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China steigt beim Klimaschutz auf die Bremse

Von Bernhard Seyringer

Politik

Für Staatschef Xi Jinping hat in den gegenwärtigen Multikrisen die Energiesicherheit des Landes Priorität.


Vergangenen Dienstag hat China seine große klimapolitische Initiative vorgestellt: Carbon Emissions Peaking Action Plan, kurz CEPAP nannte die kommunistische Elite des Landes ihren Aktionsplan für die Senkung der chinesischen CO2-Emissionen. Der Plan, der die nur vage umrissenen Klimaziele des aktuellen Fünfjahresplans konkretisieren soll, wurde nicht zufällig nur wenige Tage vor der COP26, der Klimakonferenz in Glasgow verabschiedet. Seit der diplomatischen Niederlage des Landes bei der COP15 in Kopenhagen 2009 versucht sich Peking als Musterschüler der globalen Klimapolitik darzustellen. Man weiß die große politische Bühne internationaler Konferenzen zu nutzen.

Kohleverbrauch steigt

Dabei ist China mit einem Anteil von fast einem Drittel der globalen CO2-Emissionen global gesehen der Klimasünder schlechthin. Das Land verursacht mehr Emissionen als die USA, Indien und Russland zusammen. Die Energieversorgung des Landes hängt zu 84 Prozent von fossilen Energieträgern ab. Mit 57 Prozent hält Kohle den mit Abstand größten Anteil. Seit Unterzeichnung der Pariser Abkommen im Jahr 2015 hat China mehr Treibhausgase produziert als die USA und alle Industrieländer zusammen.

China ist das einzige Land in der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20), dessen Verbrauch an Kohle seit der Unterzeichnung von 44 Prozent 2015 auf 57 Prozent im Jahr 2021 angestiegen ist. Mit der Ankündigung Xi Jinpings im Herbst 2020, dass China beabsichtigt, den Peak an CO2Emissionen im Jahr 2030 zu erreichen und im Jahr 2060 klimaneutral zu sein, hat er die offizielle Zeitachse für das "30/60-Ziel" vorgegeben. Zur Verdeutlichung: China müsste ein Drittel seiner kohlebefeuerten Stromerzeugung bis 2030 vom Netz nehmen - und der Anteil an Solar- und Windenergie müsste sich bis dahin verdoppeln, um diese Ziele zu erreichen.

Konzept der "zwei Berge"

Die diplomatischen Offensiven Chinas sind seit 2017 fest mit klimapolitischen Initiativen verbunden. Xi hat die noch auf Hu Jintao zurückreichende Leitlinie des Strebens nach einer "Ökologischen Zivilisation" von 2007 übernommen und mit seinem "Konzept der zwei Berge" verbunden. Dem zufolge sind "grüne Berge und klares Wasser genauso wertvoll wie Berge aus Gold und Silber". In einer Parteitagsrede 2017 hat er den Begriff der "ökologischen Zivilisation" ganze 22 Mal erwähnt. Vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte er Ende September angekündigt, dass China keine kohlebefeuerten Kraftwerksprojekte außerhalb seiner Landesgrenzen mehr finanzieren wird. Manche Beobachter werteten das als "mutigen Schritt" Xis - den man freilich relativieren muss: Bereits 2020 hatte China beschlossen, keine Kohlekraftwerke mehr zu finanzieren.

"Harter Kampf"

Trotz aller Erfolgsmeldungen und Beteuerungen, auf dem richtigen, grünen Weg zu sein, sprach Xi 2020 aber auch von einem "harten Kampf", was die Umsetzung seiner 30/60-Ziele betrifft. Ob sich die Volksrepublik klimapolitisch aber wirklich derart anstrengt, ist freilich zweifelhaft: Im aktuellen Fünfjahresplan spiegelt sich Xis "harter Kampf" keineswegs wider. Denn die Energiesicherheit des Landes hat für die Führung in Peking weiterhin oberste Priorität - vor allem in einem internationalen Umfeld, das vom außenpolitischen Establishment in Peking spätestens seit 2017 als unilateral, protektionistisch und hegemonial gekennzeichnet wird - also auch als hochkompetitiv, volatil und unsicher. Und Energiesicherheit ist in China gleichbedeutend mit der Nutzung von Kohle. Daher sind die Sicherung der Versorgung mit Kohle und die Notwendigkeit, die Öl- und Gasförderung zu erhöhen, nach wie vor zentrale Punkte in der Energiepolitik.

Nicht bindende Ziele

Im aktuellen Fünfjahresplan werden 18 Prozent Reduktion bei CO2-Emissionen in der Stromerzeugung und 13,5 Prozent Energieeinsparung bis 2025 als Ziele genannt. Weiters soll der Anteil der nicht-fossilen Energieträger (also inklusive Nuklear- und Wasserkraft) bis 2025 auf "ungefähr 20 Prozent" erhöht werden. Der Anteil 2020 liegt bei 15,8 Prozent. Dieses 20-Prozent-Ziel ist allerdings nicht bindend.

Die Modellrechnung der Führung in Peking besagt, dass China kurz vor dem Jahr 2030 den Höchstwert von 10,5 Milliarden Tonnen CO2-Ausstoß erreichen wird, die Situation sich danach stabilisiert, es nach 2035 zu einem drastischen Einbruch kommt, und schließlich 2060 die Klima-Neutralität erreicht wird. Ob man solche Modelle eins zu eins in die Wirklichkeit umsetzen kann, ist aber stets fraglich - zumal das unterstellte Wirtschaftswachstum mit 5,3 Prozent bis 2025 und mit 4,6 Prozent für den Zeitraum bis 2030 recht bescheiden beziffert ist.

Keine konkreten Obergrenzen

Mit dem vor einer Woche veröffentlichten CO2-Begrenzungsplan CEPAP hat die chinesische Führung nun für die Periode 2021-2030 konkretere Ziele nachgelegt: Bis 2030 soll der Anteil der nicht-fossilen Energieträger auf 25 Prozent ansteigen und die CO2- Emissionen pro BIP-Einheit sollen um mehr als 65 Prozent reduziert werden. Alle diese Ziele sind abhängig vom Wirtschaftswachstum, es wurden keine konkreten Obergrenzen festgesetzt.

Was beabsichtigt China? Die chinesische Führung hat sich mit dem erklärten Ziel, die "Klima-Neutralität" erst eine Dekade später als seine Hauptkonkurrenten USA und EU erreichen zu wollen, einen großen Vorsprung verschafft. Peking möchte in das Freiluftexperiment einer gesamtgesellschaftlichen "De-Karbonisierung" möglichst spät einsteigen, um aus den im Westen gemachten Fehlern zu lernen und teure Irrwege zu vermeiden. Bis dahin wird das Land versuchen, entstehende Transformationskosten auf die Industrieländer abzuwälzen, um gleichzeitig als führender Anbieter "Grüner Technologien" mit marktbeherrschender Stellung von der wachsenden Abhängigkeit westlicher Industrieländer von eben jenen Technologien zu profitieren.

Wird Westen übervorteilt?

Den Westen könnte damit auf dem Feld der Klimapolitik ein ähnliches Schicksal blühen wie in der Handels- und Technologiepolitik, wo China die Kooperationswilligkeit der westlichen Partner geschickt zum eigenen Vorteil ausgenutzt hat. Obwohl viele Beobachter diese Gefahr erkennen, gibt es etwa in Europa oder auch in der Demokratischen Partei von US-Präsident Joe Biden starke Stimmen, mit China in der Klimapolitik möglichst eng zu kooperieren - auch um den Preis möglicher Nachteile.