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Ein halbes Grad bedeutet eine andere Welt

Von Ronald Schönhuber

Politik
Weil mit der Temperatur auch die Verdunstung zunimmt, drohen neben Rekordniederschlägen auch schwere Dürren.
© adobe stock / S. Piyaset

Das 1,5-Grad-Ziel, das im Mittelpunkt des Klimagipfels ins Glasgow stand, wird auch die Klimapolitik der kommenden Jahre dominieren. Denn schon bei einem Anstieg um 2 Grad würde die Erderwärmung unseren Planeten viel härter treffen.


Als der französische Außenminister Laurent Fabius am frühen Abend des 12. Dezember 2015 mit seinem Hämmerchen auf den Tisch schlägt, ist der Bann in Le Bourget gebrochen. Im großen Saal des Messegeländes liegen sich viele Delegierte in den Armen, einige von ihnen haben sogar Tränen in den Augen. Denn plötzlich gibt es das, woran die internationale Staatengemeinschaft in den Jahren davor so verlässlich gescheitert war: Ein Klimaabkommen, mit dem sich nicht nur alle Länder zu mehr Engagement verpflichten, sondern das auch konkrete Zielgrößen enthält: Die Erderwärmung soll auf deutlich unter 2 Grad begrenzt werden, die Staaten bemühen sich aber nach Kräften 1,5 Grad zu schaffen.

Sechs Jahre nach dem Abschluss des historischen Pariser Klimaabkommens ist das 1,5-Grad-Ziel auch im Mittelpunkt der vor zwei Wochen im schottischen Glasgow eröffneten 26. Weltklimakonferenz gestanden. "Wir müssen nach Glasgow glaubwürdig sagen können, dass wir dieses Ziel am Leben erhalten haben", hatte Konferenzpräsident Alok Sharma den Delegierten gleich zu Beginn der vierzehntägigen Mammutveranstaltung eingeschärft.

Eine Frage von Zehnteln

Die Konferenz in Glasgow ist allerdings nur ein Zwischenstopp auf einer langen Reise. Denn entscheidend für die Stabilisierung des Klimas wird nicht nur sein, ob die Staaten nochmals deutlich nachlegen, wenn sie - gemäß des Pariser Abkommens - das nächste Mal ihre überarbeiteten nationalen Klimaschutzpläne vorlegen. Genauso wichtig ist auch, ob sich die Länder an ihre in Glasgow und davor gemachten Versprechungen halten.

Dass es dabei um jedes zehntel Grad geht, steht vor allem für die Wissenschaft außer Streit. Denn mit einem Temperaturanstieg von 1,1 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter ist die Welt nicht nur schon ziemlich nahe an die 1,5-Grad-Marke herangerückt. Eine Erde unter 2-Grad-plus-Bedingungen wäre auch ein gänzlich anderer Planet als eine Erde unter 1,5-Grad-plus-Bedingungen.

"Mit jeder Temperaturzunahme werden die Veränderungen bei den Extremen größer", sagt die an der ETH Zürich forschende Klimawissenschaftlerin Sonia Seneviratne der Nachrichtenagentur Reuters. So würden etwa Hitzewellen nicht nur öfter auftreten, sondern auch deutlich intensiver ausfallen.

Konkret festmachen lässt sich das etwa an den Modellrechnungen, die der Weltklimarat IPCC als Grundlage für seine regelmäßigen Berichte heranzieht. Eine extreme Hitzewelle, die in einem vom Menschen unbeeinflussten Klima einmal pro Jahrzehnt vorkommt, würde bei 1,5 Grad 4,1 Mal so oft auftreten und bei 2 Grad 5,6 Mal so oft. Die größten Temperaturanstiege würden dabei die Regionen in Nordamerika, Mittel- und Südeuropa und rund um das Mittelmeer erleben. Bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad wären die heißesten Tage dann im Vergleich zur Zeit vor 1850 um durchschnittlich 3 Grad wärmer, beim 2-Grad-Szenario allerdings schon um 4 Grad.

Eine wärmere Atmosphäre kann zudem auch deutlich mehr Feuchtigkeit halten. Rekordniederschläge wie jene, die im Sommer binnen kurzer Zeit zu den verheerenden Überflutungen in Deutschland und China geführt haben, würden dann deutlich häufiger vorkommen.

Die Zeiten dazwischen dürften in vielen Regionen allerdings zunehmend von Dürren geprägt sein, weil mit der Temperatur auch die Verdunstung ansteigt. Die Folge davon wäre auch eine Zunahme von Missernten, die vor allem in den ärmeren und vulnerableren Ländern zu deutlich häufigeren Hungersnöten führen.

Bedrohte Polargebiete

Noch viel augenscheinlicher dürfte der Unterschied zwischen einer 1,5-Grad-Welt und einer 2-Grad-Welt allerdings sein, wenn es um den Erhalt der polaren Eisflächen geht. "Bei 1,5 Grad haben wir gute Chancen, dass wir einen großflächigen Kollaps der Eisschilde in Grönland und der Antarktis noch verhindern können", sagt der Klimawissenschafter Michael Mann von der Pennsylvania State University. Damit könnte auch der Anstieg des Meeresspiegels, der schon jetzt zahlreiche tiefliegende Küstengebiete und Inselstaaten bedroht, wohl auf knapp über einem halben Meter bis zum Ende des Jahrhunderts begrenzt werden. Bei einem Temperaturanstieg von 2 Grad rechnen Forscher dagegen mit einem massiven Abschmelzen der Eisflächen und einem Anstieg des Meeresspiegels auf fast einen Meter. "Jenseits von 1,5 Grad können wir uns keine Zukunft für uns vorstellen", sagt dementsprechend auch Fidschis UN-Botschafter Satyendra Prasad. "Das ist kein Punkt, über den wir verhandeln."

Die Zukunft steht aber nicht nur für Inselstaaten wie Fidschi auf dem Spiel. Denn auch in den Ländern mit mittlerem Einkommen in Afrika, Südamerika und Südostasien, die laut dem World Resources Institute am stärksten von den ökonomischen Folgen des Klimawandels betroffen sind, macht es einen deutlichen Unterschied, ob die globale Temperatur um ein weiteres halbes Grad steigt oder nicht. Gleiches gilt in etwas abgeschwächter Form auch auf globaler Ebene. So machen die weltweiten ökonomischen Schäden beim 1,5-Grad Szenario im Jahr 2100 rund 54 Trillionen Dollar aus, beim 2,0-Grad Szenario sind es dagegen 69 Trillionen.