die letzten Wahlen 2016 nicht. Aber warum ist der Kreml diesmal so besonders hart gegen die Opposition vorgegangen - was sich ja in der Person von Alexej Nawalny, der nach überlebtem Giftanschlag nun in einem Straflager einsitzt, zeigt.

2016 war es noch relativ einfach, einen großen Wahlerfolg für "Geeintes Russland" herbeizuführen, weil noch diese Hochstimmung nach der Krim-Annexion herrschte. Diesmal aber waren die Rahmenbedingungen ganz anders: Seit acht Jahren sinken die Reallöhne, die Inflation ist stark angestiegen und insgesamt verschlechtern sich die Lebensverhältnisse. Für "Geeintes Russland" war es wichtig, eine Verfassungsmehrheit für die Transitionsphase im Jahr 2024 zu halten, wenn Putin abtritt, oder - was wahrscheinlicher ist - noch einmal als Präsident antritt. Dieses Ziel wurde durch das Verbot für Unterstützer Nawalnys, bei diesen Wahlen überhaupt anzutreten, den ungleichen Zugang zu Medien, die ungleichen finanziellen Ressourcen und - man darf es vermuten - durch eine Manipulation der Stimmenauszählung vor allem bei der elektronischen Stimmabgabe erreicht.

Die Mehrheit war "Geeintes Russland" somit ohnehin sicher. Da kann es schon verwundern, dass die Machthaber so viel unternehmen, damit die liberale Opposition nicht in der Duma vertreten ist, sie es auch nur als Kleinstpartei.

Man möchte unter allen Umständen verhindern, dass es eine Repräsentanz liberaler Opposition gibt. So kann der Kreml argumentieren, dass diese Opposition zwar lautstark ist und vom Westen hofiert wird, aber in Russland keine Wählerbasis hat.

Warum lehnt Putin eine offene Demokratie derart grundsätzlich ab? Geht es hier nur um Machtinteressen oder hat das auch einen ideologischen Hintergrund?

Für Putin und die ihn umgebenden Geheimdienstler wäre eine starke liberale Opposition nicht hilfreich, weil sie eine andere Außenpolitik gegenüber dem Westen verfolgen und verkünden würde. Die klare Linie der russischen Außenpolitik ist derzeit, dass sie gegenüber dem Westen auf Konfrontation geht. Noch wichtiger ist aber ein anderes Signal, das die politische Führung aussendet: Die eigene Herrschaft wird als alternativlos dargestellt, indem Putin und seine Führungsmannschaft sicherstellen, dass es eine Mehrheit für sie gibt. Damit kommt innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes keine Diskussion auf, ob Putin Herr der Lage ist.

Und wie nahe steht diese Opposition tatsächlich dem Westen?

Das ist nicht so eindeutig - Nawalny etwa ist auch ein russischer Nationalist. Dann gibt es wieder Liberale, die das Verhältnis zum Westen unbedingt verbessern wollen.

Aber warum positioniert sich Wladimir Putin überhaupt so sehr gegen den Westen?

Seine Erfahrungen mit dem Westen haben dazu geführt, dass Putin heute ein anderer ist als bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000. Damals hatte er das Verlangen nach einer engen Zusammenarbeit mit der EU und den USA. Doch vor allem die USA sahen sich in einer unipolaren Machtposition und haben die Interessen Russlands ignoriert - etwa beim Beschluss einer Nato-Erweiterung, der Anerkennung des Kosovo oder den Plänen, in Europa ein Raketenabwehrsystem zu errichten. Das hat dazu geführt, dass Putin fast schon absurd misstrauisch gegenüber dem Westen und insbesondere den USA geworden ist. Als dann im Zuge der Proteste nach der Parlamentswahl 2011 die USA verkündeten, dass diese nicht frei und fair gewesen sei und so in den Augen Putins ein Signal für weitere Proteste gaben, ist das Verhältnis endgültig gebrochen. Dass westliche Politiker dann auch noch eine zweite Amtszeit von Dmitri Medwedew als Präsidenten empfahlen, war für Putin ein persönlicher Affront. Ich sehe unter Putin nun keine Möglichkeiten mehr, dass sich diese Beziehungen verbessern - und zwar bei beiden Seiten nicht.

Auch innenpolitisch scheint Putin nur an eine Politik der Stärke und nicht an eine des Kompromisses zu glauben. . .

Ich betrachte diese harte repressive Linie der vergangenen zwei Jahre eher als ein Zeichen der Schwäche. Die Regierung kann ihre Legitimität nicht mehr durch wirtschaftliches Wachstum und steigende Reallöhne aufrechterhalten, und sie kann auch durch ihre aggressive Außenpolitik nicht mehr so punkten. Deshalb sieht sie es offenbar als notwendig an, jede oppositionelle Stimme zum Schweigen zu bringen.

Aber wird die Staatsmacht nun nach der Wahl Reformen angehen? So kostet ja etwa der Krieg in Syrien, bei dem Moskau Machthaber Baschar al-Assad stützt, viel Geld und Russlands Wirtschaft ist noch immer von Rohstoffen abhängig.

Ich erwarte mir keine Änderungen, sondern vielmehr politische Kontinuität und wirtschaftliche Reformunfähigkeit, wie sie Putin auszeichnet, seitdem er Russlands Präsident geworden ist. Die Wirtschaftspolitik kommt den Oligarchen, den Monopolen und Oligopolen zugute - und wenn diese fortgesetzt wird, wird Russland auch nicht auf einen Wachstumskurs kommen, der für ein Schwellenland akzeptabel wäre.

Wie ist nun tatsächlich die politische Stimmung im Russland? Lässt sich das irgendwie generell sagen?

Ich denke, dass es schon eine relative Mehrheit für die Staatsführung gibt, die aber deutlich unter den fast 50 Prozent liegt, die "Geeintes Russland" bei der Wahl erreicht hat. Die eiserne Wählerklientel für Putin bilden dabei Staatsbedienstete, Militärs, Angestellte in Rüstungsbetrieben und all die dazugehörigen Familien, und auch Pensionisten oder schlechter gebildete Bürger, die eher kleinstädtisch oder ländlich leben. In den Großstädten gibt es einen lebendigen Anti-Putin-Aktivismus. Aber der Großteil der Bevölkerung ist apathisch und resignativ. Das stützt die gegenwärtige Führung.

Zur Person~