Die Sondersitzung des österreichischen Nationalrats am Dienstag enthielt nicht nur die Regierungserklärung von Bundeskanzler Alexander Schallenberg. Auch sein Nachfolger als Außenminister, Michael Linhart (beide ÖVP), skizzierte vor den Parlamentariern seine Leitlinien. Der Karrierediplomat erklärte, die Stimme zu erheben für Menschenrechte, "gegen jegliche Form des Antisemitismus", für eine starke transatlantische Partnerschaft und für friedliche Lösungen.
Von Frieden ist Afghanistan weiter entfernt denn je, seitdem die radikal-sunnitischen Taliban mit dem Abzug der internationalen Truppen im Sommer wieder die Macht im Land übernommen haben. "Afghanistan entwickelt sich zu einen sicherheitspoltischen schwarzen Loch", warnte Linhart im Nationalrat. Wie verhindert werden kann, dass Afghanistan wieder zum sicheren Hafen für islamistische Terroristen wird, darüber berieten am Dienstag auch die G20 bei einem Sondergipfel. Neben den 20 größten Industrienationen nahmen Vertreter weiterer Staaten und Akteure wie UN und Weltbank teil.
Seit der Taliban-Machtübernahme im August gibt es in Afghanistan regelmäßig Anschläge, die zumeist vom regionalen Ableger der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) begangen werden, dem Islamischen Staat - Provinz Khorasan (IS-K). Dieser reklamierte zuletzt einen Bombenanschlag in Kunduz mit mehr als 50 Toten für sich. Spekulationen zufolge wird IS-K von einer Person mit dem Pseudonym Shabab al-Muhajir angeführt; angeblich ein ehemaliger Kommandant des Terrornetzwerks Al-Kaida oder ein Mitglied des Haqqani-Netzwerks - eine der einflussreichsten Taliban-internen Gruppierungen.
Während die neue Taliban-Regierung in Kabul jedoch auch schiitischen Minderheiten Schutz zugesichert hat, verfolgt IS-K das Ziel, "Glaubensabtrünnige" und "Heuchler" auszulöschen. Besonders bedroht vom IS-K sind Minderheiten wie die Hasara. Unterschiede gibt es auch in der politischen Zielsetzung: Die Taliban wollen Afghanistan gemäß ihrer Auslegung des islamischen Rechts beherrschen, der IS-K strebt ein globales islamisches "Kalifat" an.
EU-Kommission sagt eine Milliarde Euro zu
Für die Taliban stellen die Anschläge des IS-K ein großes Problem dar. Denn die wichtigste Botschaft der Taliban seit ihrer Machtübernahme laute, dass sie "die Stabilität wiederhergestellt haben, indem sie den Krieg beendeten", sagt Michael Kugelman von der US-Denkfabrik Woodrow Wilson Center. "Terroranschläge wie jener in Kunduz untergraben diese Erzählung jedoch."
Weiter erschwert wird die Lage durch die wirtschaftliche Krise: Internationale Geldgeber haben jegliche Zahlungen gestoppt und bei ausländischen Zentralbanken angelegte Mittel eingefroren. Die Geschäftsbanken in Afghanistan haben inzwischen kein Bargeld mehr, die Lebensmittelpreise sind in die Höhe geschossen, und Beamte haben seit Wochen kein Entgelt mehr erhalten.
Die G20 berieten daher auch über Wege aus der "humanitären Katastrophe", so der Initiator des Treffens, Italiens Premier Mario Draghi. Die EU-Kommission sagte am Dienstag insgesamt eine Milliarde Euro an Unterstützung zu. Zu den bereits versprochenen 300 Millionen Euro für humanitäre Hilfe soll es laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch einmal mindestens 250 Millionen Euro unter anderem für den Gesundheitsschutz geben. Weiteres Geld wird den Planungen zufolge in Nachbarstaaten fließen, die aus Afghanistan geflohene Menschen aufgenommen haben.
Zugleich betonte die Kommission, dass die klassische Entwicklungshilfe für den Wiederaufbau des Landes vorerst eingefroren bleibe. Sie soll erst dann wieder aufgenommen werden, wenn die Taliban zum Beispiel die Einhaltung von Frauenrechten und Medienfreiheit garantieren. Die Taliban vermieden bisher Zugeständnisse gegenüber Forderungen aus dem Westen, wonach Frauen wieder zur Arbeit und Mädchen in die Schulen zurückgelassen werden müssen.
Die Welt werde ohne Hilfe für Afghanistan einen hohen Preis bezahlen, warnte UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Immer mehr Afghanen würden ihr Land "auf der Suche nach einem besseren Leben" verlassen. Zu den zehntausenden seit August Geflüchteten gesellte sich nun auch der frühere Dolmetscher von US-Präsident Joe Biden. Aman Chalili, der 2008 an einer Rettungsmission für den damaligen Senator Biden und zwei weitere US-Politiker teilgenommen hatte, reiste über Pakistan nach Katar aus. (apa/reuters/red.)