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"Keiner kann nun sagen, dass Klimaschutz zu teuer ist"

Von Ronald Schönhuber

Politik

Klimaexperte Karl Steininger über die Rückkehr der USA und darüber, wie der technologische Fortschritt helfen kann.


Ab 31. Oktober soll bei der UN-Klimakonferenz im schottischen Glasgow all das realisiert werden, worauf sich die Staatengemeinschaft vor zwei Jahren in Madrid bei der COP25 nicht einigen konnte. Im Vergleich zu damals haben sich aber die Rahmenbedingungen geändert. So haben mittlerweile sowohl die EU als auch die USA und China ein Zieldatum für das Erreichen der Klimaneutralität ausgegeben.

"Wiener Zeitung":Der wohl augenscheinlichste Unterschied zum letzten Klimagipfel ist, dass die USA in Glasgow wieder aktiv mit am Tisch sitzen. Seit Joe Biden Präsident ist, gibt es nicht nur ein starkes Bekenntnis zum Klimaschutz, die USA wollen sogar zum globalen Vorreiter im Kampf gegen die Erderwärmung werden. Wie ändert sich dadurch das Momentum in der internationalen Klimapolitik?

Karl Steininger: Ich glaube schon, dass das ein Momentum entfaltet. Und zwar nicht nur in der Hinsicht, dass sich nun auch andere Länder vielleicht mehr trauen und dem Beispiel der USA folgen werden. Niemand wird jetzt noch behaupten können, dass man sich den Klimaschutz nicht leisten kann. Viel mehr müssen vor allem exportorientierte Wirtschaften die Sorge haben, dass sie den Anschluss verlieren, wenn sie nicht zeitgerecht umsteigen und schauen, dass sie Innovationen im eigenen Land hervorbringen.

Welche Rolle wird China als größter Klimasünder der Welt spielen? Vor knapp einem Jahr ist Präsident Xi Jinping ja mit dem Ziel eines klimaneutralen Chinas bis 2060 vorgeprescht, angesichts der großflächigen Energiekrise im Land scheint man derzeit aber gerade wieder zurückzurudern.

Natürlich geht es China jetzt einmal darum, die unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung abzusichern. Ich glaube aber schon, dass die Regierung in Peking weiß, dass sowohl die lokalen Schadstoffe als auch die langfristigen Folgen des Klimawandels - etwa in Hinblick auf die Flüsse, die sich aus dem Himalaya speisen - dramatische Auswirkungen haben. Wenn es irgendwie geht, wird China also sehr wohl versuchen, seine Klimaziele zu erreichen. China ist zudem ein Land, dass es sehr stark in der Hand hat, die eigene Zukunft bestimmen.

Werden China und die USA, die sich derzeit wirtschaftlich bekriegen und geostrategisch belauern, beim Klima zusammenarbeiten können?

Sie werden es letztlich müssen. Die Frage ist allerdings, wer dann Einfluss in anderen Ländern hat. China arbeitet ja etwa auch ganz stark an Aspekten der globalen Elektrizitätsversorgung, im pazifischen Raum, aber auch in Afrika. Das ist natürlich auch ein Thema, wo die USA und China im Wettstreit stehen.

Was sind derzeit die größten Stolpersteine beziehungsweise Herausforderungen für die Erreichung der Pariser Klimaziele?

Das ist derzeit vor allem die Geschwindigkeit der Umstellung und die Herausforderung, Erneuerbare Energien genau dort zu haben, wo wir sie brauchen. Und die Unternehmen müssen natürlich rechtzeitig Rahmenbedingungen bekommen, die langfristig verlässlich sind, damit sie entsprechende Investitionen tätigen können. Ich nehme jetzt als Beispiel die Schwerindustrie in Österreich, die wissen muss, wie viel erneuerbaren Wasserstoff sie ab welchem Zeitpunkt zur Verfügung hat. Die Frage für die Politik wird dabei vor allem sein, wie sie Rahmenbedingungen setzen kann, die auf der einen Seite Technologieoffenheit ermöglichen, aber auf der anderen Seite genug Sicherheit für Unternehmensentscheidungen geben. Eine Herausforderung sind nicht zuletzt auch die Bereiche, die sich nicht so schnell ändern lassen wie etwa die Siedlungsstruktur und damit verbunden der Individualverkehr.

Die Idee des mit dem Pariser Klimagipfel 2015 aufgesetzten Prozesses ist ja, dass die Staaten von sich aus in regelmäßigen Abständen ihre Emissionsreduktionsziele verschärfen. Derzeit hinken aber die allermeisten Staaten schon bei ihren bisherigen Zielen hinterher. Wie soll sich das ausgehen?

Da hilft uns natürlich schon der technologische Fortschritt. Im Bereich Photovoltaik haben wir eine Kostensenkung um den Faktor zehn in den vergangenen zehn Jahren, im Bereich der Batterien um den Faktor acht. Wir haben die Blockchain-Technologie, beim automatisierten Fahren schreitet die Entwicklung voran. Entscheidend wird also vor allem die Marktorganisation sein, also etwa die Regelung der Einspeisevergütungen, wenn wir beim Beispiel des Stromsektors bleiben.

Karl Steininger ist stellvertretender Direktor des Wegener Center für Klimaforschung in Graz. Zu seinen Schwerpunkten zählen die ökonomischen Folgen des Klimawandels und langfristige Strategien der Dekarbonisierung. Uni Graz
© Sissi Furgler Fotografie

In Deutschland ist offenbar gerade eine Regierung im Entstehen, die den Klimaschutz ganz oben auf die Agenda setzt, in Österreich wurde vor kurzem eine Steuerreform präsentiert, die einen CO2-Preis vorsieht und die EU hat sich wahrscheinlich das global ambitionierteste Klimaschutzprogramm vorgenommen. Sind das nicht Zeichen dafür, dass die Thematik nun endlich in den Köpfen der Mächtigen angekommen ist?

Bei den Zielen auf alle Fälle. Im EU-Klimapaket vom Juli sind auch schon sehr konkrete Umsetzungsmaßnahmen enthalten und auch die Länder selbst bewegen sich nun stärker in diese Richtung. Aber wir haben bei weitem noch nicht überall diesen Schritt von den Zielen zu den tatsächlichen Maßnahmen geschafft.

Möglicherweise wird ja das Klima ohnehin nicht auf Weltklimakonferenzen gerettet, sondern auf zahlreichen Nebenschauplätzen. Erneuerbare Energien sind mittlerweile in vielen Ländern die billigste Energieform, Städte, Kommunen und Länder verordnen sich Klimaschutzprogramme und die Konsumenten kaufen Wärmepumpen und Elektroautos. Wie sehen Sie das?

Zum Teil ist das so. Städte und Bundesstaaten in den USA haben ja auch nachdem der damalige Präsident Donald Trump das Land aus dem Pariser Abkommen geführt hat, weiterhin an ihren Klimaschutzambitionen festgehalten. Aber die Klimakonferenzen sind natürlich schon auch Plätze des Austausches. Vertreter der Stadt Wien fahren jetzt zum Beispiel nach Glasgow, um sich im Bereich Klimapolitik zu vernetzen, von Erfahrungen gegenseitig zu lernen und sich internationale Best-Practice-Modelle anzuschauen. Und es ist zweifelsohne wichtig, dass dieses gemeinsame globale Signal kommt.

Was muss in Glasgow ihrer Meinung nach konkret geschehen?

Was sich der globale Süden stark erwartet, ist ein Fortschritt bei der Frage der Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in den ärmeren Ländern, also dass die 100 Milliarden Dollar, die ab 2020 jährlich als Unterstützung fließen sollen, nun auch tatsächlich aufgebracht werden. Das Zweite wäre, dass die Vorarbeiten für die das "stock taking" abgeschlossen werden. 2023 soll es ja so etwas wie eine globale Inventur geben, bei der bewertet wird, was die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen gebracht haben. Und da wird man wohl sehen, dass wir immer noch nicht auf Kurs in Richtung des in Paris beschlossenen 2-Grad-Ziel, geschweige denn 1,5 Grad, sind.